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Gedichte, Lyrik, Poesie

Gesang von Morgen bis Mittag
162 Bücher



Alfons Petzold
Gesang von Morgen bis Mittag . 1. Auflage 1922



Erlebnis

Es war im Herbst, die funkelnden Laternchen
der Ebereschen glühten aus dem Laub
und in der Luft umzitterten uns Sternchen
von gelbem Samen oder Blumenstaub.
Wir waren nach dem Mittag aufgebrochen
und drei Uhr schlug es, als der gute Wald
uns zwei umgab, wie hatten wir seit Wochen
uns diese Stunden selig ausgemalt.

Ob sie Maria hieß oder Hermine,
heut weiß ich es nicht mehr, doch stand das Kind
wie ich sechs Tage lang an der Maschine
im Öldunst, Räderlärm und Riemenwind.
Nun glühten ihre sonst so bleichen Wangen
und zärtlich strich sie über manchen Baum,
indes mich Glücklichen die Vögel sangen
in einem, unserm Schicksal fremden Traum.

Vor meinen Augen zitterten Fontänen
hoch über eines Parkes grünen Raum;
die Sonne warf den Kranichen und Schwänen
ihr Gold verschwendrisch auf den weißen Flaum
und brach sich in den hundert Fensterscheiben
des Schlosses - nennen wir es "Irgendwo" -
in dem ein Ballfest war, ähnlich dem Treiben
wie einst im Königsschlosse Fontainebleau.

Ich war dabei, als Prinz von Gottes Gnaden,
in Seide, Gold und Sammet eingehüllt;
ein Degen schlenkerte mir an die Waden
und meine Freunde waren neiderfüllt
weil mich die Herzogin verliebten Blickes
zu ihrem Günstling für das Fest gemacht
und ich im Ahnen kaum erhofften Glückes
entgegenlächelte der nahen Nacht.

Da streifte mich beim Menuett ganz flüchtig
ein Mädchenkörper, einer Elfe gleich,
und alles wurde für mich schal und nichtig,
Tanz und Musik, die Frauen puderbleich.
Ich sah nicht mehr die heiße, mir geneigte
Stirne der Herzogin und fühlte nur,
wenn sich das Mädchen wie ein Schatten zeigte,
daß es wie Sturm durch meine Seele fuhr.

Und eine Stunde später - Hirn vergesse
doch meiner Phantasie geheimen Streich -
ging eine junge, süße Vicomtesse
an meiner Seite durch das Gartenreich.
Wir schritten tief hinein, bis daß die Rampe
des Schlosses hinter hohen Bäumen schwand
und nur das Licht der goldnen Sonnenlampe
uns beide in der grünen Wildnis fand.

Dann - Seele lag an Seele, Lipp' an Lippe,
ein Frauenfrühling schenkte mir sein Blühn
mitten im Herbst, mein Herz schlug an die Rippe
und wollte schier aus Leidenschaft verglühn.
Da mochte sich etwas im Walde regen.
Ernüchtert sprang ich auf und hob den Blick -
es lag vor mir, dem Prinzen ohne Degen,
die Kameradin aus der Bandfabrik.

Vom Abendrot und Scham war übergossen
ihr frühverhärmtes, schmales Angesicht
und um das magere Figürchen flossen
die Dämmerschatten, blau und seidendicht.
Da war sie wieder meine Vicomtesse
mit Reifrock und galantem Schäferstab,
der ich bis heute nicht das Glück vergesse,
das sie mir damals an dem Herbsttag gab.


  Alfons Petzold . 1882 - 1923






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