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Extramundana
162 Bücher



Carl Spitteler
Extramundana . 2. Auflage 1905



Antithema

Wollts nicht glauben meine lieben Freunde,
Wollts nicht glauben! ist doch reine Wahrheit!
Reine Wahrheit, schwörs bei meiner Seele!
Selber seh ich doch die schönste Wittfrau
Wie sie angethan im Trauermantel,
Das Gesicht verklärt, im weißen Schleier,
Wandelt durch die dunklen Tannenforsten,
Wo der goldne Sandstaub glänzt am Boden.

Auch den armen lieben guten Goldschmied
Seh ich täglich unterm Galgen hangen,
Hoch am Himmel überm höchsten Thurme
Daß die weichen schönen Goldschmiedslocken
Weithin leuchten in die Weltenlandschaft.

Aber horch! was ist das für ein Heulen
Und ein Keifen und ein garstig Brüllen?
Und es rutscht ein faules schmutzges Sacktuch
An der Himmelsmauer her von Westen,
Das verdeckt mir meinen lieben Goldschmied.
Aerger faßt mich und ich bin verdrießlich.
Daß dich Gott bestrafe, du verruchter
Falscher Arzt mit deinem Wunderdoctor.
Sputet euch, ihr wackern Feuerwerker
Und ihr Kutscher die vermählt mit Mägden,
Daß ihr rasch den Bündel mir ertränket,
Keck mit vielem Wasser, überflüssig,
Ob das Wasser auch zur Erde fließe
Und der Arzt mit Donnerstimme wüthe. -

Doch das Steinewerfen laßt mir bleiben,
Ihr zerstört mir sonst die zarten Blumen.
Lieb' auch nicht die alte Linnenwäsche,
Allzulange fault der Koth am Boden. -

Doch wo sind die Käfer hingerathen?
Die Myriaden unglückselger Käfer
Welche liefen nach der Weltenlandschaft,
Alles Dasein füllend und verzehrend,
Jeder für den Nächsten Ungeziefer
Und dem allgemeinen Weltthum schädlich,
Aber jeder auch mit schweren Leiden,
So mit Sterben als mit bittrem Leben
Büßend, was er selber nicht verschuldet.

Also geht die Sage von den Käfern:
Wird erzählt sie seien noch vorhanden
Und noch mehrten sich die Myriaden
Mit verfluchter stündlicher Vermehrung;
Jeglicher sich selbst zur schweren Plage
Und zur herben Pein zugleich dem Nächsten.

Dessen zum Beweise hat gesagt man:
Von den Wundertröpflein stammt das Leben.
Und das Sterben von dem Gift des Arztes,
Nicht das Sterben bloß, doch auch das Schmerzen
Und das viele bange Schrein und Weinen.
Deßhalb, weil die herrlichste der Frauen
Oft den Goldschmuck um den Arm gewunden
Und mit ihren Blicken ihn gesegnet,
Deßhalb sind die Käfer schön geworden -
(Alle nicht, bei weitem nicht, nur jene,
Welche einst im Ei zu oberst lagen).
Was sodann betrifft den blonden Goldschmied,
Heißt es wegen seiner vielen Thränen
Die da quollen während seiner Arbeit
Und sich legten auf des Armbands Schale:
Daher komm' es, daß der Käfer Herz hat
(Jeder nicht, durchaus nicht, einzig Jener,
Der die Thränen spürte durch die Schale)
Und sich hängt an einen andern Käfer
Den er liebt mit selbstvergeßner Liebe,
Gerne leidend, wenn für ihn er leidet.
Dieses wird gesagt zur Unterstützung.

- Sollts nicht glauben meine lieben Freunde,
Sollts nicht glauben! S 'ist ein albern Märchen!
Niemals gab es einen Lebenskäfer
Niemals auch ein Schreien und ein Weinen,
Noch ein Leben, noch ein bittres Sterben,
Noch ein gegenseitges Ungeziefer.

Wär' es also, müßten wir es wissen,
Müßtens merken und vielleicht auch spüren,
Während doch uns allen wohl bekannt ist,
Wie das Dasein groß und schön und glücklich
Fließt gemüthlich unter unsern Füßen
Stündlich Freuden und Geschenke bringend,
Daß von Jubel wiederhallt der Luftraum.
Und die gute liebe Weltenhenne
Schützt getreulich ihre vielen Kinder
Wunderbaren, allgewaltgen Schutzes,
Also daß im dichtesten Gedränge,
Wenn am Zahltag vor der Gotteskasse
Sich die Sterne stoßen um den Goldstaub
Auch nicht eines jemals ward zertreten
Noch ihm nur gequetscht das feine Füßchen.

Und die Kindlein ihrerseits, die Sanften
Sind sich alle Freund' und wackre Nachbarn,
Nähren sich von Licht- und Aethersuppen,
Und gewähren allzeit gern den Löffel.
Doch wozu, was Jeder kennt, beschreiben?
Glück ist ja ein täglicher Gemeinplatz.

Lieber wollen wir die Frag' ergründen,
Wo der edle großgemuthe Gatte
Ist geblieben nach dem duftgen Brieflein,
Ob er wirklich völlig sich vernichtet
Oder ob vielleicht er ewig lebt noch:

Unlängst schritt ich grimmig durch den Weinberg,
Schwere Unbill auf den Händen tragend,
Ein Geschenk der schwärzlichsten der Jungfraun.
Immer blickt' ich abwärts auf die Hände,
Redete und sprach bei mir mit Knirschen:
"Möchts verzeihen, möcht' es gern verzeihen,
"Gern und ganz und reichlich überzählig
"- Ganz verzeihen ist des Mannes Vorrecht -
"Wenn nur erst die schwärzlichste der Jungfraun,
"Sei's mit einem Wörtchen oder Blickchen,
"Sei's allein mit schmiegenden Gebärden
"Sich als meine Schuldnerin bekännte.
"Aber daß sie ewig unaufhörlich
"Nicht sich schämt der ungerechten Ladung,
"Sondern neue Steine harmlos zuwirft,
"Dieses kann ich einmal nicht verwinden."

Während ich mich so im Weinberg auffraß,
Kam des Wegs entlang der Großgemuthe.
Traurig von Gesicht, doch schön und edel.
Als er schaute meine finstre Laune
Hub er an bescheiden mich zu fragen,
Daß ich ob dem rücksichtsvollen Ernste
Gern ihm anvertraute meine Klage,
Hitzig, wie der Kläger heizt den Richter,
Einzeln Jegliches genau berichtend.
Und er lauschte meinen langen Reden
Freundlich und mit aufmerksamen Blicken,
Nickt' auch dann und wann zum Einverständniß,
Bis er endlich rasch die Frage aufwarf,
Ob ich ihn zum Schiedsgericht erwähle;
Und nachdem ichs freudig angenommen,
Griff er jetzt mit feinem, klugen Lächeln
Nach der groben Last auf meinen Händen
Und mit unvermutheter Gebärde
Stürzt' er plötzlich alles mir zu Boden,
Daß die Steine rollten durch den Weinberg.
Sprachlos stand ich, unbeweglich blieb ich.

Doch er scherzte meines jähen Schreckens,
Legte mir die Hand auf meine Schulter
Und begann mit tröstender Ermahnung:
"Also pfleg ich, lieber Freund, zu richten;
"Hattest Recht, ich will es nicht bestreiten,
"Doch was frommts dir, deines Nächsten Unrecht
"Fleißig aufzuspeichern und zu wägen;
"Selbst erdrückts dich, Jener schläft indessen
"Oder kämmt sich oder liest die Zeitung.
"Wirst nun leichter wandeln durch den Weinberg
"Und dereinst mir danken die Verwarnung."

Länger konnt ich meinen Gram nicht fassen,
Thränen rollten über meine Wangen
Und ich rief und sprach mit bittrem Aerger:
"Warum soll denn immer einzig ich nur
"Mich verbessern und mich überbieten,
"Unbeschränkten, ewigen Verzeihens,
"Weil die Anderen getrost und munter
"Handeln jeder nach der braunen Leber.
"Siehe, wenn die schwärzeste der Jungfraun
"Hat erhascht von mir das kleinste Steinchen,
"Ei wie sorgsam hegt sie's und verpflegt sie's!
"Ei wie zeigt und weist sie's ihren Basen!
"Ei wie schilt sie und wie waidlich schimpft sie!
"Trägt das Steinchen stets bereit im Beutel
"Und wenn eben sichs am mindsten ziemte,
"Kramt sie's mir hervor zum Angedenken."

Wieder tröstete der Großgemuthe:
"Laß sie schelten, laß sie waidlich schimpfen,
"Will sie anders gerne sich verzieren
"Mit des Wunderdoctors Lästerhaube.
"Gönn auch Jedem seine braune Leber,
"Denn als Seele muß sie ihnen dienen.
"Aber handle du nach deinem Werthe,
"Selbst ihn schätzend und ihn überbietend."

Also sprach zu mir der Großgemuthe.

Wollts nicht glauben, meine lieben Brüder,
Wollts nicht glauben, ist doch reine Wahrheit:
Leicht und fröhlich geht sichs durch den Weinberg,
Wenn man hat der Schwärzlichsten verziehen.
Aber wenn man immer unaufhörlich
Wägt ein schweres Unrecht auf den Händen
Ist der Weinberg steil und heiß und steinig.

- Darum, liebe Freunde, werfet muthig
In den Graben die verfluchte Ladung,
Sei sie schwärzlich oder blond von Farbe;
Aber wenn ihrs selber nicht vermöget,
Rufet rasch herbei den Großgemuthen;
Wird euch nicht gereuen, schwörs euch heilig!


  Carl Spitteler . 1845 - 1924






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