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A. De Nora
Ruhloses
Herz . 1. Auflage 1908
Hochzeitscarmen
Auf eure "Moral" und euren "Anstand"
Pfeif' ich mir eins.
Denn euer Anstand
Ist Heuchelei, auf Phrasen gefüllt.
Und eure Moral?
Lüge, kandiert mit süßen Sentenzen.
Wenig halt' ich
Von dieser "sittlichen",
Christlichen, standesamtlichen Ehe.
Wenn zwei sich lieben,
Weil Gott sie geschaffen
Eins für das andre -
Was brauchen sie
Dazu den Spruch
Des hochwohllöblichen Onkels Staat
- Um soundsoviel Reichsmark und Pfennig! -
Und den nicht billigern
Und nicht bessern
Segen der greinenden Tante Kirche?
Spring deinem Schatz an den Hals,
Mädel, liebes! Wenn du ihn willst,
Und wenn euch die alte,
Ehrliche, aber - leider! -
Ungebildete, unmoralische Mutter Natur
Zusammengibt!
Hopp!!
Heiß wie du bist,
Und ohne zu warten,
Ob alle "Papiere"
(O die köstliche papierene Zeit!)
Und Zeugen, Zylinder und Zeiserlwagen
Schon bei der Hand sind.
Und ohne die ganze
"Hochanständige" Vorbereitung,
Und ohne - besonders! -
Die hochanständige Hochzeitsgesellschaft!
Weißt du, weshalb
Sie dabei sein muß?
- Sie ziehen dich aus!
In Gedanken, versteht sich! Und nackt,
Nackter als jede Dirne
Mußt du vor ihnen posieren, Mädel,
Mit deiner keuschen, quellenreinen
Waldesduftig rieselnden Schönheit!
Und ihrer dreckigen Phantasie
Preisgeben den kleinen süßen Körper,
Den wie einen frischen, weißen Kuchen,
Zum Anbeißen fertig,
Du aufgespart für deinen Geliebten!
Ehrfürchtig schauernd steigst du hinein
In dein neues, blankes,
Schneeiges Brautbett -
Prost Mahlzeit!
Wenn du sähest, wie schmutzig es ist!
Wie verspritzt von allen den Zoten und Zötchen,
Gesprochnen, gedachten, gelachten, gelächelten,
Oder auch salbungsvoll gebeteten,
Die aus der Ferne
Deine verehrte "Hochzeitsgesellschaft"
Darüber ausgoß.
Ah!
An jeder Straße,
Auf jedem Morast
Brächtest du reiner
Deiner Liebe
Bräutliches Opfer!
- Tu's!!
Frag den Teufel danach, was alte Jungfern
Und Ehekrüppel "sittlichen" Schlages
Und abgestandene Junggesellen zischeln.
Wenn nur daraus
Dein Glück entspringt
Und ein dicker, gesunder, zuckriger Bengel,
Den die Liebe gezeugt,
Und die Liebe geboren,
Und den die Liebe erzieht zum Menschen!
Wahr sein ist alles!
Nicht "Hochzeit halten",
Und nebeneinander traben im Joch
Zusammengekuppelt, -
Nicht, wenn sie brechen,
Mühselig kitten die falschen Scherben -
Sich zugehören
Mit ganzem Herzen:
Das allein
Ist Ehe.
A.
De Nora . 1864 - 1936
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