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Gesicht in den Wolken
162 Bücher



Alfons Petzold
Gesicht in den Wolken . 1. Auflage 1923



Dezemberabend

Wie das von eisgrauem Bartgewirr umbuschte Haupt
des einsamen Judengottes
reckt sich der Berg aus dunkel hingedämmerten Wäldern
in den enzianblauen Abendhimmel hinein.
Seine kurze, englische Pfeife im Munde,
den Dämon der Hasen, Rehe, Füchse, das Gewehr,
nachlässig über die breite Schulter gehängt,
geht ein Jäger über den harschigen Wiesenschnee;
sein Hund pendelt, klein wie eine Ratte anzusehen,
weit voraus den Horizont entlang.
Da --
hebt der Jäger den Doppellauf - -
ein Knall - -
und einem schwarzen Sterne gleich
stürzt eine Krähe
auf die fahle, weiße Scheibe
der Wiese.

Schellengeläute hängt in der Luft,
Gesang der Kälte.
Schuhuschu - ein Schlitten braust wie ein Stück Wind heran.
In seiner Tiefe dunkelt ein Ballen
reglos, wohl die Nacht selbst.
Aber im Lichtkegel der Straßenlaterne
löst er sich in zwei Gestalten
und blonde Frauenhaare glänzen blitzschnell auf.
Ich weiß es, der Schlitten
ist mit Küssen bis an den Rand gefüllt
und zwei Menschen saugen sich im Rücken der jagenden Pferde
die Seele aus.

Türen fallen ins Schloß,
Straßenschnee knirscht unter flinken Füßen
und hie und da schaukeln Handlaternen
wie leuchtende Englein über die Wege.
Jetzt ist die Stunde,
wo die Frauen und Mädchen die Abendmilch holen.
Und manche Magd, die im nüchternen Licht des Tages,
von Arbeit vielfältigster Art umgeben,
dem Blick des Mißtrauens und des Tratsches ausgesetzt,
auf das Dasein des kleinen roten Dinges in der Brust
vergessen mußte,
läßt es nun frei über die Gassen laufen
in die Winkel, hinter die Ecken und Tore
und trippelt ihm freudig nach,
bis zwei Männerarme die Milchholende umfangen,
trockene Lippen feucht werden von Küssen.

Heimliche Tänze wachen auf,
Jugend blüht berauschend
an Jugend empor
und es raunt allenthalben in die Nacht:
"Grüß dich Gott in Liebe!"
"Gute Nacht - - gute Nacht in Liebe!"
Ganz still ist es geworden in der Welt.
Da trete ich in den Garten hinaus,
beuge mich zu Boden, streichle das flimmernde Schneefell
der Erde
und flüstere:
Du schönes, wildes, merkwürdiges Tier, du!


  Alfons Petzold . 1882 - 1923






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