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Alfons Petzold
Heimat
Welt . 1. Auflage 1913
Die Pause
Hochsommer. Das Pflaster der Stadt ist wie ein riesiger geheizter Rost. Von weißem Kalk umstäubt ragt ein Neubau vor mir auf. Ein Graben und Schlagen, ein Tragen und Hämmern, Menschenrufe und Pferdewiehern, klirrendes Gestöhne von Eisentraversen und surrendes Schleifen mächtiger Seile - die Sinfonie der Arbeit.
Der Schatten der Gerüste, die Kühle der feuchten Sandpyramiden machen den Aufenthalt hier angenehm. An eine Schutzplanke gelehnt sehe ich dem Treiben zu.
Neben mir führt ein Mann gelben Mörtelsand in das Innere des Hauses. Wie die Karre quiekt! Wohl zehnmal in der Viertelstunde kommt er an mir vorbei. Er muß schon sehr alt sein. Haupt und Barthaar glänzen schneeweiß. Eine unsichtbare Last beugt seinen bronzenen Nacken. Aus seinen Augen aber lacht etwas so froh und hell...
Da passiert etwas. Der Mörtelaufzug hat ein Gebrechen. Die Arbeit muß kurze Zeit ruhen. Der Alte setzt sich auf seine Scheibtruhe und schmaucht seine Pfeife.
Ich trete zu ihm hin.
"Eine schreckliche Hitze, was?"
"No ja, Herr, 's tuat's grod. Mir ham scho haßere Summer g'habt!"
"Können Sie denn diese Arbeit noch leisten? Sie sind doch nicht mehr jung!"
"Im nächsten Hirbst wir i vierasiebzig Johr' und de Orwat - mei Gott, Herr, ka and're kriag' i nimma, so hob' i dö nehma müaß'n. Vurig's Johr war i no bei dö Deichgroba..."
"Ja, können Sie nicht in die Versorgung gehen?"
"Wissen S', Herr, do gebat's gor vül z'red'n. J bin net zuaständi' und wos i vülleicht vo meiner G'meind' kriagat, glengat net amol für mi, vül weniger für daham."
"Ja, haben Sie denn noch für jemand zu sorgen?"
"No natürli!" Er lacht dabei. "Für mei klans Enkerl."
"Elternlos?" frage ich.
"Ja wissen S', an Votan hätt's schon. Oba dös Frücht'l schert si net um sei Kind und dö Muatta, mei Tochter, is vaganganan Winter g'sturb'n. Hot's do g'hobt." Er zeigt mit dem Pfeifenrohr auf die Brust. "Und schaun S', wann i für neamd mehr z'sorg'n hätt', dös Leb'n tat mi gor nimma g'freu'n. Wann ma glückli sei wüll a beim klanst'n Stückl Brot, muaß ma dös G'fühl ham, daß dö Hälfte an andern g'hört, den ma gern hat. Seg'n S', dös war bei mir imma da Foll. D' schwarste Orwat is ma leicht wurn, wann i an dö denkt hob', dö z'Haus auf mi wart'n. Z'erst war's mei Muatterl, dann mei Weib mit dö Kinder und wia jetzt ans nach'n ander'n g'sturb'n is, is ma mei Enkerl blieb'n. 's is scho so, Herr, zu all'n muaß da Mensch a Freud ham..."
Die Arbeit beginnt. Wieder fährt der alte Arbeiter an mir vorbei. Eine unsichtbare Last beugt seinen bronzenen Nacken, aus seinen Augen aber lacht es froh und hell.
Alfons
Petzold . 1882 - 1923
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