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Ruhloses Herz
162 Bücher



A. De Nora
Ruhloses Herz . 1. Auflage 1908



Abenteuer

Ich bin einmal nach Krähwinkel gefahren, -
- Denn selbstverständlich seit etlichen Jahren
Besitzt auch Krähwinkel seine Bahn. -
Das Bähnchen zweigt von der Linie Berlin-
Neapel irgendwo ab zur Seit';
Auf der Station stand das Züglein bereit,
Die Lokomotiv' und ihr Führer rauchte
Mit kurzen Stößen behaglich noch
Ein akademisches Viertel hin,
Erwartungsvoll, ob nicht etwa doch
Noch irgend ein Passagier auftauchte;
So saß ich schon eine geraume Weil'
In meinem Kupee, der Abfahrt harrend:
Da plötzlich öffnet noch einmal knarrend
Sich meine Tür. In "geruhsamer Eil'"
(Wie's in einem alten Liede heißt)
Kommt der dicke, schwäbelnde Schaffner, weist
Einer Dame Platz an in meinem "Abteil",
Klappt wieder zu, pfeift, bums, ein Ruck! -
Mit kräftigem Stoß anziehen die Wagen -
Und bei dem Ruck fliegt schmiegsam und schmuck
Auch schon die Dame mir auf den Magen ...!

Ein köstliches Ding. Sechs-, siebenundzwanzig,
Blond, schlank, von weidebiegsamem Wuchs,
Im Kopf ein Paar Augen, blank und klar,
Und doch von heimlichem Feuer durchglimmt,
In dem es wie von Verheißung schwimmt -
Um ihren Hals der Silberfuchs
Umschmiegt sie fast wie ein Daunenkissen,
Unter der Jacke, straff und fein,
Zeichnen sich Brüstchen, scharf umrissen,
Und über dem allen, wunderbar,
Ein prickelnder Duft -, kurz, was meine Lust
An Weibern, lag mir im Arme just
Beim ersten Ruck - -.

Glück! Nicht wahr? Glück!
Oder gibt es eine Bestimmung im Leben?
- Na ja. Wir nützten den Augenblick!
Und eh' der alte Saturnus fort
Gerückt den Zeiger um eine Stunde,
Hing schon ihr Mündchen an meinem Munde!
Ach, waren das Küsse! Wild und heiß.
Nur eine Frau, nur eine von denen,
Die an der Quelle verschmachten vor Sehnen,
Hat solche Küsse ....

Nichts mehr! Ich weiß
Nicht, wie um Krähwinkel die Gegend ist -
Schön, häßlich, herrlich, langweilig, trist,
Uninteressant, hat sie Seen, Flüsse,
Meer oder Berge - ich weiß nur dies:
Der Weg dorthin führt durch lauter Küsse.
Und die Fahrt ist die allerkürzeste Fahrt,
Die je von Zügen zurückgelegt ward,
Und wenn die Trennungsstunde schlug,
Ist's wie eine Trennung vom Paradies.
Das Sonderbarste aber, wißt,
Ist dies: In sechsunddreißig Jahren
Nur Einmal geht nach Krähwinkel der Zug.

Ich bin Einmal nach Krähwinkel gefahren.


  A. De Nora . 1864 - 1936






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