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Gedichte, Lyrik, Poesie

Extramundana
162 Bücher



Carl Spitteler
Extramundana . 2. Auflage 1905



Mythus

Ueber Hierusalem der lichten,
Goldnen Veste mit den hundert Thürmen
Schritt einst Adonai, der Himmelskönig,
An der Mauer Zions; neben Satan,
Seinem Gast, dem Fürsten der Gehennah.
Zogen Einer an des Andern Seite,
Schweigend, Adonai mit weichem Sinnen
Dichtend an den fernen Schneegebirgen,
Lauschend nach dem traumumhüllten Eden,
Wo mit dumpfen Donner die Lawinen
Brüllten in dem unsichtbaren Thalgrund,
Während Satan spielte mit den Hunden
Sarx und Mammon, seinen gelben Rüden,
Und sie hetzte mit geheimer Bosheit
Gegen Amuna, die weiße Hündin,
Welche überlegenen Gemüthes
Nicht beachtete den plumpen Angriff
Sondern blinzelnd aus den klugen Augen
Ruhig mit gesenktem Schweif und Antlitz
Schritt vor Adonai, des Meisters Füßen.

Als sie kamen zu der Geistessäule,
Die aus hartem Porphyr schlank und riesig
Sich verjüngt zu nebelhafter Höhe,
Ueberspitzt von feiner Demantnadel,
Wo die Funken glühn und sprühn und knistern,
Wo mit scharfem Blitz die Himmelsadler
Leuchten aus dem schimmernden Gefieder
Schlang der Satan seine starken Arme
Weitausgreifend um die mächtge Säule,
Legte seine Hände an die Bauchung
Rüttelte den Schaft mit kurzem Rucke,
Daß vom Sockel bis zur höchsten Spitze
Bebte das Gestein mit lautem Dröhnen
Und die Himmelsvögel auf der Nadel
Wilden Kreischens auseinanderflohen,
Stemmte überdieß den Fuß zur Erde
Daß, bewegt von seiner kräftgen Ferse
Zitterte die Burg in ihren Tiefen
Und die Mauern und die Zinnen wankten.
Als ihm alles dieses wohlgelungen
Lächelnd sprach der Fürst zu seinem Wirthe:
"Adonai, mein treuer Wirth und Nachbar!
"Ein gerechter Richter ist das Schicksal,
"Welcher billig seine Gaben austheilt,
"Also, daß da Jeglichem das Seine
"Wird zu Theil, dem Einen Glück und Freude,
"Einem Andern Witz und schöne Rede,
"Herrschertugend und Gewalt dem Dritten,
"Doch dem Letzten Leibes-Riesenstärke.
"Darum so wie du an Geist und Schöne
"Unvergleichlich bleibst durch alle Lande
"Also ward mir zum Ersatz gegeben
"Faust und Arm und Bein und jeder Muskel,
"Daß da Niemand wagt mir zu begegnen."

Ihm erwiederte der Himmelskönig:
"Thöricht bleibst du, Satan, jetzt und ewig
"Und die Wahrheit bleibt dir stets verschlossen!
"Denn ein falscher Richter ist das Schicksal,
"Richtet nicht nach Billigkeit und Satzung
"Spricht nach Ansehn der Person und Willkür,
"Allem Volk das Erbtheil unterschlagend
"Daß es, Zins auf Zinsen geizig häufend,
"Einesmals mit Reichthum überschütte
"Einen einzgen auserkornen Günstling.
"- Drum mit nichten ""Jeglichem das Seine""
"Sondern Alles mir, dem Himmelskönig,
"Aber euch den Rest, die Bettelbrocken,
"Also daß in jeglichem Berufe
"So des Leibes als der Seele Arbeit
"Jeder, was er auch vermeint zu können,
"Eitel immer vor mir pfuscht und stümpert."
Sprach zu ihm der Herrscher der Gehennah:
"Adonai, mein sehr verehrter Nachbar!
"Schöne Reden gleichen feisten Pferden,
"Herrlich sprengen sie von Berg zum Thale
"Weil der Kutscher klatscht und peitscht und jubelt.
"Aber unten schleifen sie den Kutscher,
"Schleifen ihn durch Feld und Rohr und Dickicht,
"Nicht wohin er will, wohin er nicht will.
"Darum unbedacht sind deine Worte,
"Würdest nicht sie nochmals wiederholen,
"Möchtest nicht mit Thaten sie verstärken."

Ihm entgegnete der Himmelskönig:
"Wenn ich sage, weiß ich, was ich sage,
"Werd' es ewig Jedem wiederholen,
"Wie ichs wiederhole diese Stunde:
"Was auch immer ihr vermeint zu taugen,
"Sei's in Geistes- oder Körper-Tugend
"Will ich euch verstümpern und verpfuschen.
"Dieses mag ich mit der That erhärten.
"Wo und wann es sei vor Aller Augen."

Also machten sie den Bund und Handschlag.
Setzten eine Frist von hundert Tagen
Daß auf Josaphat dem nackten Hügel
Sich versammelten die beiden Völker,
Um zu prüfen ihrer Helden Thatkraft.
Ueber diesem zogen sie nach Hause,
Bliesen die Trompeten in den Burgen
Und verkündeten die frohe Botschaft.


2.

Und auf Josaphat dem nackten Hügel
Ward ein Wimmeln und ein emsig Regen.
Bauten eine Frohburg um den Kampfplatz,
Zimmerten Gerüste, Bänk und Stufen,
Bunt geschmückt mit Matten und mit Flaggen.

Aber in der nächtlichen Gehenna,
Wo vom Fleiß der rüstigen Bewohner
Stets die Schloten rauchen, und die Berge
Wiederhallen von den Hammerschlägen,
Rief der Satan seine schwarzen Schmiede
Und befahl zu ihnen dies Befehlen:
"Gott zum Gruße, meine schwarzen Schmiede,
"Steigt hinunter nach dem tiefen Bergwerk,
"Holt nicht Edelstein noch Gold noch Silber,
"Sondern holt mir hartes schwarzes Eisen.
"Schaffet es zu einer hohlen Kugel,
"Ründet sie nach meiner eignen Größe
"Daß darin ich liege oder stehe."

Also thaten auch die schwarzen Schmiede,
Holten aus dem Schacht das schwarze Eisen
Und des Herrschers Scheitelhöhe messend
Legten sie denselben Maaßstab kreuzweis
Daß sie richtig ründeten die Kugel.
Neunzig Tage schmiedeten die Schmiede.
Kam der Satan prüfen ihre Arbeit,
Wog die Kugel in den breiten Händen,
Allzuleicht erschien ihm ihre Last da.
Seine braunen Mägde ließ er rufen
Und befahl zu ihnen dieß Befehlen:
"Gott zum Gruße, meine braunen Mägde!
"Steiget auf den Speicher unterm Dache,
"Schwingt die Körbe von den Eichenbolzen
"Daß ihr eilig ziehet vor das Stadtthor,
"Aber leset nicht von Obst und Blumen
"Sondern leset von dem schlechten Kehricht,
"Glas und Scherben und verfaulte Strünke,
"Unkraut und Gewürm und alles Andre,
"Was da immer dienen mag zur Füllniß."

Ihm gehorchten seine braunen Mägde,
Stiegen hurtig nach dem hohen Speicher,
Stießen ihre Körbe von den Bolzen,
Zogen auch zum Kehricht vor dem Stadtthor
Und erfülleten damit das Unwerk.
Sieben Tage mägdeten die Mägde.

Kam der Satan prüfen ihre Arbeit,
Wog die Kugel in den breiten Pranken:
Sich, da rann der Schweiß ihm von der Stirne
Und er lobte seiner Mägde Arbeit.

Als zwei Tage nunmehr noch verblieben
Nahten jetzt auf den Befehl des Herrschers
Alle jungen Männer der Gehenna,
Brachten Stricke her und zähe Seile,
Schlangen sie um das gewaltge Rüstzeug,
Schoben es mit Stangen und mit Sparren
Mühsam auf den niedern, flachen Wagen.

Schelten ward da viel gehört und Schreien.
Was für Rosse wählten sie zum Vorspann?
Zwanzig Stiere wählten sie zum Vorspann,
Büffelstiere mit den schwarzen Bärten.
Tag und Nacht mit Schnauben und mit Schnaufen
Wälzten sie das ungefüge Unwerk
Schleifend auf dem schöngebauten Heerweg.
Oefters frohnt' am Rad die junge Mannschaft.

- Als sie jetzt erschienen an der Gränze
Kam das Himmelsvolk zum Gruß entgegen,
Half dem müden Zug mit frischen Armen.
Gerne wich der Doppelschaar die Ladung.
Aber an dem Hügel angekommen,
Nicht mit Schreien, nicht mit heftgem Reizen,
Nicht mit gegenseitigem Ermahnen
Konnten sie die Kugel bergwärts zwängen,
Allzu klotzig widerstand der Ballast.

Als sie dergestalt sich viele Stunden
Reichlich abgemüht in blinder Ohnmacht
Und es schwanden gänzlich Muth und Hoffnung
Eilten sie zu Adonai dem König
Und begannen mit Geschrei und Flehen:
"Gott zum Gruße, edler Herr und König!
"Gieb die Schlüssel zum gewölbten Stalle,
"Daß wir pfänden deine schweren Rosse."

Ihren Wunsch erlaubte gern der König
Gab den Schlüssel zum gewölbten Stalle.

Und sie pfändeten die schweren Rosse,
Polternd schlugen die den Eichenboden
Stampften strampelnd nach dem lichten Stallhof,
Daß die Hufe klatschten auf dem Pflaster.
Stand ein Flügelpferdchen in der Ecke
Schmuck und fein mit zierlichen Gelenken
Trippelte und scharrte mit den Füßchen
Grüßend mit zurückgebognem Halse. -

Fragte da der Eine zu dem Andern:
"Wollen wir das Thierchen auch gebrauchen
"Oder lassen wirs im warmen Hause?"

Gnädig gab der Andere zur Antwort:
"Dünn und schmächtig sind des Thierchens Beine
"Wollens lassen in dem warmen Hause,
"Daß wir nicht beschädigen das Schätzchen."

Also griffen sie die schweren Rosse
Führten sie hinüber nach dem Rüstzeug
Spannten sie zuvorderst vor die Büffel;
Und getrennt in vielgetheilte Haufen
Eilten sie nun selber an die Arbeit,
Warfen sich in Knäueln an die Speichen
Oder standen längs den strammen Seilen
Oder stemmten an des Wagens Rückwand
Langausliegend mit geducktem Kopfe.
Wer nicht Platz fand dieser zog am Zugvieh.
Als jetzt Alle reiflich sich gerüstet
Und sich gegenseitig wohl verständigt
Schrägen Falles stürzten sie nach vornen.
Ei wie hurtig fuhr der Wagen bergwärts!
Kroch geschwinde durch den krummen Umgang,
Und, erleichtert von dem Freudenjauchzen
Da ihm tausend Kehlen damit dankten,
Lief er stolzen Muthes ohne Zaudern
Schneller stets vom Fuße bis zum Gipfel.
Aber vor dem Gipfel schöpft' er Athem
Stand und sann und überlegte zweifelnd.
- Plötzlich rollt' er jähen Schreckens thalwärts.
Kaum vermochte mit Gebälk und Steinen
Ihm das Volk den Rückweg zu verstauen.
Wer giebt guten Rath in diesen Nöthen?
Holten jetzt das feine Flügelschätzchen.
Tänzelnd sprang es an des Führers Seite
Freien Willens fügt' es sich zum Anspann,
Schwoll und dehnte sich, gestreckten Leibes,
Schenkelstrotzend, blähend mit den Flügeln
Strampelte und pochte mit den Füßchen:
Wer wird eher reißen von den Beiden?
Werden reißen die gespannten Stricke
Oder reißt zuvor das zarte Schätzlein?
Reißen weder die gespannten Stricke
Reißt auch nicht das zarte Flügelschätzlein:
Fröhlich überwindet es die Ladung,
Funken hauend mit den scharfen Schuhen,
Lächelnd aus dem wulstigen Gemäule;
Zieht sie stätig auf den steilen Kegel,
Schafft sie siegreich nach dem flachen Kampfplatz;
Steht daselbst und schnaubt und nießt und wiehert:
Eine Wolke heißen Dampfs umhüllt es.
Also brachten sie die Last zur Stelle.


3.

Ueber diesem kam heran der Kampftag.
Unabsehbar auf der runden Frohburg
Saßen brüderlich die beiden Völker
Sitz an Sitz gedrängt in schwarzen Massen.
Auch die Sonne setzte sich zum Schauspiel
Abseits auf Moria's Tempelstufen;
Und die Himmelsadler auf der Säule
Hingen ruhig an dem harten Porphyr,
Sicher, daß sie trotz dem weiten Abstand
Klar vernähmen jegliches Ereigniß,
Scharfen Blickes aus den kühnen Augen.

Als nun schlug die festgesetzte Stunde,
Traten beide Gegner in den Halbkreis,
Wechselten getreulich Gruß und Handschlag,
Redeten und schwuren lauter Stimme:
"Fest und Freude soll der Kampf bedeuten,
"Also daß er sei ein Spiel und Kurzweil
"Und wohin sich auch der Ausgang wende
"Friede heiß' er ohne jede Rachsucht."

Also schwuren die vereinten Gegner.
Fragte drauf bescheidentlich der Satan:
"Wer wird richten über Sieg und Unsieg?"

Ihm erwiederte der Himmelskönig:
"Du sollst richten über Sieg und Unsieg,
"Also daß ich dich als Sieger preise
"Wenn du's wagst zu fordern nach der Prüfung;
"Während selbst ich mich des Ruhms begebe
"Ohne deine deutliche Erlaubniß."

Ueber diesem trat hervor der Satan,
Streifte weit zurück die beiden Aermel
Schob die derben Hände nach der Kugel
Und den Athem mit den Lippen hemmend
Legt' er sie behutsam in die Rechte,
Schob sie mit des Armes zähen Sehnen
Langsam aufwärts bis zur runden Achsel
Stützte seinen Armbug in die Hüfte,
Also ruhend eine kleine Weile
Kraft zu sammeln zu erneuter Leistung.
Jetzt, die Augen nach der Last geheftet
Links einbiegend den geschmeidgen Körper
Langsam seine Hand im Halbkreis drehend
Stieß er plötzlich jähen Rucks nach oben,
Daß getragen von der Muskelsäule
In den Lüften hing das schwere Eisen.
Lauter Zuruf grüßte seine Arbeit.
Lange trank der Held den süßen Beifall
Schöpfend Muth zum letzten schweren Wagniß,
Bis er endlich mit verzerrtem Antlitz
Weit gesperrt die blutgetränkten Augen
Ließ den hartgestreiften Arm nach vornen
Ruck um Ruck mit Zittern niederfallen,
Stets verdoppelnd die gewaltge Hemmkraft;
Während jetzt das träge Ungeheuer
Da es witterte den weichen Erdpfuhl
Plötzlich sich begann zu widerspensten
Und mit ungebärdigem Verlangen,
Stampfend mit den schwarzen Eisenstiefeln,
Abwärts stieß nach dem geliebten Kissen.
Fletschte da der Satan mit den Zähnen
Und die Haare standen ihm zu Berge.
Wie er dann den Viertelskreis vollendet
Und der Arm ihm schwankend stand zur Wage
Mühsam konnt' er seinem stolzen Gegner
Noch die Waffe hastig übergeben:
Von der Drangsal schwanden ihm die Sinne.
Aber beide Völker auf der Frohburg
Weckten ihn mit donnerndem Gejauchze
Schrien ihm seinen Namen um die Ohren
Und begehrten zärtlich seinen Anblick.
Rasch genas er da von seinen Leiden.
Adonai inzwischen hielt den Spielball
Ruhig auswärts wie er ihn empfangen
Zog nicht wieder sich die starke Rechte
Schaute nicht hinüber nach dem Werkzeug
Schaute seinem Gegner fest ins Auge.
Drob verwunderte das viele Volk sich;
Stille ward es auf den runden Bänken
Und ein Jeglicher verbot den Athem.
Wie nun immerwährend unbeweglich
In der Wage stand des Königs Armbug
Auch kein Zittern sich verrieth noch Zweifeln
Und sein Antlitz blickte frei und heiter
Da geschah ein tausendstimmig Seufzen,
Aus dem Seufzen ward ein dumpfes Murren,
Aus dem Murren ein bewegtes Brausen,
Aus dem Brausen ein verwognes Toben,
Ganz von Sinnen raste jetzt der Beifall.
Und vor Neid vergilbete der Satan.
Niemals müde ward der Held und König
Niemals auch das Volk in seiner Tollheit. -
- Und die Sonne auf Morias Stufen
Lugte staunend nach dem hehren Kampfspiel
Ihres Amts vergessend, nicht beachtend
Wie die Stunden hinter ihrem Rücken
Leise öffneten die Tempelpforte
Und, behutsam guckend nach der Herrin,
Schlichen sachte durch die schmale Spalte
Wo sie nun bescheidenen Betragens
Standen vor der Thür des Winks gewärtig.
Aber als um Mitternacht der Wächter
Klingelte und klapperte im Vorhof,
Und der strenge Tag, verschlafnen Rufes,
Weckte seine vierundzwanzig Mägdlein,
Wagte sich die Größte an die Herrin
Und begann mit zierlichem Verneigen:
"Liebe Sonne, meine gute Herrin!
"Was gebietet uns dein heilger Wille?
"Sollen wir vielleicht die jüngre Reihe
"Vor uns ziehen lassen auf die Wallfahrt?
"Oder sollen wir allein vorangehn?

Hastig sprang die Sonne von dem Sitz auf,
Schlug das Kleid und glättete die Stirne,
Schalt und sprach mit ängstlichen Gebärden:
"Holde Mägdlein, meine süßen Tauben!
"Allzugroß ist eure reine Demuth,
"Daß ihr Eure pflichtvergeßne Herrin
"Nicht ermahntet mit gerechtem Strafen.
"Aber laßt uns nunmehr hurtig laufen,
"Daß vielleicht wir heilen die Versäumniß."

Also sprechend faßte sie den Krummstab
Hing die goldne Schleppe in den Gürtel
Schob und ordnete die süßen Mägdlein
Orgelweise eines hinters andre,
Stellte sich sodann an ihre Spitze
Und, erhebend ihren Zeigefinger,
Nochmals rückwärts blickend zum Verständniß,
Gab sie an den frommen Pilgerreigen
Und begann mit schnellem Lauf die Reise. -
Ei wie sprangen da die süßen Mägdlein!
Emsig drehend die Minutenkränze,
Fröhlich singend ohne Maaß noch Gleichlaut
Wie es eben kam, mit heller Stimme,
Abgestoßen von den kurzen Sprüngen
Abgebrochen auch vom hastgen Laufe. -
Lieblich tönt' aus Kindermund der Mißlaut.

Unterdessen stand und stand der König
Einem Bilde gleich in stolzem Frieden.
Anzubeten hob das Volk die Hände.
Aber als er nunmehr sah die Sonne,
Wie sie eilte nach den nahen Alpen,
Packt' er plötzlich seinen Riesenspielball
Mit den beiden Händen, riß ihn an sich,
Lud ihn rüstig auf die rechte Schulter,
Faßte mit der linken Faust den Gegner
Und begleitet von der treuen Hündin,
Die mit Bellen und mit freudgem Winseln
Ihn umtänzelte mit großen Sprüngen,
Schritt er gleichen Schrittes aus dem Kampfplatz,
Schritt hinunter nach dem Teich Bethesda,
Von dem Teich Bethesda nach dem Stadtthor,
Durch das Stadtthor in die Davidstraße,
Welche breit und licht mit sanfter Neigung
Steigt durch Hierusalem die Altstadt
Mit den schmutzgen krummgebauten Gäßchen,
Mit dem goldnen Thurm- und Dachgewimmel,
Gegen Zions gartenfrohe Haine.

Als er eben zwischen den Cypressen
Zog empor zum königlichen Hause,
Stürzte sich das Volk in dichten Haufen
Drängend abwärts in die engen Gassen
Kamen ihm zuvor auf schmalen Pfaden
Kletterten durch Cactus und Geranien
An der steilen Felswand nach dem Schloßplatz.
Wo sie nun sich stellten auf die Zinnen
Oder klebten rings an Thür und Fenstern,
Gierig spähend nach des Königs Ankunft.

Ueber eine kleine Zeit erschien er
Hellen Blicks mit sieggewissen Schritten,
Vor ihm springend Amuna die Hündin,
Hinter ihm mit scheelem Neid der Satan.

Als er sah vom Volk versperrt die Mauer
Sucht' er mit den Augen einen Ausweg:
Eine Schanze lugte vor dem Schloßplatz
Weithinaus auf schwindelhaftem Vorsprung
An der Schanzen-Spitze gähnt' ein Stückrohr
Drohend nach der nächtlichen Gehenna;
Doch das Thor der Schanze war verrammelt.
Raschen Blicks entschloß der kühne Held sich,
Lud die Kugel in den rechten Armbug,
Klemmte sie an Hals und Stirn und Wange,
Und das Gitter mit der linken fassend,
Seine Zehen zwängend durch die Spalten,
Hing er rücklings mit gekrümmtem Körper;
Schwang sich alsdann steigend auf den Querbaum
Daß die Sonne überm Schneegebirge
Sich zum andern Mal vergaß am Schauspiel
Und zurückgewandten Hauptes, lächelnd,
Ruhte mit erhobnem Wanderstabe;
Weil die Mägdlein auf den Zehen stehend,
Jede sich auf ihre Freundin stützend,
Sich vergrößerten mit langen Hälsen.

Von dem Querbaum sprang er jenseits nieder,
- Eines Satzes sprang ihm nach die Hündin -
Eilte laufend nach dem letzten Vorsprung,
Hüpfte gleichen Fußes auf das Bollwerk
Und den rechten grabend in den Erdwall
Und den linkend pflanzend auf das Stückrohr
Zerrt' er seinen Mantel von den Schultern,
Schleudert' ihn mit weitem Wurfe von sich,
Lockert' um die Brust den Scharlachkittel
- Doch den Lendengürtel schnallt' er fester
Mit der linken Hand und mit den Zähnen -
Weil die Bürger stehend auf der Mauer,
Schauten mit Entsetzen diese Vorsicht,
Ahnend eine unerhörte Leistung.

Jetzt ergriff der König seine Waffe
Schaukelte sie schwingend auf- und abwärts,
Schlug sie hin und her in beiden Händen,
Stampfte, trat und stemmte mit den Sohlen -
- Plötzlich funkelte sein großes Auge
Und die Arme heftig rückwärts reißend
Schnellt' er ab den ungeheuren Spielball.
Daß die Kugel mit gewaltgem Bogen
Durch die Lüfte wirbelte und rauschte
Und ein tausendstimmges Siegesjauchzen
Sich erhob von Mauern und von Fenstern.

- Doch die Himmelsadler auf der Säule
Schlugen brausend mit den Sichelschwingen,
Stürmten langgezognen schrillen Pfiffes,
Dichten Schauers nach dem finstern Scheusal,
Reizten es mit ihren krummen Fängen,
Stießen ihm die Schnäbel in die Weichen.

- Sarx und Mammon auch, die Riesenhunde,
Bollen wüthend nach dem fremden Vogel,
Rannten blindlings nach der tiefen Altstadt,
(Abwärts kugelnd an der steilen Felswand)
Von der Altstadt nach dem grünen Hügel
Giftig beißend in den flüchtgen Schatten.

- Aber Amuna die treue Hündin
Bettelte und heult' und weinte kläglich
Mit den Füßen kratzend auf dem Erdwall,
Bis sie unvermuthet jähen Sprunges
Sprang hinunter nach dem duftgen Abgrund

Ueber all die Dächer und die Häuser
Jenseits nach dem sanften grünen Hügel,
Wo sie flink die Rüden übereilte,
Lautlos schwimmend mit gestreckten Armen,
Doch gekrümmten Rückens, gleich dem Spannwurm,
Ueber Felder über saftge Matten:
- Lieblich schien das weiße Band im Rasen. -

Unterdessen flog und flog die Kugel,
Flog mit ungebändigtem Entsetzen
Ob den wilden Jägern sie entfliehe.
Was gebärt sie aus dem schwarzen Bauche?
Finstern Rauch und Qualm und Dunst gebärt sie;
Aus dem Qualme züngeln rothe Flammen.

Schwang sich da der König von dem Querholz,
Eilte zornesmutig nach dem Schlosse,
Holte die gestählte scharfe Lanze,
Die gestählte mit der seidnen Quaste,
Wischte kurzen Winkes klar die Mauer
Und, den schlanken Speerschaft rückwärts werfend,
Daß die Stange kitzelte den Boden,
Zielt' er blitzend mit den Augensternen,
Oeffnete die linke Hand zur Schwebe
Tänzelte ein wenig auf den Zehen:

Sausend fuhr der Speer ihm aus der Rechten,
Zischte pfeilgerade durch die Lüfte
Mit dem Schweife bebend vor Erregung
Doch den schmalen Schnabel fest gerichtet,
Unzugänglich jeglicher Verführung
Ob auch weit und offen war der Spielraum,
Gleichen Anblicks ohne Weg und Compaß,
Ob die Himmelsadler ihn umschwirrten
Und mit gaukelhaften Winkelzügen
Ihm verblendeten sein feines Antlitz.

- Seine Wimpern schloß der treue Bote,
Blindlings führt' er aus des Herren Auftrag;
Traf die Feindin richtig auf den Nabel,
Schnitt sie mitten durch mit wildem Ingrimm,
Und es platzt' und barst der große Wanst ihr.
Grellen Aufscheins loderte die Lohe
Hoch empor aus der gezackten Wunde
Und das vielgestalte Eingeweide
Schoß mit jäher Flucht nach allen Landen,
Bunten Regens, schön gemalt vom Feuer,
Blau und grün und silbern gleich den Käfern
Wenn sie spielen in den Sommernächten.

Aber jetzt geschah ein seltsam Wunder:
Nicht zu Boden fiel der Funkenregen.
Ihn beherrschte der gewaltge Handstoß,
Daß die vielen Sterne einzelweise
Folgten der gemeinen Vorschrift, wirbelnd,
Kreiselnd, unverständlichen Gewimmels,
Aber auch nicht eines fiel zu Boden.
Als die beiden Völker von der Mauer
Schauten dieses unerhörte Kraftspiel,
Nicht begnügten sie sich mehr mit Beifall,
Nicht mit Siegesruf und frohem Schreien:
Zu dem Helden stürmte jetzt die Menge,
Stieß und drängte sich vor ihm zur Erde,
Ihm zu küssen Knie und Kleid und Schulter.
Kaum bestand der König vor dem Anprall
Und vom Lärm vertaubten seine Sinne. -

- Horch! was brüllt und donnert aus der Ferne
Dick von Luft umhüllt mit weichem Schlage?
Reitet auf dem fürchterlichen Schlitten
Die Lawine vom Gebirg zum Thalgrund?
Oder singt im Bergschacht die Gehenna?
Gierig stürzt das Volk sich auf die Brustwehr
Bei den Augen fragend nach den Ohren.

Doch der König lächelt' ihrer Neugier:
Nur der Nachhall ist's des heißen Blendwerks;
Ob der weiten Reise zögerte die Ankunft.

- Seines armen Gegners jetzt gedacht' er,
Sieh, da stand der Satan hinterm Brunnen,
Biß den Schnurrbart mit den bleichen Lippen,
Duckte sich und schielte grollend seitwärts;
Und die Himmelsknaben sammt den Mädchen
Neckten ihn in frohen Ringelreigen,
Und die Himmelsdohlen sammt den Krähen
Spieen rücklings fliehend ihm ins Haupthaar
Und die Himmels-allgemeinen Hunde
Hoben kläffend gegen ihn das Bein auf.
Lachend naht' ihm Adonai der König,
Schlug ihm kräftig auf die starken Schultern,
Drückt ihm aufwärts Bart und Kinn und Antlitz
Und begann mit tröstendem Ermuntern:
"Muth zum Gruß, mein lieber Gast und Nachbar!
"Gerne hätt' ich dir erspart die Kränkung.
"Aber selber hast du sie erbeten,
"Da du nicht gehorchtest meiner Warnung,
"Als ich klar und deutlich dir verkündet:
"Stümper seid ihr Alle sammt und sonders,
"- Nicht in dieser oder jener Hinsicht,
"Sondern durch und durch, von ganzem Herzen.
"Wählt sich Jeder ein geringes Handwerk,
"Da er drinnen wühlt sein langes Leben,
"Andres kann er nicht, doch dieses Eine,
"Wenn man näher zusieht, kann er auch nicht.
"Also ist's und bleibt's und wird es bleiben.
"Wahrlich keineswegs zu meiner Freude:
"Lieber wohnt' ich unter meines gleichen.
"- Doch was nützen je vernünftge Reden?
"Laß uns speisen nach der wackren Arbeit
"Und dahinten bleibe Groll und Scheelsucht."

Sprachs und führt' ihn sanften Zwangs von hinnen.
Widerwillig gern gehorchte Jener.


  Carl Spitteler . 1845 - 1924






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