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Alfons Petzold
Totentanz
. 1. Auflage 1923
Lied der Sklaven
Wer hat uns hungern lassen
in lichtlos engen Gassen,
in Löchern feucht und kalt,
und so aus unser'm Hassen
geschmiedet die Gewalt?
Wer hat uns dies Erschauen
der Welt gemacht zum Grauen
und unsre armen Frauen
frühzeitig morsch und alt?
Wer hat in uns das Sehnen
nach froher Brüste Dehnen
verwandelt in ein Leid,
das aus dem Meer der Tränen
verzweiflungsvoll aufschreit?
Wer hat uns jeden Bissen
vom Munde weggerissen,
kam uns ein bessres Wissen
vom Reichtum unsrer Zeit?
Wer hat uns zu den Nöten
des Krieges, um zu töten
mit kaltem Blut gejagt
und bei dem Klang der Flöten
das Mitleid uns versagt?
Wer hat uns so zerbrochen,
daß schon in ein paar Wochen
sich hob der Turm der Knochen,
der alles überragt?
Wer schenkt uns früh den Schragen,
wer füllt mit unsern Tagen
die Kerker übervoll?
O bittre Qual der Fragen,
was zeugst du bittern Groll,
der wie durchrußtes Feuer
aus Burg, Fabrik und Scheuer,
aus jeglichem Gemäuer
seit Weltbeginnen quoll?
Uns Hungrigen der Stille
hat ein geweckter Wille
gelockt auf seine Spur.
In dieser Zeit erfülle
sich unser dunkler Schwur -
der Armen, Unterdrückten,
Vergrollten, Glückentrückten,
der früh ins Grab Geschickten
heiliger Racheschwur.
Lang, lang geheim gehalten,
von grausamen Gewalten
in Hütte und Verließ -
nun soll er sich gestalten,
wie Gott ihn uns verhieß:
So Fluch für Fluch gesprochen,
so Zahn für Zahn gebrochen,
so Aug für Aug gestochen!
Auf, fasset Dolch und Spieß!
Doch freigewordne Hände,
die wollen dieses Ende
der alten Herren nicht;
die große Zeitenwende
weiß höheres Gericht.
Sie sollen mit uns bücken
die feinen, weißen Rücken
und mit uns voll Entzücken
erschaun das gleiche Licht!
Das hat die große Stunde,
die uns im neuen Bunde
vom Kettenzwang befreit,
gegeben als die Kunde
der herrenlosen Zeit:
Nicht Mord und neue Schändung,
nicht neue Not und Blendung -
der Inhalt unsrer Sendung
nennt sich: Gerechtigkeit!
Alfons
Petzold . 1882 - 1923
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