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Alfons Petzold
Der
Irdische . 1. Auflage 1923
Nacht über der Stadt
Ich stehe einsam auf dem Turm der Nacht
und bin ganz wach im unverrückten Lauschen:
Ich höre, wie ein Brunnen leise lacht,
und wie der Sterne Silberströme rauschen.
Tief unter mir schläft vieler Menschen Zorn,
atmet ihr Kummer trostentblößt und schwer.
Nur manchesmal tönt eines Traumes Horn
aus eines Herzens ruhiger Landschaft her.
Wie fern ist mir der alte Tag gerückt
mit seiner Fülle kleinlicher Gedanken!
Ich sehe ihn, noch zwergenhaft gebückt,
im Nebel der Erinnerungen wanken.
Was noch von ihm an dieser Stunde klebt,
Geruch des Schweißes, den er ausgepreßt,
den ungezälten Knechten - es entschwebt
und wird zum Duft, der Rosen ahnen läßt.
Nur ahnen? Nein! Sie blühn zu mir empor
in allen Wunderfarben, eng verschwistert,
aus jedem Dasein brechen sie hervor;
in jeder Rose eine Flamme knistert.
Wie es so blühend, glühend mich umdrängt,
mitten in Finsternis und Schlaf und Wahn,
ein seltnes Licht sich in mein Innres senkt
und tiefstem Wissen bin ich aufgetan.
Nichts stirbt im Opfergange durch den Tag,
was da mit Tatkraft, frohem Daseinswillen
die Seele voll, geheim noch tragen mag,
den Wunsch nach Glück, um ihn einmal zu stillen:
Es lebt, gestaltet sich, begrüßt die Nacht
und ferne Berge, Wiesen, Wald und Strom,
den Dichter, der in dieser Stunde wacht
gleich einem Priester im versperrten Dom.
Ein helles Schwert zerschlägt die Dunkelheit.
Die Stadt erscheint vor mir mit halbem Leibe,
als Sakrament der Lebensgläubigkeit
erglänzt des Morgensternes Silberscheibe.
Wo noch vorher ein Rosengürtel lag
zu meinen Füßen, raucht nun Schlot um Schlot.
Zu neuer Knechtschaft ruft der junge Tag
und brüllt die Sehnsucht in den Herzen tot.
Alfons
Petzold . 1882 - 1923
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