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Gedichte, Lyrik, Poesie

Extramundana
162 Bücher



Carl Spitteler
Extramundana . 2. Auflage 1905



Mythus

Imperator Optimus Augustus
Caesar und Unumvir Munditaniens
Lag im Sterben. Heimliche Gerüchte
Aengstigten die Hauptstadt Albalonga,
Weil man munkelte von neuen Dingen,
Die der Volkstribun Sempronius Brutus
Vorbereite auf den Tod des Caesars
Aufgehetzt von seines Weibes Ehrgeiz,
Der berüchtigten Natura Rerum,
Tückisch und verwegen an Gesinnung
Und barbarischer, gemeiner Herkunft,
Gierig an den edlen Senatoren
Sich zu rächen für die eigne Schande.

- Als nun nach der heilgen Aerzte Ausspruch
Wenge Stunden nur dem Caesar blieben,
Eine Volksversammlung auf dem Forum
Ließ der falsche Volkstribun befehlen,
Volksversammlung nicht vom ganzen Volke,
Sondern Volksversammlung seines Anhangs,
Des verruchten neidischen Gelichters,
Unbedeutend zwar an geistgem Werthe
Aber stark an Fäusten und an Anzahl
Ueberdieß bereit zu jeder Schandthat.
Ließ auch öffnen die Gefängnißpforten
Und den Uebelthätern Waffen leihen.
Und verstärkt von vielen tausend Sklaven,
Welche, angelockt vom Schein der Freiheit
Und von Rachsucht und von Beutegierde,
Gern sich schlossen an das Volk der Zukunft,
Lief die garstge Masse nach dem Forum,
Drohend unter lärmenden Gebärden
Und den Zutritt wehrend allen Guten.

Prustend stieg jetzt Brutus auf die Bühne
Und mit Brüllen und mit Armverwerfen
Und gemeinen Worten - zum Verständniß -
Schenkt' er aus dem Volkstribunenmaule
Die beliebte stets begehrte Rede
Von den Großen, die am Marke saugen,
Und den Reichen, die mit Schweiß sich mästen,
Und so weiter, wie es Recht und Brauch ist.
Thät auch nicht den Widerpart vergessen,
Die betrogenen, verrathnen Schäfchen,
Tugendhaft und rein im weißen Herzchen,
Daß kein graues Fleckchen sie verunziert.

Lauter Zuruf lohnte seiner Großthat
Und mit eingestimmtem Volksbeschlusse
Stimmten sie den Thron für leer und ledig.
Blieben auch beisammen in den Waffen
Zu erkämpfen ihrer Launen Freiheit.

Aber auf dem Hügel Palatinus
Lag der todeskranke Imperator,
Um ihn her die edlen Senatoren.

Seine beiden Kinder ließ er rufen,
Homo Optimanus, seinen Erben,
Und Lucilia, das feine Mägdlein.
Ließ sie knieen neben seinem Bette
Und begann mit leiser, schwacher Stimme:
"Meine Kinder, meine lieben Kinder,
Wohl ist's schmerzlich mir, von euch zu scheiden,
Schmerzlich mehr als meine Todesschmerzen,
Aber doppelt schmerzt mich das Bewußtsein
Eures harten, leidenvollen Schicksals.
Werdet Schweres Leiden, liebe Kinder,
Wohl vernehm ich von der Albalonga
Die bekannten, fürchterlichen Töne,
Den gereizten, wuthentbrannten Pöbel
Und das Brüllen seiner Volkstribunen.
Wenn ich kaum das müde Aug' geschlossen,
Statt des Weinens und der sanften Trauer,
Statt des Mitgefühls verwandter Freunde
Werdet ihr erdulden kalte Feindschaft,
Feindschaft unversöhnlichen Charakters,
Die euch nie verzeiht das edle Wesen
Und die reine kindliche Gesinnung;
Werden euch berauben und verstoßen,
Daß in eurem kleinen zarten Alter,
Wo die Andern noch mit trauten Spielen
Sich vergessen unterm Blick der Eltern,
Ihr erproben müßt den jungen Willen
Und bethätigen die edle Abkunft.
Kann euch nicht beschützen, liebe Kinder,
Mir versagt das langgewohnte Leben.
Würd' ich leben, meine lieben Kinder,
Diese Stunde eilt' ich auf das Forum,
Ohne Waffen, nur mit meinem Ingrimm,
Würde mit dem Zucken meiner Brauen
Und mit meines Herrscherblicks Verachtung
Bändigen den frevelhaften Aufruhr
Und die schlechte Rotte vor mir scheuchen,

Wie der Bauer scheucht den Gaul vom Repsfeld.
- Aber hört nun meinen letzten Willen,
Und ihr Senatoren seid mir Zeugen:
Homo Optimanus, du mein Erbe,
Kraft der Vollmacht meines heilgen Amtes,
Ich ernenn und segne dich zum Caesar,
Caesar des gesammten Munditaniens,
Daß dir dienen sollen alle Völker,
So das unterthane Stadt- und Landvolk
Als die Ritter und die Senatoren.
Wärest du erwachsen, Optimanus,
Würd' ich also, Caesar, zu dir sprechen:
Sammle um dein Haus die edlen Ritter
Und die Senatoren, und vom Volke
Welche gut gesinnt und treu geblieben,
Und behaupte deine hohe Würde
Kräftig von den Meutrern dich befreiend
Oder unterliegend wenn es sein muß.
Aber da du jeglicher Erfahrung
Noch entbehrst und fremden Rath bedürftest, -
Andre Worte muß ich zu dir sprechen:
Warte nicht, mein Sohn, auf meinen Hinscheid,
Daß nicht die verruchten Volksbethörer
Deiner sich bemächtgen und dich strafen,
Sei es vor dem Pöbel dich verhöhnend,
Sei es bittern Todes dich ermordend
Oder auch in Kerkern dich verschließend,
Sondern flüchte noch in dieser Stunde
Unterm Schutze zweier Senatoren,
Pater, des gewaltgen starken Helden,
Und des treuen opferfreudgen Mater.
Vor der fernsten Gränze Munditaniens
Abgelegen in dem tiefsten Thale
An der blauen Bergeskette Coelum
Liegt verborgen eine kleine Insel,
Tellus, kaum bekannt und fast vergessen,
Nur allein bewohnt von flüchtgen Mördern
Oder wer da sonst die Brüder meidet;
Diese wähle dir zur Zufluchtsstätte.
Aber ehe du von hinnen flüchtest
Sollst du retten deine Amtsinsignien,
Magnanimitas, den Purpurmantel,
Und Clementia, die Kaiserkrone,
Daß sie nicht die rohe Schaar vernichte.
Auf der Insel sollst du ewig bleiben,
Alles Leid und jegliche Entbehrung
Großen Herzens mit Geduld ertragend,
Denkend deiner einstigen Erhöhung,
Während dir der heilge Tempeladler
Nächtlich fliegend mit geheimem Fluge,
Wird der Seele Nahrung überbringen,
Animus, den starken Quell des Geistes,
Neben Anima, dem Athemstrome.
Also dulde du und schweig und bete,
Wachsend an den Gliedern deines Leibes,
Wachsend auch an stolzem Seelenmuthe,
Bis vor üppger Ueberkraft du strotzest
Und dein Geist ist jeder That gewachsen.
Dann erscheine aus der Sebstverbannung
Und erkämpfe dir dein eigen Erbtheil.
Aber wolle unreif nicht erscheinen,
Daß du nicht den Siegespreis verlierest.
Dieses Zeichen diene dir als Zeitpunkt:
Wenn dir leicht erscheint die Kaiserkrone,
Wenn der weite, faltenreiche Mantel
Dir die Brust mit knappem Ring umgürtet
Dann erscheine von dem fernen Eiland."

Und zu seiner Tochter jetzt gewendet:
"Holde Tochter, deiner Mutter Abbild,
Schon aus deinen feinen Kindermienen
Seh ich keimen das erhabne Antlitz
Strengen priesterlichen Eigenwillens,
Blitzend aus dem mitternächtgen Auge
Und befehlend aus den schmalen Lippen.
Gerne würd' ich schauen dieses Wunder.
Aber halte nun getreu und redlich
Fest am Angedenken deines Bruders,
Deines anverlobten Herrn und Gatten,
Ihm in Keuschheit deinen Leib bereitend
Und in Demuth rüstend deine Seele.
Sollst doch nicht das Schicksal mit ihm theilen,
Ihn begleitend in die Selbstverbannung,
Mußt inmitten unsrer grimmen Feinde
Wohnen auf dem Hügel Palatinus
Zu erfüllen deine Priesterpflichten.
Denn du weißt es: keinem andern Wesen,
Weder mir noch deinem edlen Bruder,
Weder irgend einem aus dem Volke
Ist's erlaubt den Tempel zu betreten.
Würd' erblinden vor dem großen Lichte
Und vom allzuvielen Odem sterben.
Keinem Andern auch gehorcht der Adler
Und die starken heilgen Tempelwölfe,
Jeden Andern würden sie zerfleischen.
Einzig du mit deinem lichten Namen
Bist im Stande sie zu überwinden,
Daß sie ihre zauberhaften Kräfte
Nicht gebrauchen zu des Volks Verderben
Sondern müssen dienen meinem Hause,
Licht und Athem spendend und die Völker
Speisend aus dem Baum des ewgen Lebens.
Halte treulich aus in deiner Arbeit
Täglich übend deine Heilgen Pflichten,
Ob dasselbe Volk, für das du dienest,
Auch dich schmähe wegen deines Vaters
Und für deinen Bruder dich beschimpfe.
Feindesdienst ist das Geschäft der Priester
Und das edle Blut vom Haus Augustus
Heißt uns segnen unsre Unterthanen,
Segnen, während sie uns selbst ermorden.
Werden dennoch schwerlich dich ermorden
Noch dich irgend greifen und berühren,
Weil sie fürchten deinen lichten Namen
Und auch deinen Tempeldienst gebrauchen,
Da dich Niemand irgend kann ersetzen.
Müssen sich begnügen dir mit Spotten
Und gemeinen Scherzen und Gebärden
Zu beleidigen die Priesterseele.
Wirst es dulden ohne Fleck und Schaden
Wie der Demant duldet unterm Schmutze.
- Gieb auch deinem Bruder täglich Zeichen,
Zeichen deiner wandellosen Treue,
Daß er in der schaurigen Verbannung
Nicht in bangen Zweifeln sich zerquäle.
Dieses Zeichen gieb ihm zum Beweise:
Laß die Heerde deiner heilgen Wölfe
Grasen auf dem blauen Bergstock Coelum.
Zwar die Wölfin mit den vielen Kindern
Heerdenweis am Abend bis zum Morgen,
Aber Lucifer den grimmen Wolfsbock
Einsam an des Tages andrer Hälfte,
Daß er nicht die kleinen Wölflein fresse.
Wenn du aber schreist vor Noth und Drangsal
Laß ihn's wissen, daß er für dich bete.
Also laß ihn's wissen: Nimm ein Wölflein
Und den langen Schweif mit Stroh umwickle
Feuer legend in den langen Strohwisch,
Daß es hastig springe durchs Gebirge.
Also laß ihn wissen deine Drangsal.
Ueber dieses, meine lieben Kinder,
Gott befohlen, kann euch nichts mehr sagen."

Sprachs und wälzte sich in seinen Schmerzen.
Und sie nahmen Homo Optimanus
Mühsam weg von seines Vaters Bette,
Uebergaben ihn den Senatoren
Pater neben dem getreuen Mater,
Welche durch versteckte Treppengänge
Abwärts hinterm Hügel Palatinus
Ihn geleiteten zum freien Felde
Und durch ungezählte Städt' und Länder
Nach der Insel Tellus unterm Coelum.

Kaum daß Optimanus war gerettet
Stürmte Brutus mit dem schnöden Haufen,
Nicht erwartend ihres Herrschers Hinscheid,
Nach dem stolzen kaiserlichen Schlosse,
Tödteten die Wachen an den Pforten
Und ermordeten die Senatoren.
Griffen auch den sterbenskranken Caesar
Und mit Schlägen und mit rohen Späßen
Schleppten sie ihn nach den niedern Straßen,
Von den niedern Straßen nach der Brücke,
Von der Brücke in den tiefen Abgrund.
Suchten drauf den Caesar Optimanus
Unter wilden tobenden Gebärden
Alle Dinge vor sich her zertrümmernd.
Wie sie nun umsonst den Knaben suchten,
Zum Tribunen schleppten sie die Schwester
Und verlangten brüllend sie zum Opfer.

Neben seinem siegestrunknen Weibe
Saß der Volkstribun im Kaiserthrone,
Angethan mit dem geraubten Reichthum
Und befleckt mit Senatorenblute.
Schnaubend fuhr er an das feine Mägdlein:
"Kleine Schlange aus verfluchtem Neste,
Sprich, wo ist dein Bruder aufgehoben,
Sicher kennst du seine Zufluchtsstätte,
Oder selber mußt du für ihn büßen."

Kühn erwiederte das feine Mägdlein,
Blitze sprühend aus den dunklen Augen:
"Feiger Mörder! Scheußlichster der Henker!
Sicher ist mein Bruder aufgehoben,
Freilich kenn ich seine Zufluchtsstätte
Und ich will ihn tränken und ernähren
Und ihn aufbehalten auf die Hochzeit,
Wenn er kommt, zu rächen seinen Vater
Triumphirend durch die breiten Straßen
Und verscheuchend deinen schlechten Anhang.
Will mit weiten Armen ihn empfangen
Und ihm küssen seine Heldenlippen
Und ihm flüstern süßes Brautgeflüster
Und ein Brautgeschenk von ihm erflüstern.
Dieß zum Brautgeschenk will ich erflüstern:
""Caesar Optimanus, mein Geliebter,
Schön und herrlich ist des Herrschers Gnade,
Magst verzeihen sämmtlichem Gelichter,
So den Aufruhr als den Raub der Güter,
So die deinen als die meinen Leiden,
Aber daß sie deinen kranken Vater
Haben lebend durch die Stadt gerissen
Und zerschmettert in dem tiefen Abgrund,
Dieses schenke mir zum eignen Rechte,
Mir der treuen anverlobten Jungfrau,
Die ich's selbst mit eignen Augen ansah.""
Wills ihm ewig unter süßem Schmeicheln
Mit des Weibes abgefeimter Arglist
Ewig immer flüstern und erflüstern
Bis er mir gewährt die schöne Gabe.

Und im Circus Maximus ein Festspiel
Will ich gönnen dem gesammten Volke,
Trautes Festspiel, köstlich zubereitet:
Angenagelt an verfluchten Kreuzen
Sollen sich die feigen Mörder krümmen
- Hab sie wohl gemerkt und aufbehalten,
- Gott verspare sie auf jenen Festtag -
Aber selber du, Sempronius Brutus,
Festgebunden am erhöhten Pfahle,
Sollst erfahren meines Wolfbocks Tugend,
Lucifer, des frommgesinnten Hündchens,
Aufrecht stehend auf den Hinterpfoten
Soll er dir in deinem Leibe schmausen,
Allem Volk zur herrlichen Erbauung,
Aber mir zur Herzenslust und Wonne.
Neben dir dein Weib Natura Rerum,
Aller Welt zum Hohn und zum Gelächter,
Weisend ihre plumpen, schnöden Glieder,
Unter ihr die vielen kleinen Wölflein,
Gierig springend nach der leckern Beute,
Weil die Wölfin, ihre gute Mutter,
Dann und wann mit gnadenvollem Mitleid
Ihnen reißt ein Lendenstück herunter,
Seitwärts blickend, ekelnden Gebahrens
Und erbrechend den verschuckten Unrath.
Danken will ich dann den sanften Thierchen
Und sie streicheln für die fromme Arbeit."

Also sprach Lucilia das Mägdlein.
Ei wie zischte da Natura Rerum,
Ei wie brüllte der ergrimmte Brutus,
Stürmten selber wider die Verwegne
Sie zu schlagen und sie zu zerfleischen.

Horch, da naht' ein banges Hilferufen
Und von allen Seiten durch die Gänge
Drängte schreiend ein entsetzter Haufe,
Warf sich zu des Volkstribunen Füßen
Und begann mit angsterstickter Stimme:

"Hilf uns Brutus! hilf uns, Freund des Volkes!
In dem Tempel grollt und droht die Gottheit
Grauenvoller Wunderoffenbarung.
Heulend sammeln sich die heilgen Wölfe,
Seitwärts stehend der gewaltge Wolfbock,
Schüttelnd seinen gelben Löwennacken,
Weil die weiße Wölfin mit den Kleinen
Langen Zugs vom Hügel Vatikanus
Schickt sich an zur niedern Stadt zu reisen.

Aber riesenungeheuren Schattens
Auf dem Tempel sitzt der schwarze Adler,
Ausgeflogen aus des Daches Oeffnung,
Gellen Rufes sitzt er auf dem Giebel,
Mit den Füßen stampfend in dem Marmor,
Doch mit seinen ungeschlachten Flügeln
Nacht und Sturm und rothes Feuer schlagend,
Daß die Lüfte wirbelnd sich bewegen
Und der Boden dröhnt und bebt und zittert."

Eben hatten sie den Spruch geendet,
Da ertönt' ein wild Geheul und Toben
Und mit Stöcken und mit blanken Waffen
Stieß herein ein wuthentbrannter Pöbel,
Schrie und rief mit fürchterlichem Drohen:
"Hilf uns, Brutus! hilf uns, Feind des Volkes!
Rasch versiegen überall die Quellen
So die Athemquellen als der Lichtstrom,
Die sich nähren aus dem heilgen Tempel,
Wenn du ungesäumt nicht Hilfe findest,
Ist verwirkt des ganzen Volkes Leben."

Also sprechend packten sie das Schandpaar,
So den Volkstribun als die Tribunen,
Und verschworen sich zu ihrem Tode
Wenig nützte Brutus jetzt sein Maulwerk,
Noch dem schnöden Weib ihr Angst-Gezeter,
Niemand rührte sich zu ihrer Rettung,
Weil von unten aus der Albalonga
Sich das ganze Volk in heftgem Aufruhr
Wälzte nach dem kaiserlichen Schlosse.

Da gedachten sie des heilgen Mägdleins,
Kläglich flehten sie mit Händeringen:
"Heilges Mägdlein, unsre gute Herrin!
Nimm dich an des nothbedrängten Volkes
Und befrei uns von den grausen Wundern!
Wollens lohnen dir mit reichem Lohne,
Dich verehrend und dich schön bedienend."

Höhnisch tröstete das heilge Mägdlein:
"Unbesorgt! ihr theuren lieben Freunde!
Will euch retten und euch ängstlich dienen,
Auch mit Zärtlichkeit euch immer pflegen,
Wie man zärtlich pflegt ein theures Hausschwein,
Daß es wohlgemäst und fett und glänzend
Geh einher am frohen Fest des Schlachttags."

Und begleitet von dem schlechten Haufen,
Welcher fromm sie schonte und beschützte,
Schritt sie nach der niedern Albalonga,
Ueberdieß zum Hügel Vaticanus,
Hinter ihr das ganze Volk mit Danken.
Als sie kam zum Hügel Vaticanus
Kehrte sie sich um und sprach zum Volke:

"Liebe Bürger, treue Unterthanen!
Unterthan dem edlen Caesar Homo,
Haltet stille unterm heilgen Hügel
Oder auch zerstreuet euch nach Hause!
Daß kein Fuß die Gränze überschreite
Und kein Wort die Arbeit mir zerstöre
Bis den Quell ich wiederum erschlossen
Und gebändiget die heilgen Thiere
Und bestellt und überwacht die Ordnung,
Zwanzig Stunden mit Gebet und Fasten.
Wenn nach zwanzig Stunden ich erscheine
Mit empor gehobnem rechten Arme
Dieses sei das Zeichen der Erlösung."

Schweigend stand das Volk mit bangem Warten
Wollte nicht nach Hause sich zerstreuen;
Doch das Mägdlein stieg zum heilgen Hügel.

Als die weiße Wölfin sah das Mägdlein
Freudig sprang sie her mit ihren Kleinen,
Sie zu grüßen und sie zu umhüpfen.
Sprach Lucilia, das muthge Mägdlein:
"Gehet hinter mir in gleichen Reihen,
Erstens hinter mir die kleinsten Wölflein,
Ueberdieß die größern und so weiter,
Aber ganz zuletzt die Mutter Wölfin."

Rasch gehorchten sie der strengen Herrin.
Sieh, da stand der gelbe Bock am Wege,
Sündenschuld bewußt mit falschem Schielen,
Wie der Schüler schielt nach seinem Lehrer;
Wollte gerne heimlich sich entfernen,
Fürchtete zugleich das strenge Mägdlein.

Ihren Finger schüttelte das Mägdlein,
Rief ihm zu mit scheltendem Befehlen:
"Lucifer, du ungerathner Gelbbock,
Komm daher, damit ich dich bestrafe."

Ungern nahte da der gelbe Wolfbock,
Schiefen Gangs mit weit gekrümmtem Umweg,
Mußte doch zur Strafe sich bequemen
Und zu seiner Sünden Eingeständniß
Hing er Schweif und Schnauze auf den Boden.

Und das Mägdlein schlug ihn mit den Fäustchen,
Redete ihm zu mit langer Rede
Bis sie endlich ihm gebot den Abschied:
"Gehe nun zum Grenzgebirge Coelum,
Einsam schreitend auf verlassnen Pfaden,
Jedermann auch hübsch den Weg gewährend,
Daß du nicht das Bürgervolk erschreckest.
Wenn du dann gekommen zum Gebirge,
Sollst du nicht dich links und rechts verweilen,
Sondern gehe die gerade Straße,
Fressend von den nassen saftgen Nebeln
Und am Weg die Genzianen weidend.
Wirst du alles dieses wohl befolgen,
Will ich dich mit goldnem Lichte füttern,
Bist du aber falsch und ungehorsam,
Sollst du darben, schwörs bei meiner Seele."

Und es ging der Wolfbock ins Gebirge,
Widerwillig zwar mit vielem Zögern,
Fraß auch richtig von den saftgen Nebeln
Und verzehrt am Weg die Genzianen;
Nicht erlaubt' ihm doch sein steifer Bocktrotz,
Daß er gänzlich dem Gebot gehorche,
Mußte wenigstens in Einem fehlen,
Also statt der vorgeschriebnen Straße
Ging er seitwärts ab mit rundem Bogen,
Glücklich macht' ihn das und selbstzufrieden.

Doch Lucilia das heilge Mägdlein
Schön begleitet von den vielen Wölfen,
Zog getreulich weiter nach dem Tempel.
Als der schwarze Adler sie erblickte,
Kreischend grüßt' er seine kleine Herrin,
Und mit Tanzen und mit Flügelschwingen
Macht' er hastig sich bereit zum Fluge.

Mit dem Finger zeigte da das Mägdlein,
Rief ihm drohend zu mit lauter Stimme:
"Vita, du verwegnes Ungeheuer,
Eilends hebe dich hinweg vom Dache,
Einwärts fliehend auf den Baum des Lebens,
Wo du hingehörst und wo dein Platz ist."

Und der Adler sträubte sich und maulte,
Federsträubend, kreischendes Gemäules,
Mußte gleichwohl endlich ihr gehorchen
Und nach langem Hin- und Her-Bedenken,
Runden Umgangs um das Dach des Tempels,
Fiel er endlich lauten Falls ins Innre.

Und das Mägdlein öffnete die Pforte,
Sieh, da saß der Adler auf dem Baume.

Erstens stellte sie die vielen Wölflein
Seitwärts in des Tempels linke Seite,
Jegliches vor ein besondres Stühlchen,
Hieß sie warten und sich fein gedulden.

Zweitens trat sie vor den Baum des Lebens
Und begann mit Beten und mit Singen:
"Rinne Bächlein, rinne Quell des Lebens,
Animus, mit deinem muntern Sprudel,
Kräftig springend, wie der Mann aufs Roß springt,
Mit geschlossnen Füßen, hohen Schwunges,
Daß von Helm und Schild die Funken strahlen.
Aber Anima, du holdes Mägdlein,
Sittig tänzelnd mit den weißen Füßchen
Und das Sprungseil in den Lüften schaukelnd,
Weil du immerfort aus deinem Mündchen
Singst ein zartes zweigestimmtes Liedchen,
Kommet hurtig her aus euren Höhlen,
Daß ihr in dem duftgen Marmortempel
Euch begrüßend und euch traut umarmend
Spielt vereinigt wonnevolle Spiele;
Mit euch spielend eure treue Schwester
Vom Palast Lucilia Augusta."

Und sie hatte kaum das Lied geendet,
Sieh, da glänzt' es aus des Baumes Augen;
Aus den Augen sprangen reiche Thränen,
Aber Thränen nicht von Leid und Schmerzen,
Sondern lichte, klare Freudenthränen.
Sprangen lustig nach des Baumes Munde,
Der mit lautem Gurgeln und mit Schnarcheln
Einwärts schlürfte die geliebte Labung,
Einwärts nach den vielen Speiseröhren,
Die mit unterirdischer Verzweigung
Speisen alle Quellen Munditaniens.

Als der Adler sah den Born erglänzen,
Krallt' er auf des Baumes Augenlider,
Kräftig reißend mit den starken Fängen,
Daß noch üppiger die Wasser sprangen;
Bog sodann den Nacken tief hinunter
Und mit heftgen lüsternen Gebärden
Hub er an den leckern Trank zu trinken,
Schmatzend von den beiden Lauterbrunnen
Und schmarotzend in dem Maul des Baumes,
Oefters auch die Tropfen aufwärts schleudernd
Und sie wieder fangend mit dem Schnabel,
Bis er trunken von dem starken Trunke
Auf dem Stamm begann herumzutaumeln,
Seltsam singend aus dem offnen Halse,
Doch die Feueraugen halb geschlossen.

Eine Opferschale nahm das Mägdlein,
Hielt sie unter unterm Doppelbrunnen
Bis sie überschwemmend voll gefüllt war;
Trug sie dann mit sorglichen Gebärden,
Immer abwärts schauend auf die Hände
Und die Schritte regelnd und beschränkend,
Auf den Zehen zu den kleinen Wölflein,
Wo sie angefangen von den Größten,
Jeden Einzelnen getreu ernährte.

Ei wie schnalzten da die vielen Wölflein!
Ei wie dankten sie mit ihren Schwänzlein!
Und die Aeuglein, matt vor Durst und Hunger,
Wurden munter von dem kräftgen Trunke,
Nicht allein die Aeuglein, auch die Mäulchen
Lustig schmunzelnd und die Lippen leckend,
Daß von Freude strahlt' ihr ganzes Wesen.

Doch die Wölfin in der hintern Ecke
Säugte unterdessen ihre Kleinsten
Ernsthaft überlegenen Gemüthes,
Wollte nicht den Lebenstrank berühren
Bis das Letzte war vor ihr befriedigt.

Aber als sie eben wollte trinken,
Plötzlich sprach das Mägdlein mit Entsetzen:
"Arme Wölfin, meine liebe Wölfin,
Siehe, düster wird es schon im Tempel
Und die Dämmerung erscheint vom Dache.
Ei wie konnten wir uns doch vergessen!
Eilt nun schleunigst nach dem Gränzgebirge,
Daß ihr unterwegs den Bock nicht treffet
Wartet allda seitwärts auf der Wiese,
Bis er gänzlich eurem Blick entschwunden;
Aber wenn er eurem Blick entschwunden,
Mögt ihr weiden in dem schwarzen Moose,
Sittsam fressend bis zum frühen Morgen."

Hurtig eilten da die vielen Wölflein,
Drängten hastig nach der Tempelpforte,
Wo sie nun mit Trippeln und mit Trappeln
Reisten nach dem Gränzgebirge Coelum,
Fett und glänzend zwar die jungen Wölflein,
Doch die Wölfin bleich und abgemagert,
Kamen also zu dem Gränzgebirge,
Wo noch stand der Wolfbock auf der Wiese,
Tückisch lauernd aus den gelben Augen
Ob er nicht ein süßes Kind erhasche.

Warnend rief die Wölfin zu den Kindern:
"Haltet euch zurück ihr lieben Kinder,
Denn der gute Vater steht dort drüben."

Ei wie duckten sich die kleinen Wölflein!

Selber aber schritt sie nach der Wiese,
Mitten hin mit Tugendselbstbewußtsein,
Und begann den Gatten auszuschelten,
Lang und kräftig nach der Weiber Sitte,
Nannt' ihn einen Dieß und einen Jenes,
Bis er schimpflich unternahm den Rückzug,
Langsam mit vor Zorn geröthen Blicken
Und den dicken Löwennacken schüttelnd,
Daß vom schlechten Pelz die blauen Haare
Weithin flogen nach der goldnen Wiese.

Sieh, wer wagt sich aus der Schaar der Wölflein
Unvorsichtig nach dem Ungeheuer?
Ist Venusta, das verwöhnte Mägdlein,
Des gefürchten Vaters Lieblingstochter,
Die sich einzig unter allen Kindern
Alles darf erlauben und getrauen.
Selbstgewiß und pochend auf ihr Vorrecht
Zog sie mitten auf die blaue Wiese,
Weil die Schwestern mit den Silberschnäutzchen
Aengstlich guckten aus dem hohen Grase.

Doch der Vater bei Venustas Anblick
That hinweg das feindliche Gebahren
Und mit süßlichen verliebten Mienen
Folgt' er einer jeglichen Bewegung;
Stände nicht die Gattin in dem Wege,
Niemand weiß, was jetzt vielleicht geschähe.

Aber einsam in dem düstern Tempel
Saß das heil'ge Mägdlein bei dem Adler,
Schlang ihm ihre Arme um den Nacken
Und begann mit Singen und mit Schluchzen:
"Vita, mein getreues, gutes Vöglein,
Dir allein darf ich mein Leid vertrauen;
Feindeshaß und Todesnoth umgiebt mich
Und mein Bruder wohnt im fernen Lande,
Fernen Lande voll Gestrüpp und Dornen.
Aber du mein kleines frommes Täubchen
Sollst ihm Botschaft bringen, sollst ihn trösten;
Darum höre, was ich dir verkünde!
Merk es wohl, damit du's nicht vergessest!"

- Eifrig lauschte der getreue Vogel,
Den geöhrten Schnabel seitwärts werfend,
Funkelnd aus den aufgeregten Augen.
Wollt' auch gern zum Zeichen des Gehorsams
Seiner Herrin schmeicheln und liebkosen,
Aber vor den ungeschlachten Waffen,
Da sein Körper war damit bewaffnet,
Durft' er seine Liebe nicht bezeugen,
Mußte kläglich schreiend sich begnügen,
Daß er ungebärdig sie umtanze.

Ihm befahl darauf das heil'ge Mägdlein:
"Vita, eilends spring herab vom Baume,
Tauche deine Flügel in den Brunnen
Sammt dem Körper und dem breiten Schweife,
Daß er triefe von lebendgem Geiste.
Füll auch deinen Kropf und deinen Schnabel
Großen Schluckes bis zum Ueberfließen,
Fliege dann zum Gränzgebirge Coelum,
Wo du siehst die vielen Wölflein weiden,
Vom Gebirge nach der Insel Tellus,
Wo mein Bruder schmachtet in Verbannung.
Fliege sanft und eben ohne Flattern,
Ausgebreitet haltend deinen Flügel,
Daß die Tropfen nicht zu Boden fallen.
Aber angekommen auf der Insel,
Wähle dir den höchsten Felsengipfel
Und mit mächtgem Riesenflügelschlage
Und mit Schütteln und mit Federsträuben
Wirf hinab die gnadenvolle Ladung,
Meinem Bräutigam zu Trunk und Speise."

Und der Adler sprang hinab vom Baume,
Tunkte tief die Flügel in den Brunnen,
Einen um den andern bis zur Schulter,
Stellte sich dann selber in das Becken,
Daß er fülle seine zottgen Hosen;
Weil zu gleicher Zeit sein Federkragen
Voll empfing die reiche Doppelspringfluth
Und sein Schnabel in des Baumes Höhlen
Gierig wühlt' und sog und schlürft' und schmatzte
Bis der Kropf zum Platzen überfüllt war.
Von der luftgen Beute schwoll sein Körper,
Aufgeblasen sah er aus und kauzig;
Keine Feder war doch naß und pelzig,
Sondern kraus und flaumig, trocknen Inhalts,
Gleich den Käfern oder Sommerfaltern,
Unterschlüpft vom knisternd warmen Lichtstrom;
Ward auch nimmer schwer von all dem Ballast,
Sondern leichter stets je mehr er auflud,
Wie von vielem Gas ein Kreisel leicht wird.

Als er nunmehr reichlich troff und thaute,
Lieblich duftend von dem warmen Balsam
Und den schwarzen Leib von Licht umschimmert,
Sorgsam streckt' er aus die mächtgen Schwingen,
Daß kein Tropfen unnütz sich verliere
Und getragen von dem geistgen Weihrauch,
Ohne Flügelschlag und ohne Flattern
Schwebt' er aufwärts durch die Tempellücke,
Ueberdieß zum Gränzgebirge Coelum,
Ruhig schwimmend mit geblähtem Segel,
Aber schwarzen mitternächtgen Segels,
Aus dem schwarzen Segel Feuerknistern.

Als er überstrich das Gränzgebirge,
Siehe da die Wölflein auf der Wiese
Und die Wölfin säugend ihre Kleinsten.

Aufwärts blickend rief ihm zu die Wölfin:
"Ignifer, mein lieber guter Schwager!
Was, so eilst du? was bezweckt die Reise?
Weil' ein Stündchen, daß du mir erzählest."
Doch der Treue ließ sich nicht verleiten.
Sprangen da die Wölflein nach der Gränze,
Daß sie ihn verfolgten mit den Blicken.

Aengstlich warnte sie und sprach die Wölfin:
"Liebe Kinder, meine lieben Kinder,
Gehet nicht zu weit hinaus zum Felsen,
Daß mir keines falle durch den Abgrund."
Doch die Kindlein wollten nicht gehorchen,
Klebten immer außen an dem Abgrund.
Und der Adler flog zur Insel Tellus,
Wählte sich den höchsten Fels zum Standort,
Und nachdem er erstens sich beruhigt
Und die Kräfte reichlich zubereitet,
Stieß er aus dem Kropf die Feuergarben,
Warf den Lichtstrahl schüttelnd aus den Klauen
Und zerschlug die Funken mit dem Schweife
Bis er endlich, seinen Kragen sträubend,
Mannshoch aufgericht den schwarzen Körper
Mit gestrecktem Hals und steifen Waden
Jetzt begann das Flügelrad zu schlagen,
Heftig schwingend mit den Riesensegeln,
Daß der Athemstrom im Wirbelsturmwind
Brausend sich ergoß nach allen Seiten,
Weil er öfters aus dem offnen Maule
Schreiend sich ermunterte zur Arbeit.
Von dem Schreien zitterte das Eiland
Und die Wasser flüchteten im Meere.
Also übt' er treulich aus den Auftrag,
Emsig schwingend eine lange Stunde,
Zog dann heimwärts nach der Albalonga,
Flatternd und die Flügel lustig schlagend.

Als er wieder kam zum Gränzgebirge
Stand die Mutter jammernd überm Abgrund
Und die vielen Kinder schrien und weinten.
Flehend rief ihm zu die arme Mutter:
"Ignifer, mein lieber Freund und Schwager!
Rette mir die Kindlein aus dem Abgrund,
Blinde Neugier brachte sie zu Falle."
Gnädig bog er ab und griff die Kleinen
Leichter Arbeit eines um das andre,
Warf sie sorglich zu der Mutter Füßen,
Ging sodann beenden seine Heimfahrt.

Unterdessen in dem stillen Tempel,
Wo die Lebensquellen lieblich duftend
Sangen murmelnd durch die Marmorhallen
Hellen Dampfes in des Abends Schatten,
Saß das Waisenmägdlein auf dem Baume,
Weinend aus dem Kummer ihres Herzens,
Daß die Thränen flossen in den Brunnen.
Weint' und seufzt' und schluchzte unaufhörlich
Bis der Wolfbock fürchterlichen Heulens
Kam zu kratzen an dem heilgen Stalle.
Naß von Thränen ging sie ihm zu öffnen,
Spannt' ihn schluchzend an die goldne Kette
Abseits in des Tempels rechter Ausbucht,
Nahm darauf vom Tisch den großen Eimer
Und nachdem sie ihn gefüllt am Brunnen
Schleppte sie ihn seufzend nach dem Unthier,
Mit den beiden Händen kaum ihn tragend,
Weit zurückgebeugt den feinen Körper.
Ei wie schnappt' und schwappte da der Wolfbock
Gierig und verhungert in dem Fasse,
Bis zum Auge seinen Kopf versenkend,
Daß sein borstger Schnurrbart troff von Golde.

Doch das Mägdlein, abgehärmt und traurig,
Lenkte jetzt die Schritte nach der Pforte
Und mit hoch erhobnem rechten Arme
Stieg sie nach der niedern Albalonga.
Als das Volk vernahm das Siegeszeichen
Nicht des Meeres und des Sturmes Heulen,
Nicht das Brüllen des gereizten Donners
Kann dem frohen Lärmen sich vergleichen,
Wie das Mägdlein sie damit begrüßten.
Ohne daß sie's auf die Schultern luden
Hätten sie erdrückt das feine Mägdlein.
Dennoch konnt es kaum sich nur erretten
Vor dem Ansturm, vor den heftgen Küssen,
Da sie Händ und Füßchen ihm zerküßten.
Bis sie immer auf den Schultern reitend
Endlich kam zum Hügel Palatinus
Und zu Brutus und Natura Rerum.

Und das Volk gebot dem Volkstribunen:
"Daß du nicht das Priesterlein verletzest,
Nicht mit Thaten, nicht mit schnöden Worten
Oder irgend einem andern Leide.
Laß es wohnen in dem schönsten Saale
Und gewähr' ihm reichlich alle Nothdurft
Sammt dem Bettchen und dem weichen Stühlchen."

So geboten sie dem Volkstribunen.
Fragten dann zum Gruß das heilge Mägdlein
Auf den Knieen liegend um den Segen.

Und das Mägdlein hob die weißen Arme
Segnete und sprach mit klarer Stimme:
"Die ihr meinen Vater mir ermordet
Und dem Bruder raubtet seine Erbschaft,
Pflichtvergessne, falsche Unterthanen,
Mög' euch Numen, die Gewaltge, rühren,
Daß ihr Buße thut und euch zerknirschet
Und die Volksverführer von euch stoßet
Und sie überliefert eurem Caesar,
Euch zur Sühne, ihnen selbst zur Strafe.
Will euch dennoch segnen und erlösen
Nicht in meinem, in des Bruders Namen,
Hoffend, daß er gnädig euch verzeihe,
Mir zu Ehren und zur Hochzeitgabe;
Euch verzeihe, den verführten Sündern,
Aber nicht den Führern, nicht den Mördern,
Welche Jedermann zum frommen Lustspiel
Sollen bluten unterm Zahn der Wölfe."

Also segnete das kühne Mägdlein.
Und das Volk mit demuthvoller Andacht
Lauschte betend ihren strengen Worten,
Sich erbauend an der eignen Strafe
Und durch Buße und durch Selbstzerknirschung
Trost gewinnend zu erneuter Schandthat:
Blieben stets die Nämlichen an Wesen,
Aber liebten, daß man hart sie schelte,
Wie der Gaul sich sehnt nach einem Striegel.
Jauchzend dankten sie dem kühnen Mägdlein,
Herzten es und nannten es mit Namen;
Und indem sie sahn die Volkstribunen
Wie sie giftig schielten nach dem Mägdlein,
Gaben sie dem Kind besondre Wächter,
Sie zu schützen und ihr schön zu dienen. -

Sicher wohnte da das heilge Mägdlein,
Sicher vor Gewaltthat und Beschimpfung.
Konnte Niemand doch sie davor schützen,
Daß die schändliche Natura Rerum
Heimlich ihr vergiftete das Dasein
Ausgesuchter, weiblicher Erfindung,
Seis mit Worten schmähend ihren Vater,
Seis indem sie auf des Zimmers Vorhof
Legt' ein trunknes, schamvergessnes Kriegsvolk,
Niedrig an Gesprächen und Gebärden. -
Leicht ist's ja ein weiblich Herz zu kränken.

- Schweigend trug sie alle diese Unbill,
Reiner Seele, wie im Schmutz der Demant,
Ewig eingedenk des fernen Bruders
Und sich tröstend auf den Tag der Hochzeit.
Und wie immer strebt des Weibes Zartsinn
Den Geliebten hold zu überraschen,
Fing sie an das Hochzeitskleid zu sticken,
Goldnen Zwirns auf veilchenrothem Purpur.
Welchen Maßstab soll sie doch gewinnen?
Klein und schmal ist noch der junge Bruder.
Hohen Sinns erdachte sie den Maßstab:
Ihres Vaters eignen Leibrock nahm sie
Und ihn ausrecht breitend auf den Nähtisch
Setzte zu sie an den Heldenschultern,
Setzte zu das stolzgemuthe Mägdlein. -
Bis zum frühen Morgen saß und spann sie,
Aber wenn der Morgen kaum ergraute
Ging sie hurtig an die heilge Arbeit,
Erstens all die tausend Wölflein speisend
Und den Wolfbock jagend ins Gebirge,
Doch am Abend bei den düstern Schatten
Schickte sie dem Bruder ihren Adler,
Blieb dann ruhig sitzend auf dem Baume,
Oftmals schlummernd, öfters bitter weinend,
Bis zuletzt der Wolfbock war befriedigt,
Wo sie alsdann heimwärts kam zum Schlosse.

So geschah es heut und alle Tage.

Und es herrschten über Munditanien
Schamlos jetzt die siegestrunknen Massen,
Proscribirend alle Wohlgesinnten
Und zerstörend ihre reichen Güter;
Bis sie endlich, wie es zu geschehn pflegt,
Fingen an sich selber zu zerfleischen,
Giftger, unversöhnlicher Parteiung,
Daß von Raub und Brand und wildem Morden
Fiel die stolze Republik in Trümmer,
Mit der Republik zugleich die Sitten,
Groben und barbarischen Charakters.
Jeder that, was immer ihm beliebte,
Nur gehemmt von seines Nächsten Fäusten.
Aber wo verblieb Sempronius Brutus?
Niemand sprach von ihm, er ward vergessen.
Eines Morgens ward er todt gefunden,
Seine Gattin heißt es, gab ihm Gift ein.
Publia Natura Rerum selbst jetzt
Riß das Siegel und den Staatsschatz an sich,
Unterschrieb in ihrem eignen Namen,
Und indem sie stets dem Stärksten diente
Und dem Schlausten jedesmal sich anschloß,
Konnte sie behaupten ihre Herrschaft,
Herrschaft freilich nach dem schönen Namen
Aber nach dem Wesen feiges Dienen,
Sich begnügend flugs zu unterzeichnen,
Was da immer nur geschah im Staate.
Wird der Strafe schwerlich doch entgehen
Wenn dereinst am Tage des Triumphzugs
Zischt das Mägdlein in das Ohr des Bruders.


  Carl Spitteler . 1845 - 1924






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Mythus, Carl Spitteler