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Alfons Petzold
Totentanz
. 1. Auflage 1923
Wien
Als ich dich ließ, da ballte ich die Hand
zu einer Faust des Hasses gegen dich.
Du hattest mir ja Herz und Hirn verbrannt,
und in der Lunge saß der böse Stich.
Ich fluchte dir solange, bis der Rand
der letzten Häuser grünen Feldern wich,
und ich den Qualm der hunderttausend Essen
im blauen Himmel suchte zu vergessen.
Selbst in der Ferne grollte ich dir noch.
Und zwischen Wiesenduft und Sonnenschein
sog ich Geruch von nassem Zinshausloch
aus einer plötzlichen Erscheinung ein,
sah ich mich wieder unter deinem Joch
hinkeuchend durch der Straßen graue Pein.
Und ob vor mir auch grün das Land gefunkelt
oft hat dein Schatten drüber hingedunkelt.
Du warst mir Moloch, warst der Sage Tier,
das breit und mächtig auf der Erde saß,
und Tag wie Nacht in ungehemmter Gier
der armen Knechte Blut und Knochen fraß.
Dein glühend Auge ruhte auch auf mir,
der ich in ihm mein nahes Ende las,
und in die Nöte meines Siechtums stampfte
dein Eisenleib, den Feuerdunst umdampfte.
Da floh ich dich und wandte nicht das Haupt
in Wehmut, da dein Bild vor mir entschwand.
Mir war nicht so, als wärst du mir geraubt
als meines Lebens schönes Heimatland.
Und als geschehn, an das ich nie geglaubt,
daß ich tief glücklich zwischen Wiesen stand
und Berge sah und Wälder rings im Kreise,
frohlockte ich nach alter Kinderweise.
Doch eines Tags nach langer Zeit geschah's -
ich hielt in meiner Hand ein Zeitungsblatt -
daß ich darin von deinem Elend las,
mit dem der Krieg dich überschüttet hat.
Da dorrte vor den Blicken mir das Gras.
Ich sah nur dich, du meiner Kindheit Stadt,
dich und die alten, wohlbekannten Gassen
verraten und von aller Welt verlassen.
Da fiel der Haß von mir wie Zunder ab.
Vergessen war, was mir in dir geschehn.
Am liebsten hätte ich den Wanderstab
zur Hand genommen, um zu dir zu gehn.
Das grüne Alptal war mir wie ein Grab,
die Berge, ach, ich wollte sie nicht sehn,
denn hinter ihnen hörte ich das Jammern
aus deinem Glanz und deinen Elendskammern.
In mir wuchs Sehnsucht stark und groß empor
nach deiner Plätze steinernem Geviert,
nach deiner Gassen lautem Menschenchor,
in den sich selten ein Gesang verirrt,
nach den Fabriken, wo aus jedem Tor
der Räder Eisen daseinsfordernd klirrt,
nach deinen Winkeln und den scharfen Ecken,
daran der Winde Zunge stetig lecken.
Und Rührung faßte mich, als es mir schien,
als spiele auf der Ziehharmonika
ein Nachbar eine deiner Melodien,
bei der ich mich im Walzer drehen sah.
Mein Herz fing an zu singen: Wien, o Wien!
und - war wie nie vorher dem deinen nah.
Die du mir warst in meinem Leid gestorben -
durch deine Not hab' ich dich neu erworben.
Alfons
Petzold . 1882 - 1923
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