Antithema

Schöne Weltenjungfrau, Gottestochter!
Bist nicht Jungfrau, bist nicht Gottes Tochter!
Bist nicht schön, ein wenig bist du schön nur!
Schwarze Schmiede haben dich geschmiedet,
Braune Mägde füllten dich mit Unrath,
Satan hat dich auf dem Arm gewiegelt,
Gottes Rechte dich hinweggestoßen.
Wo die Satanstatze dich erfaßte
Böse ward dein Dichten und dein Trachten.
Wo dich Gottes edle Hand berührte
Strömt' in dir ein fremder Geist der Sehnsucht.
Hat dir überdieß den Leib durchschnitten
Gottes Lanze mit der seidnen Quaste.
Von der Lanze stammt der wilde Pulsschlag
Und das Bluten und das Athemfieber;
Aber wo die weiße Quaste fächelt
Keimt was unnütz ist und schön und lieblich.

Arme Welt, verstoßner Satansspielball!
Einst in ferner Zeit nach vielen Jahren
Wird sich lindern dein verzehrend Feuer
Und sich mäßigen die Krampfbewegung.
Dumpfen Falles wirst du niederfallen.
Wird dann Amuna die weiße Hündin
Dich erfassen mit der Löwenschnauze
Wird dich schleppen mit erhobnem Nacken
Gen Jerusalem die heilge Hauptstadt
Und dich legen zu des Königs Füßen.
Und der König wird die böse Lanze
Kräftgen Rucks dir aus dem Herzen reißen
Wird den Unrath aus dem Leib dir räumen
Und mit Gold und Rosen dich ergänzen,

Aber hüte dich vor Sarx und Mammon,
Daß sie nicht dich zerren zur Gehenna,

Wo die Schloten rauchen und die Eisen dampfen
Wo vom regen Fleiß der nächtlichen Bewohner
Stets die Berge brüllen aus dem finstren Urwald.


  Carl Spitteler . 1845 - 1924

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