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Alfons Petzold
Heimat
Welt . 1. Auflage 1913
Eine Frühlingsnacht
Die Katzen mauzen frühlingsverliebt und mondscheintoll im Dachgefüge der Straßeneinräumerhütte des Dorfes. Rechts vom Gange, der von der Straße aus sogleich in das Balken- und Ziegelherz des Häuschens führt, schnarchen in einer niedrigen Stube, deren Decke bald den sandbestreuten Boden küßt, der Straßeneinräumer und seine sieben Kinder dem Morgen entgegen. Der Stube gegenüber glüht eine feurige Hölle in den dunklen Gang hinein.
Inmitten roter Glutstrahlen, die aus einem Backofen sprühen, steht vor einem mächtigen Holztrog die Hausmutter und mischt schwarzes Kornmehl mit Maisschrot und Kleie zu einem Teig zusammen, aus dem sie wagenradgroße Brote formt, um sie auf eine Blechplatte zu legen und in den schwarzen Rachen des Ofens zu schieben.
Sieben riesige Laibe sind schon in dem steingemauerten Schlund verschwunden und noch steht das Weib über dem Trog gebeugt und mischt und knetet und formt. Manchmal wischt es sich mit der mehlbestaubten Rechten über die schweißsickernde Stirne und horcht zugleich in dieser Sekundenpause in die Kammer hinüber, ob Mann und Kinder ruhig schlafen.
Einmal reckt es sich, atmet tief auf und drückt mit den teigüberzogenen Händen auf den Bauch, der eine hohe Schwangerschaft anzeigt. Es beißt die Zähne aufeinander, preßt die schmerzbebenden Lippen zusammen und beugt sich wieder, um zu mischen, zu kneten und zu formen. Der neunte Laib!
Jetzt fehlen noch drei auf zwölf, denn so viele Brote braucht die Familie, um eine Woche damit auszukommen, und eine Woche muß das Weib nach jeder Geburt im Bette bleiben. Darum heißt es aushalten, bis der zwölfte Laib auf dem Rost liegt, wenn auch der Rücken brechen will, und die Pulse fiebrig hämmern wie die Paukenschlägel seines Mannes am Fronleichnamstag. Immer öfter muß das Weib in seiner Arbeit aussetzen. Kaum kann es noch auf den Füßen stehen, die zittern mit den Händen wie Zweige im Wind. Der elfte Laib verschwindet im Ofen. Das Weib wankt. Mit geschlossenen Augen, von einem Fuß auf den anderen tretend, die Zähne tief in die blutende Unterlippe gegraben, formt das Weib den letzten Laib.
Der Teig kocht unter dem Walken seiner Hände, die so heiß wie die erhitzten Backsteine des Ofens sind.
Endlich, endlich!
Das Weib taumelt gegen die Röhre und schleudert mit versagender Kraft das zwölfte Brot hinein. Dann erst stöhnt es erleichtert und laut auf und ruft, indem es sich krampfhaft mit den Händen an dem Trogrand festhält, gegen die Schlafstube gewendet:
"Hansl, kumm, mir is net guat, hol dö Hebamm!"
Und als der bestürzte, noch schlaftrunkene Mann aus dem Bette springt und in die Küche eilt, da zappelt schon ein winziges gelbliches Etwas in der roten Glut, die aus dem Backofen über den Boden schlägt.
Und das blanke Gekrähe eines neugebornen Menschleins mischt sich mit dem Gemauze der Katzen, dem gesunden Schnarchen der anderen Kinder und dem Geprassel des Backofenfeuers in der Stille der Frühlingsnacht.
Alfons
Petzold . 1882 - 1923
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