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Alfons Petzold
Totentanz
. 1. Auflage 1923
Der Pilgrim
Ich bin ein Pilgrim. Zu Beginn der Zeit
kam ich in diese Welt aus einem Tor;
ich weiß noch, seine Inschrift: "Ewigkeit"
trat oberhalb der Wölbung glänzend vor.
Der Nachtgestirne Feuer jäh verblich,
ich frag die Sonne nach dem Sinn der Reise -
Antwortend tönte es im weiten Kreise:
Suche Dich!
Ich hob das Haupt. Des Morgenwindes Hand
entriß mich schwerstem Sinnen. Fern und nah
wanderten viele durch das offene Land,
in denen ich geliebte Brüder sah.
Ich rief sie an, doch siehe - jeder wich
mir finster aus, umsonst war all mein Fragen.
Nur einen Alten hört´ ich leise sagen:
Suche Dich!
Der Mittag kam, die gelbe Hitze floß
auf mich in unbarmherz'ger Flut herab.
Da - unter dichten Bäumen stand ein Schloß.
Hart an die Türe schlug mein Wanderstab.
Jedoch kein Riegel an der Pforte wich;
umsonst mein Warten und gespanntes Lauschen.
Nur im versperrten Brunnen sang ein Rauschen:
Suche Dich!
Als nun des Mondes Sichelflamme bleich
und silbern in das blaue Schweigen stieg,
und in den Hütten an des Wegs Bereich
der Lärm des Tags allmählich sich verschwieg,
fragte ich wieder: "Wind des Abends, sprich,
welch' Ziel ist mir gestellt, warum dies Wandern?"
Da wehte es von einem Baum zum andern:
Suche Dich!
Die Wolke Nacht umgab mich weich und kühl,
ich lehnte mich in ihre Dunkelheit
und schlief darinnen wie in einem Pfühl.
Bald stand auch eines Traumes Bild bereit:
In doppelter Gestaltung sah ich mich,
fragte nach meinem Ziel mit eignem Munde
und gab mir selbst darauf die dunkle Kunde
Suche Dich!
So geh ich Pilgrim auf der Straße Zeit
wohl schon an viele hunderttausend Jahr.
Es seufzt mein altes Herz, der Busen schreit
nach einer Ruhestätt' für immerdar.
Doch einmal muß es kommen, sicherlich,
daß mich, den Suchenden, empfängt die Erde,
und ich zu einem andern sprechen werde:
Suche Dich!
Alfons
Petzold . 1882 - 1923
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