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Carl Spitteler
Extramundana
. 2. Auflage 1905
Mythus
Rings umschlossen liegt ein einsam Bergthal,
Das kein Auge jemals hat ergründet;
Statt des Nebels aus dem tiefen Kessel
Steigt empor ein mitternächtges Dunkel,
Statt der Wasserbäche von den Felsen
Hängt geheimnißvoll ein blasses Schweigen
Und die schwarze Luft ist starr vom Tode.
Ueberm Thal auf hohem Bergesgipfel
Steht ein Riese, seltsam von Gebaren:
Schlafend steht er mit geschlossnen Augen,
Einwärts schauend nach dem Traumesleben,
Während er mit lauter, schöner Stimme
Unaufhörlich dichtet durch das Bergthal
Ewige unsterbliche Gesänge,
Nicht Gesänge von vergangnen Thaten,
Nicht von Dingen, die im Raum vorhanden,
Sondern prophezeiend seine Psalmen,
Einzig aus dem eignen tiefen Wesen.
Wunderbar beschaffen ist dies Wesen,
Wie kein Wesen eines andern Mannes:
Statt des Blutes und der Eingeweide
Trägt er eine raumbefreite Seele,
Eine Seele, unaufhörlich fluthend,
Licht und klar wie körperloser Aether,
Ewig aus sich selber sich erneuernd.
Unten aus dem Seelenmeeresboden
Steigen dunkelfarbige Gefühle,
Wandern aufwärts nach der Oberfläche
Trüben, schwermuthvollen Trauerzuges,
Gleich wie Quellen wandeln aus dem Seeschlamm;
Aber ob der Seelenmeeresfläche
Welche Wolken hangen nach den Wellen,
Schwer und düster wie Gewitterwolken,
Drohend aus dem mitternächtgen Antlitz?
Sind vom Gotteshaupt Gedankenwolken;
Beutegierig lauern sie am Himmel
Oder streichen überm Wasserfelde,
Scharfen Blickes spähend nach den Fluthen,
Wie bei sturmbewegter See die Möven.
Wenn nun die Gefühle ernst und traurig
Kommen hergezogen aus der Tiefe,
Plötzlich flammt es aus dem Wolkenhimmel
Und ein rother Blitzstrahl, jähen Zornes,
Zuckt hernieder nach der sichern Beute,
Daß vor heftgem Schreck die Wasser zischen
Und der Himmel widerglüht vom Aufschein.
Aber nicht verschlingt er seine Beute
Und nicht sträubt sie sich im Todeskampfe:
Lustgier ist der Grund des jähen Zornes
Und Vermählung heischt der Liebesingrimm;
Eine wilde stürmische Vermählung,
Leidenschaftlich wie ein Tigerbrautpaar,
Hastig wie der Tod aus Meuchlerhänden,
Fruchtbar wie Gewürm nach warmem Regen.
Hier bedarf es nicht des Keims und Dotters
Und kein Bäucheschwellen ist von Nöthen:
Ungeschieden sind Geburt und Hochzeit,
Augenblicklichen, vereinten Schlages.
Was für Kinder werden da geboren?
Gleichen sie dem Denker, ihrem Vater,
Oder gleichen eher sie der Mutter?
Gleichen nicht dem Vater, nicht der Mutter,
Unvergleichlich sind sie allem Andern,
Jeder tragend ein besondres Wesen
Und ein eigenthümlich Antlitz weisend;
Aber Alle herrlich ausgestaltet,
Hell von Farben und von Herzensfrohmuth
Und unsterblich bis in alle Zeiten.
Ausgewachsen springen sie vom Nichtsein
Kühnen Sprunges nach dem Gotteshaupte,
Unterweges das Gewölk zerspaltend
Und mit ausgestreckten beiden Händen
An sich ziehend ihre vielen Brüder,
Welche nun in schönverschlungnen Reihen,
Gleich dem Frühling, gleich den Blumenkränzen,
Gleich wie Spinnen reisen durch den Spätherbst,
Fliegen jubelnd nach des Sängers Munde,
Wo sie jetzt, verstärkt vom Höhlen-Echo,
Und geschaukelt von der kräftgen Zunge,
Plötzlich schnellen in den freien Luftraum.
Dieses also ist des Sängers Inhalt,
Dieses schaut er mit geschlossnen Augen,
Schaut es nicht allein, doch fühlt und ist es,
Unpersönlichen Gestaltungslebens,
Lebend nur allein in seinen Bildern,
Wie ja immer thun die ächten Dichter.
Selber doch die vielen Tongebildchen
Schweben leuchtend durch das dunkle Bergthal,
Leuchtend aus dem Seelenätherstoffe,
Doch gefärbt von dem besondren Wesen.
2.
Ihm entgegen überm dunklen Thale,
Wo die Felsenmauer trotzig aufsteigt,
Sitzt ein Riesenweib auf einer Steinbank,
Eine Schulter an den Felsen lehnend
Und die Hände in dem Schooß gefaltet;
Blickt hinüber nach dem fernen Sänger
Großen Blickes aus dem schönen Auge,
Wie man blickt ins Antlitz des Geliebten.
Und die Töne, singend durch das Bergthal,
Wenn sie sehn das wunderbare Auge,
Fliegen gierig sie dem Licht entgegen,
Und, getrennt in zwei getrennte Haufen,
Halten sie den Einzug durch die Wimpern,
Die, den Fischerreusen gleich im Stromthal,
Alles hold begrüßen und empfangen,
Aber wenn nun das betrogne Jagdzeug,
Schauend durch den mitternächtgen Sehstern,
Blickt hinab in grause Feuerschlünde
Und beginnt zu zweifeln und zu schaudern
Und zu fliehen mit entsetzten Mienen,
Hemmen sie geschickten Zwangs den Rückweg;
Während aus dem fürchterlichen Innern
Jetzt geschieht ein Pumpen und ein Saugen,
Daß sie müssen, was sie kürzlich wollten.
Müssen wandern durch die Augennerven,
Deren Bahn, zum Kreuz geformt, sich schneidet,
Wie auf Brücken nach dem Riesenhaupte;
Aengstlich blickend nach der niedern Hölle,
Wo anstatt der weichen Eingeweide
Liegt ein massiges Gestein und Eisen
Und anstatt des rothen Lebensblutes
Strömen durch die Adern und die Venen
Tollen, ohrbetäubenden Gepolters
Heiße Dampf- und wilde Feuer-Wogen,
Ewig fluthend aus dem großen Herzen.
Wie entstehen sie im großen Herzen?
In dem großen Herzen wohnt die Liebe,
Weiche Liebe zu dem schönen Sänger,
Weich von zarten, innigen Gefühlen,
Aber stark und zäh von Gottesstoffe,
Unzerreißbar in den kleinsten Fasern,
Stark zugleich an ungeheurer Menge,
Da sie sich vermehrt mit jedem Pulsschlag.
Großen Aufschwalls möchte sie sich dehnen,
Möchte aus den Höhlen des Gemüthes
Siedend jede fremde Decke sprengen;
Doch von außen nach dem weichen Herzen
Drängt das harte Eiseneingeweide,
Engen Rings mit seinen Höllenarmen,
Hemmend nicht allein die freie Dehnung,
Sondern auch das große Herz verengend.
Selber in des Herzens Mittelkammer
Wohnt der schlimmste Feind der weichen Liebe:
Ist des Weibes strenger Eigenwille,
Aufgereizt vom stolzen Selbstbewußtsein.
Spricht zu sich das stolze Selbstbewußtsein:
"Starke Göttin, schönste der Sibyllen,
- Keine Jungfrau darf sich dir vergleichen -
Wie doch magst du deines Werths vergessen
Und beschimpfen deinen edlen Hochmuth!
Siehe, feig ist all dein Muth geschmolzen,
Breitgeschmolzen in verliebte Sehnsucht,
Schmählich deine Freiheit überliefernd,
Ohne Bund und rühmliche Bedingung,
Recht- und Ehr-los eine niedre Sklavin."
Also sprach zu sich das Selbstbewußtsein.
Aber zu dem Willen zischt' und herrscht' es:
"Fauler Scherge! magst du ewig schlafen?
Siehst du nicht den Feind vor deinen Augen?
Auf! ergreife deine scharfen Waffen
Mir zu tödten den verschleimten Lindwurm!"
Und der Wille, schlafend auf der Treppe,
Sprang mit raschem Aufsprung auf die Füße
Und bereitete die scharfen Waffen.
Erstens stampft' er mit der Eisensohle
- Drob erschrak das Herz mit gellem Aufschrei -
Zweitens faßt' er seine Hellebarde,
Hellebarde nicht zum Stich noch Wurfe,
Sondern in dem Speerschaft eine Rinne
Und ein Schwert beweglich in der Rinne;
Wenn er schlug mit dieser Hellebarde,
Flog der Degen rasselnd aus der Schiene;
Aber wenn er neuerdings sie einzog,
Fuhr er wiederum zurück zur Scheide
Festgebunden mittelst Messingketten.
Wollt' er lieber in die Ferne treffen:
Seine Messer holt' er aus dem Gürtel,
Und, den schlanken Körper rückwärts beugend,
Und den rechten Arm zum Aug' erhebend,
Maß und zielt' er eine kleine Weile,
Einwärts richtend die geschärfte Spitze,
Bis zuletzt der Dolch mit hellen Blitzen,
Oftmals in der Luft sich überschlagend,
Hüpfte nach dem vorgeschriebnen Ziele,
Bis zum Handgriff in den Feind sich stürzend.
Also das Gemüth, von beiden Seiten
Hier vom Tod gehetzt und dort umschlossen,
Kochend dampft' es auf mit heißem Sprudel,
Spannte dehnend seine Gottesmuskeln
Und, den starren Eisenheerd entflammend
Und ihn schmelzend und ihn vor sich lösend,
Sucht' umsonst es irgend einen Ausweg.
Siehe da die enge Adernpforte,
Wo Canäle führen nach dem Haupte.
Wie im Gartenhain die Springfluth aufschnellt,
So durchbrach der Herzstrom jetzt die Klappe,
Schoß mit Brausen nach dem hohen Haupte,
Mit sich führend die gelösten Schlacken,
Eine einzge wilde, heiße Lava.
Im Gehirne warteten die Töne
Wie sie aus des blinden Sängers Munde
Waren kommen durch des Weibes Auge
Auf der Doppelbrücke bei der Kreuzung.
Warteten daselbst mit Furcht und Zittern,
Einer an den Andern fest sich pressend,
Eingepökelt in dem engen Raume,
Jeder suchend, wie er sich verstecke.
Als der Liebesstrom vernahm die Töne
Schmeichelnd hub er an und sang und flehte:
"Holde Kinder des geliebten Mannes,
- Wohl erkenn' ich eure trauten Züge -
Kommt herunter nach dem großen Herzen,
Wo Gemüth und Liebe wohnt und Wollust!
Will euch dienen und euch herrlich pflegen,
Daß vor Wonne leuchte euer Antlitz."
Zaudernd hörten Jene die Begrüßung,
Halb von Furcht erfüllt und halb von Sehnsucht.
Doch der Liebesstrom mit rascher Schwenkung
Packte sie mit seinen starken Armen,
Riß sie ohne Widerrede mit sich
Durch die vielverschlungnen engen Venen
Abwärts nach dem weichen großen Herzen.
Und die Tongestalten, unterweges,
Weil sie allerorts umgab die Lava,
Nahmen an ein körperliches Dasein,
Füglich passend ihren Seelengliedern;
Kamen also nach dem großen Herzen,
Wo sie unter kräftgem Körperwohlsein
Lebten eine kurze kleine Spanne,
Bis der Wille neu geschärft die Waffen.
Aber wenn des Willens Dolch sie rührte,
Theilte schmerzlich sich ihr Doppeldasein:
Zwar die Schlacken fielen in die Hölle,
Doch die Sängerseelen, hastig flüchtend,
Eilten durch die Adern nach dem Haupte,
So geschah es heut und alle Tage.
Immer mehrten sich die Tongestalten,
Immer größer ward das Herz vor Liebe,
Aber größer auch das Selbstbewußtsein
Und das Kämpfen und das wilde Schmerzen.
Während außerhalb die starre Masse,
Wenig nur vom heißen Brand geschmolzen,
Immer gleich mit kleinem Ring beengte.
Auch geschahs an einem seltnen Tage,
Daß das Herz in seinen Todesnöthen
Sich verbündete mit seinen Feinden
Flüsternd mit verführerischer Rede:
"Was so peinlich straft ihr mich, die Arme!
Welche Sünde hab ich denn begangen?
Und ihr selber, die ihr mich gemartert,
Thut ihrs auch zum eignen Glück und Vortheil?
Wärs nicht schöner, statt uns gegenseitig
Zu bekämpfen und uns hart zu klemmen,
Daß wir uns erzwängen unsre Freiheit?"
Und sie machten einen Bund und Handschlag
Und bestachen auch den strengen Willen,
Daß er heimlich schloß das Schergenauge
Und geschehen ließ, was immer mochte;
Stürzten dann mit plötzlichem Ereigniß
Nach dem Mund der stummen Götterjungfrau
Ihn zu sprengen durch den jähen Anprall.
Als das stolze Weib vernahm den Aufruhr,
Zornig rief sie durch das Selbstbewußtsein:
"Feiger Wille, du verkaufter Scherge!
Eilends stehe hinter meine Zähne
Und wer immer sich erkühnt zu nahen
Diesen schlage mit der Hellebarde."
Rasch gehorchte da der feile Scherge,
Gierig durch Verrath der Eidgenossen
Zu erschmeicheln seine eigne Gnade
Wie ja immer thun die feilen Schergen;
Stellte wehrend sich vor ihre Zähne
Und bewegte seine Hellebarde.
- Also ward besiegt der kühne Aufruhr.
Traurig schlich ein Jedes wieder heimwärts,
Nur vermehrtes Schmerzen war die Löhnung.
Aber selber jetzt die stumme Jungfrau
Als die Ordnung kaum von neuem feststand,
Legte sie die Arme auf den Felsen,
Und, die Hände faltend überm Moose
Und die Zähne beißend in die Hände
Hub sie an zu weinen und zu beten,
Bittern nothgedrungenen Gebetes:
"Dürft' ichs sagen, du geliebter Sänger!
Dürft' ichs sagen, was ich um dich leide!
Könnt' es nie doch sagen, schreien müßt' ichs,
Gellen Schreies aus dem tiefsten Herzen,
Daß vom Widerhall das Thal erbebte.
Mir zum Unglück ward ich stolz geschaffen
Und ich fluche meinem Weibeshochmuth,
Der mir nicht erlaubt dich anzurufen
Und vor deine Füße mich zu legen.
Kann es doch nicht ändern noch verbessern:
Niemand kann dem eignen Wesen wehren,
Und mein Wesen ist von Stein und Eisen.
Stein und Eisen zwar im äußern Anschein,
Doch im innern Herzen weich von Wehmuth
Obs auch keiner sehe weder glaube."
Also weinte die betrübte Jungfrau
Ungemessne stille Kummerthränen,
Mit den Händen hemmend ihre Stimme.
Als sie endlich ihren Gram erledigt
Und den hohen Körper aufgerichtet,
Schaute sie gewöhnlichen Gebarens,
Wiederum hinüber nach dem Sänger,
Hart und unbeweglich zwar das Antlitz,
Doch das große wunderbare Auge
Weich und feucht von sanfter Liebessehnsucht.
3.
Wird doch einstmals eine Stunde kommen,
Eine Stunde wie die andern Stunden,
Unbedeutend an Gestalt und Antlitz,
Aber wenn die eine Stunde ankommt,
Wird das Riesenweib sich jäh erheben
Und, den Körper steif von hartem Starrkrampf,
Und die Augen aus den Höhlen strebend,
Wird sie hinter dem verschlossenen Munde
Leiden ein unsagbar stürmisch Leiden,
Bis sie endlich plötzlichen Gewaltschlags
Jetzt beginnt zu schreien durch das Bergthal,
Maßvergessnen gellenden Triumphschreis
Wie die Mutter schreit. beim Kindesdurchtritt.
Aus dem Schreien wird ein wildes Jauchzen,
Aus dem Jauchzen ein verwegnes Jubeln,
Unverständlich erst mit kurzen Stößen,
Aber schließlich fest mit klarer Rede:
"Will dirs sagen! Will dirs endlich sagen!
Länger halt ich nicht zurück die Wahrheit!
Hab' es unterdrückt mit starkem Willen,
Kann es länger nicht mehr unterdrücken,
Offen will ichs singen durch die Lüfte,
Laut gestehen aller Welt zur Kenntniß:
Ja und ewig ja, du edler Sänger,
Ja ich liebe dich du Mann der Seele,
Liebe dich seit langen, langen Jahren,
Ungemessner, schrankenloser Liebe,
Daß kein Wort ist also groß und mächtig
Sie zu fassen und sie zu umspannen.
All die Zeiten da ich saß am Felsen,
War ich deine untergebne Sklavin:
Dich nur sah ich, dich allein nur fühlt' ich,
Dein Gesicht in meinem Herzen malend
Und dein Lied dir saugend von den Lippen.
Hab dich oft gehaßt auch, mein Geliebter,
Scharf und heftig, mit empörtem Willen,
Aber jenes segensvollen Hasses,
Welcher sich verklärt in ewge Liebe,
Wie zu süßem Wein sich klärt die Gährung.
Später, als ich spürte meine Ohnmacht
Und mir mußte deinen Sieg gestehen,
Schwur ich mir in meines Stolzes Aufruhr:
""Niemals sollst du doch den Sieg erfahren,
Niemals will mit Seufzen und mit Klagen
Ich um Lieb' und Gnade vor dir flehen;
Schweigen will ich mit gepreßten Lippen,
Ob das Herz im Busen mir zerspringe
Und mein Geist vor Schmerzen sich verkehre,""
Und ich habs gehalten, habs ertragen,
Hab geschwiegen mit gepreßten Lippen,
Niemand weiß mit welchem Heldenmuthe,
Niemand auch mit welchem wilden Stürmen.
Aber jetzt, du heißgeliebter Sänger,
Andres schwör' ich, Andres will ich halten:
Schreien will ich fortan meine Liebe,
Jauchzend schreien durch den stillen Thalgrund,
Ohne Unterlaß in alle Zeiten;
Niemand soll mich ferner schweigen heißen,
Niemals will ich auch die Stimme dämpfen,
Ob die Andern höhnend mich verlachen,
Ob du selbst, verächtlichen Gebarens,
Ekelnd vor dem schamvergessnen Weibe,
Mir entwendest dein geliebtes Antlitz.
Mußt es hören, mußt es ewig hören,
Ohne Gnade meine Lieb' erduldend,
Wie ich selber einst um dich geduldet."
Und der Sänger überm andern Berge,
Als er in der unbewußten Seele
Hörte das gewaltge Liebesjubeln,
Stockend hielt er an mit seinem Dichten,
Lauschend und nach Selbstbewußtsein ringend,
Wie ein Schläfer ringt, damit er wachet,
Endlich schlug er auf sein blindes Auge
Einesmals erhellte sich das Bergthal
Und entgegen überm blauen Luftmeer
Traf sein Blick die herrliche Sibylle
Wie sie, aufrecht stehend überm Felsen,
Weich umhüllt von farbenprächtgem Wohlklang
Sah herüber aus den goldnen Nebeln;
Traf sie mitten auf das schöne Antlitz,
Auf die wunderklaren Demantäpfel:
Augenäpfel feucht vom Thau des Herzens,
Auf des Mundes Zwillingslippenknospen,
Auf die Schneestirn ob den Wangenhügeln,
Auf den sanften Strom der schweren Locken.
Diesem gleicht kein anderes Erwachen,
Nicht des Kindes, wenn aus bösen Fiebern,
Da es wird gehetzt vom schwarzen Traumstier,
Es sich plötzlich fühlt im Arm der Mutter,
Nicht des Greises, der nach Todeskrämpfen
Wiedersieht im Jenseits seine Eltern.
Ist ers selber der dort grüßt und lächelt?
Oder ists ein Fremder, Unbekannter?
Wär' ers selber, würd' ihn nicht beglücken,
Wärs ein Fremder, würd' es ihn beschränken,
Ist ein zweites Selbst, verwandt durch Liebe.
Horch! was sagen doch die vielen Töne
Die da singen durch das stille Bergthal?
Woher kommt die traute Heimathsprache,
Ihm verständlich und das Herz ihm rührend?
Ist die Antwort seiner eignen Dichtung;
Aus des Weibes Munde klingt die Antwort;
Was er sang in unbewußter Sehnsucht
Dieses gönnt sie ihm zum Brautgeschenke,
Hatt' es treulich aufgespart im Herzen,
Daß kein kleinstes Bildchen ging verloren.
Froh erkennt er seine vielen Kinder,
Grüßend nennt er sie bei ihren Namen
Weil das Aug' ihm thränt vor großem Glücke.
Auch nicht eines ist ihm fremd geworden,
Doch gewachsen an Gestalt und Schönheit,
Festgestalten körperlichen Leibes,
Wie ein Dichtertraum im Wort sich auswächst.
Und er lauscht dem heimathlichen Liede,
Lauscht und lauscht mit steigendem Entzücken.
Ist ein Augenblick dies selge Lauschen?
Oder sind es tausend Weltenjahre?
Wärs ein Augenblick, er müßte schwinden,
Müßte bald erschöpfen seinen Inhalt;
Wärens Weltenjahre, würde schließlich
Nach und nach des Weibes Mund erlahmen,
Mit des Weibes Mund zu gleich sein Lauschen,
Müden Geistes mit erschlaffter Spannkraft;
Während doch in unbeschränkter Fülle,
Ueberfließenden Gestaltenreichthums
Immer frisch das heilge Lied emporquillt
Und die Sängerin mit junger Stimme
Ewig neu mit Glück berauscht den Gegner.
Als nun endlich war der Psalm verklungen
Lang ausklingend mit verstärktem Schlußton,
Selber hub er an der Neugeborne,
Dehnte seine Brust und sang das Grüßen:
"Schönes Bild, gemalt von Herz und Wonne!
Sprich, wer bist du? und wie heißt dein Name?
Bist du ein persönlich Riesenwesen,
Einigen versammelten Bewußtseins?
Oder ist getheilt dein großer Reichthum
Und ein jedes Wunder fühlt besonders?
Sieh was außer dir mein Aug ergründet,
Alles scheint beraubt und ausgesogen,
Daß der Inhalt eines jeden Daseins
Ist in dir gespart und aufgespeichert."
Ihm erwiederte das Weib mit Lächeln,
Warmen Lächelns wie die Sonne lächelt:
"Edler Sänger überm hohen Berge!
Keine Mehrheit bin ich, keine Volkszahl,
Ungetheilt und einig ist mein Fühlen,
Einig in dem Bilde deines Wesens,
Da vom tiefsten Herzen bis zum Auge
All mein Leben quillt aus deinem Antlitz;
Hab auch keinen Namen je erhalten,
Selber nenne mich geliebter Lehrer,
Daß ich ewig trage deinen Namen."
Und er breitete die Arme auswärts
Und nachdem er sie genau beurtheilt
Hub er an und schenkt' ihr diesen Namen,
Feierlichen priesterlichen Urtheils
Weil sein Aug' erglänzt' in Dank und Segen:
"Auferwachen will ich dich benennen,
Auferwachen zu verklärtem Leben,
Dieses sei dein feierlicher Name.
Aber mit dem süßen Nebennamen
Sollst du heißen meine Anverlobte;
Dieses sei der süße Nebenname."
Und so sang und sang das hehre Brautpaar,
Wechselweise holde Liebespsalmen.
Warens viele tausend Weltenjahre
Oder wars ein einzger voller Glücksstrahl?
Bis sie endlich mit vereinter Stimme
Huben an zu dichten und zu sagen,
Schöngeformten zwiegestalten Einklangs
Wie kein andrer Einklang klingt im Weltraum.
Dieses also thaten sie von außen.
Aber innen in der Beiden Körper
Die Myriaden kleiner Tongebilde,
Theilten dieß beglückte Sammelfühlen,
Stuf' um Stufe sich vom Schmerz erlösend.
Erstens als das Weib die Lippen aufschloß
Und gestand die Sehnsucht ihres Herzens,
Legte sich der ungestüme Aufruhr
Sammt dem Pressen und den Willenzwängen,
Und, gehoben von versöhnten Pulsen,
Fortgetragen von der Stimme Jauchzen,
Flog die Sängerschaar befreit von dannen;
Flog herüber zu der ersten Heimath:
In die Dichterseele des Propheten.
Grüßend wurden sie daselbst empfangen
Und bewundert und bestaunt mit Jubeln:
Siehe anders waren sie geworden
Deutlicher an Form und leibeskräftger,
Daß sie herrschten unter ihren Brüdern.
Dieses that die schmerzliche Erfahrung,
Sammt den Schlacken in des Weibes Hölle.
Selber fanden sie ihr Haus verschönert:
Auf dem Seelenmeere schwamm ein Prachtschiff,
Stolz und ruhig mit geblähtem Segel,
An des Schiffes Steuer stand ein König,
Der gebot dem ganzen großen Reiche;
Ordnung herrschte jetzt und Maß und Satzung;
Nicht mehr wild erfolgte die Vermählung,
Nicht mit ungestümem Bräuterauben,
Lange warben die Gedankenadler
Und der Hochzeit ging voran die Weihung.
Und die dunkelfarbigen Gefühle,
Wenn sie stiegen nach dem Meeresboden,
Als sie sahn des wilden Königs Antlitz
Lichter wurde da ihr trübes Auge
Und sie stiegen nach dem Admiralschiff,
Wo sie ruhig sitzend auf dem Backbord
Lauschten seinen sanften Trostesreden
Und genaßen von der finstern Schwermuth.
Leicht ja heilt ein Leid durch Liebesworte.
Zweitens als die herrliche Sibylle
Nun dem Dichter gab zurück die Antwort,
Da begann ein freudenvoller Festzug,
Schön geordnet von dem Meereskönig:
An der Spitze die erfahrnen Männer,
Aber hinter ihnen her die Jungen;
Führten sie hinüber durch das Bergthal
In des Riesenweibes Herzenshölle,
Meldeten die überstandnen Leiden
Und erklärten ihnen alle Räume.
Anders war die Hölle jetzt geschaffen:
Nicht mehr brannten die gewichtgen Massen
Nicht mehr preßten sie und widerstanden,
Schweigend lehnten sie sich an mit Schmeicheln,
Wollust hauchend aus den kräftgen Gliedern,
Gleich dem Schmiegen eines schönen Weibes.
Und so ward ein Hin- und Herbewegen
Vom Propheten zu der Riesenjungfrau
Und zurück, mit segensvollem Ausgleich:
Ward beseelt das Herz des stolzen Weibes
Sammt den harten eisernen Gedärmen,
Doch das Innere des sanften Sängers
Ward von ächtem, gutem Leib befestigt.
Wenn dann einst vollendet ist der Ausgleich
Und das wunderbare Riesenbrautpaar
Ist zur Reife hin und her gediehen,
Wird der Dichter seinen Leibrock gürten,
Und die Sängerin mit bangem Beben
Wird die Schuhe nesteln an den Füßen
Und nachdem sie eines einzgen Blickes
Sich verständigt ihrer Liebesinbrunst
Stürmen sie den steilen Pfad hinunter,
Blinden Sturzes durch die dichten Sträucher,
Mit den Fäusten in die Zweige greifend
Und das Buschwerk vor sich her zerreißend.
Wenn sie also Arm in Arm geschlungen
Und die Lippen auf einander pressend
Feiern ihre ewge Jugendhochzeit.
Welches ist der Name dieses Daseins,
Wie wohl werden alle Einzelwesen
Fühlen, wenn sie theilen dieses Fühlen?
Carl
Spitteler . 1845 - 1924
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