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Gedichte, Lyrik, Poesie

Heimat Welt
162 Bücher



Alfons Petzold
Heimat Welt . 1. Auflage 1913



Spätnachmittag

Auf den Feldern liegt die grüngoldene Bronze der letzten Nachmittagsstunde. Nur wenn der Wind dem Bergwald zuläuft, ist es, als spränge eine Unzahl kleiner silberner Tiere über die Wiesen.
Aber es sind keine Tierchen, sondern die schimmernden Füße der Windmädchen, die ihr Vater in den Wald führt, auf dessen Bäumen sie sitzen und singen.
Und die Gräser und Blumen, über die die Jungmädchenfüße im hüpfenden Tanze gleiten, sind ganz verliebt in deren silberne Nacktheit.
Und heben sich und senken sich bald schüchtern schamhaft, bald übermütig lüstern, von der Sonne betrunken gemacht, wollüstig aufgeregt.
Eine flaumige Wolke hängt wie wirres Blondhaar in den Wald hinein. Der räkelt sich noch immer aus seinem Nachmittagsschlaf und läßt seine Fichten faul und unmutig knarren.
Nur sein etwas schütteres Laubgehölz ist schon voll neuer Frische und atmet lebensfreudig dem stillen Abend und den Wundern der Nacht entgegen.
Der Lärm der Arbeit und der Leidenschaften aus dem Dorfe filtert durch die Blätter und wird zu einem lächelnden Volkslied mit reinem Klang.
Im mannhohen Saumgehölz, das den Bach eingittert, verschwindet ein Jäger mit seinem braundunklen Vorstehhund.
Wie ein Stern funkelt der Gewehrlauf über dem schwarzen Erlengebüsch.
Dort trägt eine Hand Mord und ein Herz Liebe in den wartenden Hochwald, dessen Moosboden schon nächtlich düstert.
Auf dem Bühel, den drei Apfelbaumgreise beschatten, spielen einige Kinder Krieg zwischen Türken und Italienern.
"I spül nix mehr, der Hansl hat ane kriagt und wüll net tot sei!"
"Geh, lug net, host ja daneb'n g'haut!"
"Hurra, hurra! Nieda mit dö Türkn!"
Im wilden Geraufe kollern die Buben den Abhang hinab, indeß unter den Apfelbäumen die Mädchen sitzen und Kränze für die Sieger winden.
Eine zerknüllte, zerwitterte Mannesgestalt stapft humpligen Schrittes über einen kaum sichtbaren Wiesenpfad.
Jakob Friede ist's, der älteste Bauer des Dorfes.
Einst der Reichste.
Vor Jahren gehörte ihm alles Land, was jetzt vom Bühel aus vom Jubel der Kinder durchjauchzt wird.
Aber seine Lebenslust war tausendmal stärker als seine Liebe zur ererbten Scholle, und die jungblanken, blumenfrischen Kellnerinnen in der Stadt hatten keine Ehrfurcht vor dem hart erworbenen Bauerngulden, und warfen leichtsinnig Stück für Stück der silbernen Raketen in die Luft.
Bald war das letzte Kleefeld verpufft, in die Luft geschleudert, und Jakob Friede wurde Armenhäusler.
Dorfarmer mit siebzig Jahren und jetzt zählte er neunzig.
Alles hat er verloren: Geld, Gut, die Jahre der Stärke und des Erwerbens, nur seine Liebe zum Leben und zu den hübschen jungen Mädchen nicht.
Alle Tage schleicht er in sanftem Leuchten der Spätnachmittagsonne zum Waldrand hinauf und sammelt dort zwei Stunden lang blühenden Waldmeister und Enzian ein.
Hat er die Woche hindurch eine tüchtige Hucke voll eingesammelt, schleppt er sich damit am Sonntag zur Stadt und verkauft die duftende Last an Hausfrauen und Mägde, die ihn dafür gut bezahlen.
Dann wirft er wieder eine Stunde lang mit der lustigsten Kellnerin "beim Bock" silberne Raketen in die Luft.

Er geht am Bühel vorbei und zahnelt den herumtollenden Kindern zu: "Lusti, kloane Schratzen, traurige Täg kimman no gnua!"


  Alfons Petzold . 1882 - 1923






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