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Gedichte, Lyrik, Poesie

Extramundana
162 Bücher



Carl Spitteler
Extramundana . 2. Auflage 1905



Mythus

Melden ließ der Architect des Himmels:
"Laut Beschlusses unsrer Baubehörde
So geschehen in der letzten Sitzung,
Wird hiemit ein Kampfpreis ausgeschrieben
Wer von heut' in hunderttausend Jahren
Uns den besten Weltplan übersende.
Klar und deutlich muß der Plan verfaßt sein
Und die Arbeitszeit genau berechnet
Sammt den Kosten, einzeln wie im Ganzen. -
- Wohlversiegelt in besonderm Briefchen
Ist dem Plan der Name beizugeben,
Auf dem Briefchen ein beliebig Motto."

Also schrieb der Architect des Himmels.
Aber an demselben Tage ging er
Zu besuchen Ergos seinen Jünger,
Nahm ihn unterm Arm und sprach mit Flüstern:
"Ergos du mein liebster bester Jünger,
Sieh es hat durch mich die Baubehörde
Ausgeschrieben einen hohen Kampfpreis.
Ruhm und Reichthum wird den Sieger lohnen
Und für ewig ist sein Glück befestigt.
Dir nun würd' ich das am ehsten gönnen
Als dem besten aller meiner Schüler,
Ueberdieß aus einem andern Grund noch:
Ja, es ist mir keineswegs entgangen,
Wie in heimlicher bescheidner Werbung
Du dich mühst um Physis meine Tochter.
Hat vielleicht ihr Herz noch nicht gesprochen
Wird der Siegesruhm den Ausschlag geben.
Räthselhaft ja ist das Herz der Jungfraun."

Ihm erwiederte der junge Ergos:
"Dank und Freundschaft mein verehrter Meister!
Freilich werd ich Jegliches versuchen
Und nach Kräften wie ich es verstehe
Fleißig mich bemühen um den Kampfpreis.
Dennoch heg' ich bloß geringe Hoffnung,
Denn das Baugericht, du weißt es selber,
Ist bestellt aus kunstverständgen Schwätzern
Die nach neuem Gutem kläglich schreien
Und ein Hochbedeutendes begehren
Nur mit dieser einzigen Bedingung,
Daß es mittelmäßig sei gleich ihnen.

Wenig hoff ich auch um deine Tochter.
Geht doch Polytecteles der Pfuscher
Täglich aus und ein in deinem Hause
Und mit Singen und Charadenspielen
Und mit Schnitzelbänken zum Geburtstag
Pfuscht er sich in deiner Weiber Herzen:
In das Herz der Mutter Architectin
Und nicht wenig auch ins Herz der Tochter."

- Gleichwohl unternahm er jetzt den Bauplan.
Täglich in geweihter, heilger Sammlung
Ging er auf und nieder in den Hainen
Lauschend den Gedichten seiner Seele
Und im hehren Sonnenstrahl sie badend.
Niemals konnt' er doch sich selbst genügen
Immer sich verbessernd und verschönernd.
Fünfzigtausend Jahre schuf er sinnend,
Brauchte nicht Papier und Tusch und Farbe;
Aber über fünfzigtausend Jahren,
Ging er einsam in sein stilles Zimmer,
Warf sich auf die Knie und lag mit Beten
Andachtsvollen innigen Gebetes,
Eine lange Stunde vor dem Pulte
Bis er endlich jähen Sprunges aufsprang
Und mit vollem bilderreichen Herzen
Thatendurstig sich erhob zum Werke.

Als er aber einmal angefangen
Galt ihm weder Ruhe noch Erholung.
Nicht des Nachts und nicht in müden Stunden
Ward er los die göttlichen Gestalten,
Die mit unerbittlichem Beharren
Peinlich ihn beglückten und entzückten.
Krank und reizbar ward er von dem Blendwerk
Während unter seinen Schöpferhänden
Wuchs das edle Werk gesund und kräftig.
War nicht breit das Werk noch riesenförmig,
Mäßig mocht' er seine Welt gestalten;
Edler dünkt' ihn ein begrenztes Dasein,
Angefüllt mit reiner Lust und Schönheit
Als ein riesenungeheures Plumpsal.

Dachte sich die Welt in einem Garten
Frei und ruhig schwimmend durch den Aether,
Wollust hauchend aus dem Kelch der Lilien,
Schattig, weil die vielen Sternensonnen
Strahlten unterhalb des runden Schiffes,
Zwischen grünen Blättern, zwischen Blüthen,
Die mit dunkelfarbgem Scharlachteppich
Hingen in Guirlanden und in Fasern
Tief hinunter nach dem blauen Aether,
Unterm Schiffsraum einen Vorhang bildend,
Daß die Sonnenstrahlen, eingeschlossen
Glitzerten und blitzten durch das Laubwerk.
In dem Garten wohnten wenge Menschen,
Dreizehn oder vierzehn bloß von Anzahl,
Aber Menschen von vollkommnem Wesen,
Keine Staats- und Schul- und Kirchen-Menschen,
Keine Tugendmenschen mit Intriguen,
Ueberspitzt mit kindischen Begriffen,
Sondern Menschen voller Herz und Seele
Deren Edelmuth mit ebnem Pulsschlag
Unwillkürlich fluthend gleich dem Bergquell,
Gleich wie Knospen wachsen aus den Pflanzen,
Schenkt dem Nebenmenschen Glück und Freundschaft
Wie die Sonne schenkt die goldnen Strahlen.

War zugleich derselben äußerer Anblick
Ebenmäßig ihrem guten Inhalt:
Zwar das Männchen der vollkommnen Menschen
Trug da nicht die schnöde Raubthiermaske
Und den affenmajestät'schen Bartring
Und den Geldbauch und den Heldenbusen:
Freundlich aufgericht den jungen Körper
Und das Antlitz sinnend vor Gedanken
Und das Auge licht von Phantasiespiel,
War er männlich nicht durch grobes Bockthum,
Sondern männlich an vernünftgem Willen.

Und die Weibchen, gleich an hohem Wuchse,
Schlank gebaut auf unverkürzten Schenkeln,
Nahmen Theil an jedem hohen Werke,
Nicht am hohen Werk des Hausgeräthes,
Sammt dem Stadtbrei und Familienkäse,
Sondern Theil an geistigem Erzeugen,
Selber schaffend aus den Künstlerseelen.
Hier bedurft' es keinerlei Ergänzung,
Halben unselbstständigen Characters,
Waren alle ganz an vollem Werthe,
Ganze Freundschaft diente für Ergänzung.

Also lebten sie in ewger Jugend,
Glück und Liebe um sich her verbreitend
Glück und Liebe reichlich selbst genießend.
Ohne Sterben, ohne Schmerz und Krankheit.
Ohne Zank und niedrige Geschäfte.

Und es schwamm die kleine Welteninsel
Runden Bogens um den hohen Himmel,
Festgebannt von kräftigen Magneten.
Vor dem Schiff an Stelle des Piloten
Leuchteten die eigenen Gedanken
Prächtig schimmernd in der blauen Zukunft.
Aber hinten statt des Nebelschleiers
Schwammen die vergangnen Wonnetage
Duftigen und farbenreichen Schattens,
Wie die Schatten eines rechten Malers,
In der Ferne langsam sich vermindernd
Immer deutlich doch und herzberauschend
Eine unvergängliche Erinn'rung.

Nahe war die Insel auch dem Himmel
Abgemessner ziemlicher Entfernung,
Also daß von hüben und von drüben
Eine Schönheit eine andre grüßte
Bald die Schatten bald die Lichter tauschend,
Wechselvollen zauberhaften Bildes.

Zwar die Himmelsbürger von den Fenstern,
Wenn sie schauten die gefeite Insel
Wie sie ähnlich einem Farbenschwane,
Ruhig segelte im blauen Meere,
Hurtig riefen sie herbei die Nachbarn,
Welche nun mit überraschten Mienen
Lauten Rufens und entzückten Jubelns
Immer lugten nach dem Paradiese
Bis die Insel bog ums Vorgebirge. -

- Aber selber die vollkommnen Menschen
Sahen schweigend nach dem stolzen Himmel,
Der getragen von gewaltgen Felsen
Zwischen Wäldern, zwischen lichten Gärten,
Stieg empor in luftigen Terrassen,
Froh geschmückt mit vielen tausend Häusern
Die bescheidnen matten Marmorglanzes
Jede ihren Nächsten überragend,
Schauten aus den träumerischen Halden,
Weil die Fenster blitzten in der Sonne
Und bewegt von kräftgem Frühlingsluftzug
Flatterten und klatschten die Marquisen.
Angelehnt am Bord des Paradieses
Sprach die schönste Jungfrau zum Geliebten,
Legt' ihm ihre Finger auf die Hände
Und betrachtet' ihn mit langem Blicke:
"Gönne mir Geliebter eine Frage,
Heilig will ich ehren deine Antwort;
Ein Gedanke schwebt durch meine Seele
Leicht und schön mit Regenbogenschwingen;
Doch sobald ich ihn nun möchte haschen
So entwischt er mir aus meinen Händen.
Darum sprich mein hochverehrter Lehrer:
Wie verhält es sich mit dieser Wahrheit,
Daß ich ungeachtet meiner Liebe
Die ich hege für dein edles Antlitz
Mehr dich sehe und dich näher wähne,
Wenn ich schaue nach dem fernen Himmel?"

Ihr erwiederte der Freund des Herzens:
"Eine schwere Frage stellst du, Holde!
Hab sie oft auch selbst an mich gerichtet
Und gefunden diese einzge Antwort:
Wie kein Blick sich selber kann betrachten
Und die Hand nach außen ist gerichtet
Unvermögend ihr Gelenk zu fassen,
Also kannst du weil wir Beide eins sind
Mich vernehmen nur im Spiegelbilde."

Wieder sprach die Schülerin zum Meister:
"Lieber! nicht befriedigt mich die Antwort,
Deckt nur halb die breite reiche Wahrheit.
Andres hab' ich bei mir selbst gefunden:
Jeder Körper, sei er des Geliebten
Birgt die Seele wie mit einem Schleier,
Dessen Form verräth den geistgen Inhalt,
Doch der Stoff ist plump und fremd und sinnlos.
Können drum auch niemals gegenwärtig
Eine Seelenwonne ausgenießen
Weil das Körper-Grobgefühl sich einmischt.
Sondern jedes Glück ist dann am stärksten
Wenn es eben neulich ist vergangen,
Zwar vergangen nach dem äußern Anschein
Aber voll vorhanden im Gemüthe.
Wie nun hier die Zeit den Stoff hinwegräumt
So geschieht es dort durch die Entfernung.
Richtiger erscheint mir dies und voller,
Will mir gleichwohl nicht durchaus genügen."

Lange blickte sinnend der Geliebte
Weil er in den Tiefen seines Geistes
Feinen Denkens die verschlungne Wahrheit
Auseinander suchte und zertheilte.

Endlich hub er an und sprach das Urtheil:
"Erstlich, wie es öfters zu geschehen pflegt
Haben wir die Frage falsch gestaltet.
Nämlich nicht an jenem fernen Berge,
Wie du meintest, finden wir uns selber,
Sondern darin, daß wir mit einander
Leib an Leib gelehnt mit gleichem Fühlen
Schauen an zur selben Zeit das Schauspiel;
Und der Gipfel unsres hohen Glückes
Ist der Augenblick des Wiedersehens
Wenn nach langem Wandeln am Gebirge
Ich betrachte dein belebtes Auge
Schön geformt und reich an dunklen Farben,
In dem Auge grüßend deine Seele,
In dem Gruß mein eigener Gedanke.
Da wir dieses also jetzt verbessert
Kann ich leicht die Wahrheit dir erklären:
Nicht der Körper ist allein uns hemmend,
Daß wir Eines nach dem Andern schauend
Nicht erkennen unser tiefstes Wesen,
Ist auch hemmend der erregte Wille
Und das starke Fühlen und das Lieben,
Da ich über deinem holden Anblick
All mein Dasein spüre aufgerüttelt,
Daß es wogt und schäumt und zuckt und funkelt
Und mich ziehts mit heftigem Verlangen
Dich zu fassen und dich fest zu pressen
Mund auf Mund in ewiger Umschlingung,
Kann doch niemals selber dich umschlingen,
Denn jemehr ich deinen Leib umfange
Desto ferner rückt dein tiefstes Wesen;
Weil das Wesen eines jeden Menschen
Liegt enthalten weder in dem Körper
Noch im vielen Fühlen oder Lieben,
Die ja eitel sind des Wesens Kinder.
Dieses vielmehr ist das eigne Wesen:
Das geheimnißvolle Bilderquellen
Wie es aufsteigt aus dem Seelenmeere
Wenn das ganze Leben glatt und windstill
Liegt in sanfter Ruhe hingebreitet,
Daß kein Wogen schwemmt hinweg das Keimen.
Zwar im Traume du geliebtes Sinnbild
Quellen leicht und schön die Zauberringe
Da der Schlaf die Lebenswogen bändigt;
Und du weißt ja welche Farbenfülle,
Welche Innigkeit und welcher Lichtglanz
Schwebt im Traum um das geliebte Bildniß.
Aber wachend werden wir geschüttelt
Und zerstreut vom lauten bunten Dasein
Uebertäubt auch von dem eignen Leben.
Darum, wollen wir uns selbst gewinnen,
Müssen wir das überschüss'ge Fühlen
Erst beschäftigen und ruhig setzen
Wie man Kinder ruhig setzt ans Lustspiel,
Daß wir mögen unbehelligt bleiben.
Müssen auch vermeiden, daß die Kinder
Ueberm Spiel sich zanken oder stoßen
Oder vor der langen Zeit ermüden
Oder auch mit Fragen uns beläst'gen.
Dieses also gilt für alle Kinder;
Aber unsres eignen Wesens Kinder
Als da sind der Körper und der Wille
Und das bunte Fühlen und das Lieben
Sind vor allen andern ungezogen
Und verwöhnt und mühsam zu vereinen,
Daß ich kenne nur ein einz'ges Lustspiel
Das vermag sie lange festzuhalten
Und in Eintracht sämmtlich zu versöhnen.
Wirst mich fragen, welches ist das Lustspiel?
Dieß geliebte Jungfrau, ist das Lustspiel:
Ist die Schönheit. Dieses ist das Lustspiel.
Darum blicken wir zum fernen Himmel
Darum finden wir bei diesem Anblick
Hinterm vielen Fühlen unser Wesen
Freilich zwar zunächst das Eigenwesen
Aber mitten in dem Eigenwesen
Das geliebte theure zweite Vollbild.
Sehnen würden wir und schmerzlich dehnen,
Wäre nicht das selige Bewußtsein,
Daß wir Arm an Arm und Wang' an Wange
Mit einander spüren unser Wesen,
Zwar zum Kreuz geformt in schrägem Durchschnitt
Selber fühlend ich in Deinem Wesen
Aber du, Geliebte in dem Meinen.
Und wir schauen ewigen Gedankens
Nicht Gedankens sondern ewgen Glückes -
Niemals möchten wir das Wunder enden,
Da wir uns vergrößern und veredeln
Und vermehren in dem tiefsten Wesen.
- Aber siehe welch ein neuer Glücksstrom
Kommt von außen zu uns hergeschwommen?
Sind die Kinder unsres eignen Wesens,
Welche, satt vom Hochzeitsmahl der Schönheit
Und mit süßer Beute überladen,
Jubelnd uns begrüßen und beschenken.
Werden nicht den holden Kindlein zürnen,
Länger könnten wir die Lust nicht tragen;
Vor der schweren Ladung seufzt der Athem.
Aber wenn ich nun die Sinne sammle
Und erwache körperlichen Fühlens,
Nicht entschwunden ist das selge Schauspiel,
Nicht in bleiches Nichtsein ausgeartet:
Fest und sicher steht es mir vor Augen,
Grüßt und ruft aus deinem kräftgen Antlitz:
Bin kein Traum und auch kein Gotteslichtstrahl,
Selber bin ichs, die geliebte Jungfrau,
Gleich wie du geformt an Geist und Größe,
Gleich geformt wie du an sündger Schwäche,
Gleich geformt an schrankenloser Liebe."

Und die Jungfrau während seiner Rede
Blickte seitwärts auf des Schiffes Planken,
Thränend aus den halbgeschlossnen Lidern;
Aber als er nun den Spruch geendet,
Da erhob sie ihr verklärtes Antlitz
Und mit wunderbarem Sonnenlächeln
Fragte sie und sprach erstickter Stimme:
"Noch ein einzges Wörtchen laß mich wissen:
Können wir vielleicht das Glück erhöhen
Und das Quellen in der Seele mehren?"

Nochmals gab zurück der Freund und Lehrer:
"Freilich können wir das Quellen mehren
Und das Glück in Ueberglück erhöhen,
Mit geheimnißvoller Zaubermehrzahl.
Wohl verstehst du, Holde, diese Mehrzahl:
Ist das Kunstspiel. Dieses ist die Mehrzahl."

Und die Jungfrau schloß die feinen Lippen,
Doch die großen, meerestiefen Augen
That sie auf mit kühnem Bogenschwunge;
Bis sie jetzt mit plötzlichem Ereigniß
Von sich streckte ihre beiden Arme
Und begann mit feierlicher Stimme
Ein Gedicht zu sprechen nach dem Himmel,
Nicht Gedicht von hitzigen Gebärden
Und von vielem Fühlen und von Lieben,
Eitel selbst sich auseinander dichtend,
Sondern dichtend leuchtende Gestalten
Eignen Lebens in dem schönen Herzen,
Wie ja immer thun die ächten Dichter.

Dieses also übten diese Beiden.

Weil vom andern Ende bei dem Steuer
Man vernahm von Männern und von Frauen
Ein beglücktes, reingestimmtes Singen,
Nicht das Singen von Gesangvereinen,
Eitlen, volksveredelnden Bewußtseins,
Jeder seiner Bildung sich erinnernd
Und den Dank des Vaterlands begehrend,
Sondern singend aus dem warmen Herzen,
Jubelnd mit der Stimme hellstem Vollklang,
Wie die Vögel jubeln in den Büschen
Und beim Morgensonnenschein die Mägdlein.

Aber auf des Schiffes Belvedere,
Wo anstatt des Mastbaums eine Stange,
Zwiegemalt, mit goldnem Knauf besiegelt,
Wuchs durch Blumenwälder in den Luftraum
Um die Stange eine Wendeltreppe,
Stand ein herrlich Weib auf dieser Treppe,
Oben auf der letzten, schmalsten Stufe,
Kaum genügend für die feinen Füße.
Welche Stütze hält sie in der Schwebe?
Ist die Hand des auserwählten Mannes,
Die umspannt die Finger ihrer Linken,
Aufwärts strebend mit gebognem Arme,
Einem Hebel gleich an Zauberwirkung;
Während selber sie gestreckten Körpers,
Auf den Zehen stehend, steil emporwächst,
Mit gesteiftem Arm die Hand benützend,
Daß sie sichrer ruht auf diesem Pfeiler,
Als auf ihrem eignen Fußgewölbe;
Hält noch überdieß mit ihrer Rechten
Halb umfaßt die starke Eisenstange.

Also blickte sie von ihrer Warte
Ebnen Plans hinüber nach dem Himmel,
Aerndtend nicht allein die Vorderflächen,
Sondern ärndtend in den innern Gassen,
Wie die Sonne ärndtet überm Walde.
Doch die Winde, reisend durch den Luftraum,
Als sie sahn die herrliche Erscheinung
Eilten sie herbei in hastgem Wettlauf,
Jeder eifersüchtig auf den Andern
Und die holde Beute ihm mißgönnend.
Frech und ungezogen war die Werbung:
Küßten fröhlich ihr die Lippenbeeren
Und die sanften rundgeformten Wangen.
Durften doch die Reise nicht versäumen.
Deßhalb raubten jagend sie die Küsse,
Wie der Sperling raubt den bunten Falter
Oder wie die Ritter beim Turnierspiel,
Wenn sie spronstreichs mit verhängten Zügeln
Haschen nach dem schöngestickten Preise.

Von dem vielen Küssen schwand ihr Athem
Und erröthend bog sie weg das Antlitz.
Gleichwohl ließen sie nicht ab vom Angriff;
An den Locken mochten sie sich rächen.
Und mit jähem übermächtgem Ansturm
Rissen sie das Band ihr aus den Haaren,
Daß der Lockenschopf, befreiten Flügels,
In den Lüften flatterte und peitschte,
Falscher, ungeregelter Bewegung,
Sich verzausend und sich wirr verknotend,
Aber immer licht von Gold erglänzend.

Niemals sah man eine schönre Fahne,
Niemals las man eine stolzre Inschrift.
Fahne nicht von Zollverein und Paßport,
Inschrift nicht von Zunft- und Stiftungs-essen
Oder Wahlsieg oder Obstausstellung,
Sondern Fahne des verschönten Daseins,
Im verschönten Dasein Glück geschrieben.

Als die Bürger auf der Himmelsplattform
Sahn erglänzen diese edle Fahne
Liefen sie in Haufen nach der Mauer
Und mit Winken und mit Tücherschwenken
Grüßten sie die liebliche Erscheinung.
Durften nicht auf Antwort lange warten. -
Und so ward von hüben und von drüben
Lust und Freude durch des Andern Dasein:
Diese an dem Himmel sich vergnügend,
Jene staunend nach dem Paradiese.

Solches also war des Ergos Weltplan.
Und er schrieb es deutlich und vernünftig,
Alles, von dem Größten bis zum Kleinsten,
Nach der Vorschrift, so den Grund- als Aufriß,
Einzeln wie im Ganzen, sammt den Mitteln
Und der ungefähren Zeit der Arbeit.

Viele Müh und Arbeit würd' es kosten,
Angespannten, selbstvergessnen Schaffens,
Sich begnügend, wenn bei seinem Tode
Er vollendet sähe seine Schöpfung.
Mußt' auch großes Geld vom Staat verlangen
Weil er aus dem besten Himmelsglücke
Wollte seine kleine Welt erbauen
Aus dem edlen Himmelsglück Eirene
Das gewonnen wird im Hochgebirge,
Seltener und köstlicher als Marmor.
Sollten überdieß die dreizehn Menschen
Sich vom Ewgen-Lebens-Saft ernähren
Gleich dem Wasser in dem Himmelsbrunnen.
Hohen Springquells aus dem Inselgarten
Sollt' es speisen erstens alle Pflanzen
Zweitens speisen auch die Weltbewohner
Stätig aus sich selber sich erneuernd.
Als er Alles dieses rein gezeichnet
Und geprüft und öfters auch verbessert,
Schöner Friede füllte seine Seele
Und mit heiterem bescheidnen Muthe
Faltet' endlich er den Plan zusammen.
Suchte überdieß nach einem Motto.
Diese Worte wählt' er sich zum Motto:
"Gott und mein Gewissen seid mir Zeugen:
Hab' es recht gemacht. Ich darfs bekennen."

Ging lustwandeln dann im Himmelswalde,
Träumerisch, das Herz erfüllt mit Liebe;
Sprach zu sich in seinem Träumer-Herzen:
Möchte wissen, was die Vielgeliebte
Denkt und spricht in dieser selben Stunde.
Ob vielleicht sie denkt des fernen Ergos
Oder was sie Andres fühlt und dichtet.

Aber Polytecteles der Pfuscher
Wollte ebenfalls den Preis gewinnen
Sammt des Architecten reicher Erbin.
Freilich anders schritt er an die Arbeit:
Schuf sich erstens eine große Werkstatt
Sonderbar gebaut mit hohen Thürmen,
Daß ein Jeder sie von weitem wahrnahm
Und das Volk mit Gaffen und mit Staunen
Sich versammelte vor seiner Pforte.
Zweitens kauft' er einen Künstlermantel
Und von Lorbeer eine stolze Krone
Warb dann unterm Himmelssclavenhaufen
So mit Höfeln als mit Galgengrobheit
Hundert krummvernünftige Bewundrer,
Welche mit Trompeten und Posaunen
Immerwährend lärmten vor der Werkstatt
Und mit unermüdlichem Entzücken
Schrien des Meisters Namen durch die Gassen.
Wie nun Alles dieses wohl bestellt war
Schritt der Schlucker feierlich zur Arbeit,
Sieggewiß mit meisterhaften Schritten;
Riegelte die Schlösser an den Thüren
Und verschloß die Fugen an den Fenstern.

Seinen Bleistift holt' er aus dem Busen,
Zauberbleistift mit verborgnen Kräften,
Schön geschnitzt mit sinnigen Figuren;
Ein Geschenk von einer Himmelsgräfin
Welches sie, berauscht von heilger Ehrfurcht,
Einst bescheert dem gottgeweihten Pfuscher
Aengstlich zitternd und die Hand ihm küssend.
Seither mocht er keinen andern Bleisteift;
Diesen wollt er oder keinen haben.
Und mit hocherhobnem Zauberbleistift,
Und den Lorbeer in den langen Haaren,
Und den Künstlermantel mit der Linken
Meisterhaften Schwungs nach hinten schlagend,
Daß die Schleppe von der Heldenschulter
Fiel mit stolzem Faltenwurf zur Erde,
Stellt' er jetzt den Fuß auf einen Schemel
Und begann den wunderbaren Einfall;
Ohne Ahnung wie versteckter Weise
War ein Maler in das Zelt geschlichen
Der in diesem heiligen Momente
Malte des erlauchten Schöpfers Bildniß.

Dieses war der wunderbare Einfall:
Etwas unaussprechlich unvergleichlich
Götterheldenhaftes Unerhörtes
Wollt' er dem erstaunten Volk beweisen,
Daß davor die frühern Architecten
Müßten jämmerlich im Staub versinken
Und hinfort in Ewigkeit die Baukunst
Wäre nur allein in ihm enthalten.
Und mit wildem Augenäpfelrollen
Gleich dem Tiger wenn er grimmig knurrend
Einen Cochinesen trägt im Maule,
Schuf er einen ungeheuren Weltball,
Ohne Anfang weder Ziel nach Ende,
Daß man niemals wisse wo man stehe.
Sollte überdieß der Riesenweltball
Nicht allein zum Schauspiel sein geschaffen
Sondern auch fürs Ohr und für den Gaumen
Daß mit allen möglichen Organen
Man genießen könne dieses Kunstwerk,
Wie ja gerne thun die Schlucker-Pfuscher.
Sollte dann die Welt mit Geist erfüllt sein
Und wo möglich mit Gemüth und Seele.
Weil er aber nichts dergleichen hatte
Abgerechnet ein'ge schlaue Pfiffe;
Mocht' er ewig sich die Flanken schlagen
Oder trommeln auf den Dichterbusen;
Kamen über vielen hundert Jahren
Trotz verzweifeltem Gedankenquetschen
Wenge Geisteströpflein nur zum Vorschein,
Arme magere verblaßte Tröpflein
Kaum genügend für das kleinste Weltlein.
Nothgedrungen ändert' er die Füllniß:
Statt des geistigen beseelten Inhalts
Füllt' er jetzt die Riesenwelt mit Steinen
Oder auch mit nicht'gem hohlen Luftraum
Ewig unaufhörlich ihn beschreibend,
Wie ja gern beschreiben alle Schlucker.

Weil nun etwas einerlei und trostlos
Ihm erschien das steinbeschwerte Nichtsda
Braucht' er einen schlaugedachten Kunstpfiff:
Drehen sollte sich das Riesen-Nichtsda
Daß man vor dem raschen Spiegelfechten
Nicht bemerke die betrübte Armuth.

Aber was für eine Formgestaltung
Sollt' er seinem Riesenbau gewähren?
Muß doch Alles einen Anblick haben
Eine Ordnung auch und Kopf und Rückgrat.
Darin zeigt sich ja der wahre Künstler;
Gerne thut ers und mit kräftgem Wurfe,
Eines einzgen Schwunges steht das Bild da.
Während freilich die gefehlten Pfuscher
Immer kleinlich mit Gedanken bohren,
Feinen dünngeschnäbelten Gedankens,
Einzeln jegliches zusammentragend
Wie die Vögel bauen ihre Nester.
Mögen noch so fleißig sich bemühen
Niemals werden sie die Form erreichen,
Immer aus der Stümperhaut der Inhalt
Streckt ein überschüssges Bein und Maul auf.
Aehnlich Polytecteles, der Schlucker.
Konnte nicht die Welt in eins gestalten,
Alles floß ihm ewig auseinander
In die heimathliche Pfuscherbreite.

Wenn er band der Form das Maul zusammen
Drehten sich die Hinterfüße aufwärts,
Wiederspenstig durcheinander starrend,
Gleich als wenn ein Knecht das Ackerwerkzeug
Dummer Weise faßt am vordern Ende;
Wenn er aber ordnete die Füße
Siehe da erschienen dreißig Mäuler,
Die er hastig mußte wieder heften.

Als er solcher Maaßen tausend Jahre
Ganz umsonst sich um die Form beworben,
Grimmig ändert' er die Kunstgesetze,
Schrieb ein Buch und sagte jeder Form ab.

Laufen ließ er da das Riesenweltall,
Auseinander laufen wie es mochte.

Ging jetzt über zu den Weltbewohnern:
Wo er nunmehr in den vielen Thieren
Wollte alle Dichtkunst schön versammeln.

Dachte Polytecteles, der Pfuscher:
"Jegliche Vollendung ruht im Drama,
Weil man da die innere Entwicklung
Und das Schicksal und den Werth der Unschuld
Kann vor Augen stellen und beweisen.
Daß der Himmelsbürger nach dem Schauspiel
Selbstzufrieden sich zu Bette lege,
So geläutert durch die Seelenspannung,
Als erhoben von der Sündenstrafe.

Tragisch schuf er also seine Thiere,
Tragisch durch die innere Entwicklung
Und den Sonderwillen und das Leiden,
Da sie von dem kleinsten Kindesalter
Bis zur invaliden Zeit der Weisheit
Stätig in Conflicten sich bewegten.
Ließ auch wie ja gern die Schlucker pflegen
In dem letzten Acte alle Spieler
Einen um den andern deutlich abthun,
Daß nicht Einer schließlich noch sich mukste.

Weiter redete zu sich der Pfuscher:
"Ebenfalls berechtigt ist die Lyrik.
Zwar vor alten grauen Himmelszeiten
War vereint das Sagen mit dem Geigen,
Aber heute muß mans anders machen."

Trennte drum das Sagen von dem Geigen;
Zwar die meisten Thiere lehrt' er geigen
Oder pfeifen oder auch trompeten,
Oder irgend eine andre Tonart,
Doch ein einzges lehrt' er Reden halten.

Könnte man das Epos wohl entbehren?
Schwer entbehren würde man das Epos.
Freilich dieses weiß ein jeder Pfuscher,
Daß verboten ist das edle Epos,
Das erscheint mit herrlichen Gestalten,
Schönen, stolzen, farbenreichen Hergangs;
Doch das Kreis-Gerichts-Assessor-Epos,
Wo anstatt der willenskräftgen Helden
Oder auch der glanzumhauchten Götter
Jeder Wähler mit vergnügtem Schmunzeln
Findet sein getreues, theures Abbild
Und die Huldin wie im vollen Leben
Sich bequem und unverfroren ausschwatzt,
Dieses ist erlaubt und nicht erlaubt nur,
Sondern sehr begehrt mit durstgem Lechzen,
Wie der Vielfraß lechzt nach neuem Rennthier.

Also wählt' er das Assessor-Epos:
Ließ die Thiere episch sich verlaufen
Mit Bewegung an den Heldenbeinen.
Statt der Handlung, statt vernünftgen Zieles
Mußten ewig sie auf Reisen gehen.

Wird die Elegie kein Plätzchen finden,
Samt dem Molkenmilch- und Lämmerbildchen?
Gar ein großes Plätzchen wird sie finden:
Weil er sah wie gern die Himmelsfrauen
Um und um mit Kindern sich umgeben,
Sie zu säugen und sie rein zu waschen,
Macht' er aus den Thieren Säugethiere
Und beschenkte sie mit vielen Kindern
Sammt Familienleben mit den Ruthen.

Blieb allein das Lehrgedicht noch übrig,
Wurzelzähen, hölzernen Charakters,
Aber sehr erwünscht im Himmelsschulsaal.
Schuf drum seine Thiere pädagogisch,
Pädagogisch durch die geizge Habsucht,
Da vom frühen Morgen bis zum Abend
Sie ein nützlich Ding zur Höhle schleppten,
Froh, dem Nebenmaul es wegzuschnappen.

Ueber solcher kunstgerechter Arbeit
Wer genäse nicht in Muth und Hoffnung?

Aber als er nun getrost und fröhlich
Eben fast die Zeichnung wollte enden,
Wiederfuhr ihm eine schlimme Störung:

Eines Morgens, so wie alle Morgen,
Kam vermittelst des geheimen Schlüssels,
Der ihm aufthat alle Himmelsthüren,
Ungefragt der Zeitgeiz eingetreten,
Ihm am Arm die öffentliche Meinung,
Seine treue eheliche Gattin.
Ei wie grüßte da der Schluckerpfuscher!
Ei wie dankt' er für die hohe Ehre!
Zwar der Zeitgeiz, geld-bewußt und protzig,
Nickte nur ein wenig mit dem Kopfe
Und, den Börsenbauch behaglich dehnend
Und den Zeigefinger sammt dem Daumen
Harmlos spielend in der Uhrenkette,
Weil er mit dem übrigen Gefinger
Klätschelte und tätschelte am Bauche,
Prüft' er gnädig jetzt des Pfuschers Arbeit,
Mit bedecktem gönnerischen Haupte.
Umgekehrt die Oeffentliche Meinung,
Als sie kaum die Pforte halb geschlossen,
So begann sie gränzenlos zu schwatzen,
Lauten, unaufhörlichen Geschwätzes,
Gleichbedeutend was sie immer sage,
Ob sie stets das Eine wiederhole
Oder ob sie selbst sich widerspreche.

Ad libitum.

(Statt des Cashmir- oder Seiden-Stoffes
Trug sie einen Rock von Zeitungsblättern,
Vorn am Busen einen hohen Aufsatz,
Auf dem Rücken viele "offne Stellen".
Muntre Feuilletons in großer Menge
Dienten für die Rüschen-Garnituren,
Während statt des Gürtels um die Taille
Sie benützte eine freie Presse;
In der freien Presse einen Knebel
Sie zu zwängen und sie hübsch zu schnüren.
Statt des Fächers und des Opernsehers
Hielt sie eine Rundschau und ein Falzbein
Weil die andre Hand ein Tintenfäßchen
Lieblich duftend von verblümten Worten
Immerwährend schwenkte vor dem Munde,
Zu verdecken ihrer selbst Gerüche.
Warum geht so schwer die offne Meinung?
Fortschrittsschuhe trägt sie an den Füßen.)

Als sie war gekommen zu dem Weltplan
Schrie sie auf mit heftigem Entrüsten:
"Wo ums Himmels willen, lieber Pfuscher;
Wo entdeck' ich leitende Begriffe?
Siehe sämmtliche Principien fehlen,
Sammt der Tugend und der Schnebbentaille,
Und dem Fisch nicht mit dem Messer essen?"

Und so fort mit ewigem Entrüsten.

Doch der Zeitgeiz überlegnen Lächelns,
Blickte immer ruhig auf die Arbeit,
Bis er endlich kurzen Wortes anhub:
"Polytecteles mein lieber Schlucker!
Herrlich ohne Zweifel ist der Weltplan.
Doch erlaube mir die eine Frage:
Wer um Alles wird die Welt bezahlen?
Falls du etwa meinst die Baubehörde
Werde dieses Riesenwerk erstehen
Irrst du dich gewaltig. Kannst mirs glauben."

Bleich vor Schreck entsetzte sich der Pfuscher.
Aber unerschüttert sprach der Zeitgeiz:
"Dieses wirst du doch erwogen haben,
Was die vielen Thiere sollen fressen?
Siehe diese ungeheure Menge
Würde ja das ganze Glück des Himmels
Sammt den ewgen Säften rein verzehren."

Fiel darob der Andere in Ohnmacht.

Als er schließlich wiederum erwachte
War das hohe Ehepaar verschwunden.
Oed und trostlos gähnt' um ihn der Werksaal, -
Sollt' er all sein schönes Werk zerstören?
Tausend Jahre unter bitterm Stöhnen
Gab er sich anheim dem wilden Schmerze
Dumpfen Brütens ohne Licht und Aussicht.

Bis zuletzt aus einem schlauen Winkel
Kroch herbei ein rettender Gedanke
Schob sich an sein Ohr und raunte zischelnd:
"Was die sämmtlichen Principien anlangt
Nebst der Schnebbentaille mit der Tugend,
Wer begehrt denn, daß du etwas ändrest?
Nicht verlangt die Oeffentliche Meinung,
Daß das Wesen gleiche den Begriffen;
Unnütz wär' ihr das und höchst zuwider.
Streue nur von außen in das Weltall
Diese löschpapierene Verzeddlung,
Daß sie lustig flattere im Winde,
So begnügt sie sich mit dieser Schnebbe."

Hurtig sprang der Pfuscher auf die Füße.
Und ermuthigt von dem klugen Einfall
Fing er an der Sparsamkeit zu fröhnen
Und die Weltenwaare zu verschlechtern.

Wollt' ihm dennoch lange nicht gelingen
Immer blieb die Wolle noch zu theuer.
Bis er endlich muthigen Entschlusses
Sich begnügte mit dem Nigger-Bogger:
Mit den übersauren Schwefelgasen
Und den doppelfaulen Wassersäuren
Wie umsonst der Himmel gern sie abgiebt.

Also ward das Weltall doppelsauer.

Selber auch die Leiber seiner Thiere
Füllt' er sparsam nur mit Gas und Säuren,
Anstands halber um die inn're Fäulniß
Spannend einen etwas reinern Hautring.

Doch wie könnt' er jetzt am Fressen sparen?
Mocht' er noch so geizig Soll- und -Haben,
Sollen mußt er, und die Thiere haben. -

Eines Abends fand er einen Ausweg;
Einen Ausweg schändlichen Characters
Wie ihn einzig finden Schlucker-Pfuscher.
Als er diesen Ausweg hatt' erfunden
Selber schämte sich der schlechte Schlucker
Konnte nicht das Tageslicht ertragen,
Weder irgend eines Wesens Anblick.
Aus der Werkstatt eilt' er in sein Zimmer
Wo er nun bei festverschlossnen Läden
Sich in Nacht und Dunkel ruhig schämte;
Regungslos in einem Winkel sitzend,
Daß er nicht sich selber ekelnd spüre.
Sieben Tage schämte sich der Pfuscher.
Als er neulings ging an seine Arbeit
Schlich er krummen Rückens durch die Gassen
Trat auch wahlverwandt in jede Pfütze
Und vor jedem Maulthier oder Hunde
Nahm er ehrerbietig seinen Hut ab.

Welches war der ausgeschämte Ausweg?
Dieses war der unverschämte Ausweg:
Statt des Himmelsglücks und ewgen Säfte
Sollten sich die Thiere selber fressen.
Dieses ist die billigste Ernährung.
Zwar die Einen fraßen von dem Weltall
Doch die Andern fraßen von den Fressern.
Alles Andre war nun leicht zu finden:
Mußten klein gedeihen alle Thiere,
Daß sie nicht die Welt zu Boden fräßen
Mußten endlich ewig sich erneuern,
Daß der Braten bleibe frisch und saftig.
Ist vielleicht die Mahlzeitordnung schwierig?:
Daß man wisse, wer den Andern kaue?
Ob man seinen Nachbar links verschmause
Oder besser beiße in den rechten?
Gar nicht schwierig ist die Mahlzeitordnung:
Jeder an dem runden Tisch des Daseins
Statt Gemüses, statt des Himmelskuchens
Wählt sich von den trauten Mittagsgästen
Jenen, welcher ihm am besten zusagt,
Erstens ihn beschnuppernd und betastend,
Zweitens ihn versuchend mit der Zunge.

Und so ging nun Alles wohl von Statten,
Hatte Polytecteles der Pfuscher
Ferner keine andre Müh und Arbeit
Als verschiedenmäßge Thiergestalten,
Wie's ihm immer einfiel, auszuhecken.
Ei wie grumselte das Hirn des Pfuschers!
Ei wie staunt' er über seinen Reichthum!
Zwanzig Schreiber ließ er herbestellen
Und von einem zu dem andern eilend
Sprach er ihnen hastig durch die Feder,
Jedem einen andern Theil dictirend;
Dieser zeichnete allein die Hörner,
Jener nur die Klauen oder Rüssel,
Und so fort vom Kopf bis nach dem Schwanze.
Viele Arbeit hatten da die Schreiber
Weil das aufgeregte Hirn des Pfuschers
Immer wußte eine junge Spielart,
Sei es, einen Höcker zuerfindend
Oder auch die Hufe anders spaltend.
Niemals unterdrückt' er einen Einfall,
Alles schien ihm immer hochbedeutend,
Wie ja immer thun die schlechten Pfuscher.
So gefiel ihm jedes seiner Stücklein,
Daß ers tausendfältig wiederholte,
Wie ja auch zuweilen thun die Pfuscher.

Aber unterdessen seine Jünger,
Als sie hörten das gewaltge Schaffen:
Länger konnten sie sich nicht enthalten,
Brachen auf die Thür der Weltenwerkstatt
Und nach langem Starrkrampf des Erstaunens
Und nach heftgem Jammern des Bewunderns
Rissen sie den Plan ihm aus den Händen,
Ihn zu tragen durch die Himmelsgassen
Und ihn auszuschrein und auszupreisen.
Und was immer noch der Pfuscher wirkte,
Dieses ward sogleich verhundertfältigt
Und am Markt dem Volk zur Schau geboten.

Lange ehe war die Frist verlaufen
War schon stadtberühmt des Pfuschers Weltplan,
Unbekannten, ahnenden Bewunderns.

Welches Motto wählte sich der Pfuscher?
Selber wählt' er keineswegs das Motto,
Schöngekleidet eines schönen Morgens
Sprach er sachte klingelnd vor beim Zeitgeiz
Und ersucht' ihn höflich um die Wohlthat.

Seinen Bleistift gnädig nahm der Zeitgeiz.
Dieses Motto schrieb er mit dem Bleistift:
"In dem Kleinen zeigt sich erst das Große."

Also ward gewählt des Pfuschers Motto.

Fragte drauf der Schlucker unterthänig
Ob zu Hause sei die Offne Meinung?
Und begleitet von dem hohen Gönner
Zog er in den offnen Saal der Meinung,
Wo er nun mit lächelndem Verneigen
Sich erbat die ehrende Erlaubniß,
Ihr zu widmen seinen schwachen Weltplan.

Ei wie wehrte sich die Offne Meinung!
Ei wie strahlt' und schmunzelte der Zeitgeiz!
Und mit ungewohnten Artigkeiten
Hießen sie den Pfuscher öfters kommen,
Wann es ihm beliebe, ohne Meldung.

In der Stunde, da die beiden Künstler
Hatten aufgesetzt ihr Weltenmotto,
Und lustwandelnd in den Himmelshalden
Ergos sprach zu sich in seinem Herzen:
"Möchte wissen, was in dieser Stunde
Denkt und spricht und fühlt die Vielgeliebte."

Saß die schöne Physis vor dem Spiegel,
Blaue Ringe um die matten Augen,
Hinter ihr die Mutter Architectin,
Sie zu kämmen und sie warm zu pflegen.

Sprach zur Tochter da die Architectin:
"Liebe Tochter, sage mir die Wahrheit;
Wie befindet sichs in deinem Herzen?
Hat es nicht vielleicht zu dir gesprochen
Wegen Polytecteles des Pfuschers
Oder etwa eher wegen Ergos?"

Ihr erwiederte die schöne Physis:
"Liebe Mutter, laß mich etwas wachsen,
Wenge Wochen nur zur Selbsterkenntniß.
Freilich hat mein Herz zu mir gesprochen,
Aber doppelstimmigen Gespräches,
Jede Herzenskammer anders sprechend.
Sprach zu mir die linke Herzenskammer:
""Ergos liebt mich mit beseelter Liebe,
Mich verklärend aus dem eignen Wesen,
Daß ich unter seinem Liebeswalten
Selber mir veredelter erscheine.""
Doch die rechte Herzenskammer sagte:
""Polytecteles ist stadtberühmter,
Jedes Himmelsmädchen möcht' ihn fangen.
Wenn ich diesem meine Hand gewährte,
Ei wie köstlich würden sie sich grämen,
Pimpremi und Pimplemi, die Stolzen,
Neben Hypischneomai, der Trudel.
Krank vor Aerger siechten sie zum Grab hin.""

Heftig widersprach die Architectin:
"Sprich mir länger nicht von deinem Ergos,
Niemals wird er etwas Rechtes werden,
Ist kein Mark in ihm und keine Thatkraft,
Immer träumt er, niemals wird er fertig.
Während umgekehrt der Schluckerpfuscher
Ist begabt mit sämmtlichen Talenten,
Da er in vollendeter Vollendung
Malt und singt und spielt und geigt und dichtet
Nicht gewaltsam mit dem Willen ringend,
Sondern leicht und spielend, zum Verwundern,
Wie es jedesmal verlangt das Hausfest,
Sei es froher oder ernster Gattung."

Holte dann die hübschen Liederverschen
Sammt den Räthseln und den Schnitzelbänken
Und bewies sie preisend ihrer Tochter.

Sinnend blickte da die schöne Physis,
Viel vermag beim Weib ja Geistesgröße.
Endlich hub sie an und fragte zaudernd:
Meine Mutter, meine liebe Mutter,
Bist du sicher, daß der Schluckerpfuscher,
Weil ich bin die reichste Himmelserbin
Nicht allein mich freit um Gold und Reichthum?"

Leidenschaftlich wehrte sich die Mutter:
"Wie so thöricht magst du fragen, Physis!
Wärst du garstig oder mißgestaltet
Wie die Tetatai und Pepomphyia
Oder albern wie die Bo-o-opis,
Dürftest du vielleicht die Frage stellen.
Aber da du an erlesner Schönheit,
Alle Andern schmählich schlägst vom Tanzfeld,
Weiß ich nicht, warum man dich nicht liebte
Sinnvergessnen Aufdenhändetragens,
Wie nur immer je ein Weib geliebt ward.
Wen auch sollte wohl ein Mann dir vorziehn?
Etwa Kechena, die Großgemäulte?
Oder Keklopha mit falschen Zähnen?
Oder Bulomai, das freche Wesen?"

Dankbar hörte zu die schöne Physis,
Gierig trinkend die willkommne Rede,
Wie die Blume trinkt den Thau des Himmels.

Fragte drauf mit heuchelndem Versuchen:
"Aber Pimpremi, die Stolzgewachsne?
Neben Pimplemi mit runden Formen?
Schöner sind sie als ich selber schön bin."

In die Lippen biß die Architectin:
"Meine liebe Tochter, wenn die Andern,
Wenn die Andern wüßten, was ich selbst weiß,
Schwerlich würd' ein Mann sie wohl begehren."

Und die Hand zum Kämmen aufgehoben
Und die Stimme ängstlich niederdämpfend
Raunte sie der Tochter in die Ohren.
Niemals senkte sich die Hand zum Kämmen,
Niemals endete das traute Zischeln,
Weil die Tochter mit verklärten Mienen
Immerwährend unbeweglich still saß.
Von dem stillen Sitzen strahlt' ihr Auge
Und die blauen Ringe heilten gänzlich.

Dieses also that die schöne Physis
In der Stunde, da der ferne Ergos
Dachte, was sie wohl in dieser Stunde
Möge heimlich denken oder fühlen.


2.

Als die anberaumte Frist verlaufen,
Zog das Baugericht zum Sitzungssaale,
Sammt dem Präsidenten, ihrem Hauptmann,
Uebrigens dem protocollen Schreiber.

Erstens nach vollendetem Gebete
Oeffnete der Präsident die Sitze,
Und nachdem sie Alle richtig saßen
Bat er jetzt den protocollen Schreiber,
Ihnen doch das Märchen zu erzählen.
Wie sie einst in diesem selben Saale
Gar so weise miteinander sprachen.

Und nachdem er zweitens einge Briefe
Aufgelegt zur Kenntniß der Versammlung
Ging er jetzt mit feierlichem Fortschritt,
Treu verfolgt vom protocollen Schreiber,
Sammt dem Comité in Reih und Mitglied,
Ueber zu des Tages saubrer Ordnung,
Nämlich zu den eingesandten Plänen,
Die da lagen auf dem grünen Tische,
Aufgethürmt in vier getrennten Säulen.

Als die Richter sahen diese Säulen
Und erfuhren nach vollbrachter Zählung
Tausendvierundzwanzig Weltenpläne,
Warfen sie die Arme nach der Decke
Und bejammerten ihr grausam Schicksal.
Bis sie endlich ihre Arbeit theilten,
Und in schöner grüner Tafelrunde,
Jeder, einen Korb an seiner Seite,
Eifrig prüfte seinen schuldgen Antheil,
Hin und wieder unter leisem Lachen,
Seinen Nebenmann zur Stelle winkend
Mitzukosten einen frohen Unsinn.

Und es kam dann wie es kommen mußte.
Siebenhundertdreißig Weltenpläne,
Weil sie gar zu unbedeutend waren,
Fielen schweigend in die tiefen Körbe,
Unter ihnen auch das Werk des Ergos,
Niemand nannt' es oder auch erwähnt' es.
Von den Vielen, welche übrig blieben,
Wurden dann nach gründlicher Besprechung
Schließlich zwei besonders ausgeschieden:
Eines, das die Welt begriff als Uhrwerk,
Fein erdacht' mit Räderchen und Zähnchen
Und geschickt zu jeder Nutzanwendung,
Alles andre Möbelwerk ersparend,
Zu gebrauchen mit verschiednen Schrauben
Jetzt als Schirm und Stock und jetzt als Feldstuhl.-
Zweitens dann des Pfuschers Werk, versteht sich.

Als sie kamen zu des Pfuschers Machwerk,
Ei wie hüpften da der Richter Herzen!
- Waren sieben Richter, sieben Weise.

Sprach der Erste zu den sechs Gefährten,
Höflich mit geziemender Verneigung:
"Staunen muß ich, Freunde, ewig staunen
Und je länger desto mehr mich beugen
Vor dem riesenmäßigen Gedanken,
Daß die Welt unendlich unermeßlich,
Ohne Schranken, weder Halt noch Stütze
Aehnlich einem siebenbändgen Wälschbuch
Oder einer Buß- und Bettagspredigt,
Immer anfängt, wo sie eben aufhört."

Diesem widersprach mit Fug der Zweite:
"Liebe Freunde, will das nicht bestreiten,
Herrlich ohne Zweifel ist der Einfall,
Aber noch erhabener vielleicht noch
Kommt mir vor die urgewaltge Thatkraft,
Wenn die Sterne aufeinanderplatzen
Und mit markerschütterndem Gesange,
Aehnlich einem zukunftsreichen Tonspiel,
Alles Dasein bläst und paukt und rasselt."

Doch der Dritte war ein feiner Denker,
Schwieg ein Weilchen, lächelte und nieste,
Bis er endlich wichtig redend anhub:
"Nicht im vielen Lärmen, liebe Brüder,
Nicht in riesenmäßiger Entfernung
Seh ich meinerseits des Werkes Tugend;
In dem Kleinen zeigt sich erst das Große,
Wie so schön und richtig sagt das Motto.
Darum möcht' ich vielmehr das betonen,
Daß das dicke umfangreiche Dasein
Sich zerspalten läßt in ewger Theilung,
Micromicrisch gleich zerbrochnen Zahlen
Und den Schachteln eines Fingerkünstlers,
Wo man in dem allerkleinsten Kästlein
Immer noch entdeckt ein junges Drücklein."

Diesem stimmte bei der vierte Redner,
Glück ihm wünschend zu der klugen Meinung;
Nur als Zusatz, in bescheidner Absicht,
Wies er darauf hin mit kurzen Worten,
Wie geschickt und kunstvoll der Verfasser
Eingerichtet jedes Thieres Inhalt
Und ihm einen Magensack gegeben,
Einen Lungenschlauch und Leberbeutel;
Abgesehen von den Speicheldrüsen
Und dem weißen und dem grauen Hirnbrei,
Nebst den vielen Blasen mit den Gasen
Und dem Blind- und Mast- und Dick- und Dünndarm,
Sammt dem wurmgemäßen weisen Fortsatz.

Und mit hohem dichterischem Schwunge
Gab er während einer langen Stunde
Jetzt die unvergleichliche Beschreibung
Wie das Herz mit Prudeln und mit Sprudeln
So mit rothen als mit blauen Spritzen
Pumpt den Blutstrom nach den Schleimgefäßen.
Dieses wollt' er nur noch rasch bemerken,
Schloß im Uebrigen sich ganz und völlig
An den sehr verehrten Vorderredner.

- Aehnlich ließ der Fünfte sich vernehmen:
"Liebe Richter meine lieben Brüder,
Herrlich hat der werthe Vorderredner
Euch erklärt die Schönheit der Verdauung,
Wie ich selber niemals es vermöchte.
Darum mach' ich euch hiemit den Vorschlag
Unsre Anerkennung auszudrücken,
Dadurch daß wir Alle uns erheben."

Als nun alle sich erhoben hatten
Fuhr er fort und redete die Rede:
"Edle Richter meine lieben Freunde,
Welche Phantasie! ihr lieben Brüder!
Welcher Reichthum der belebten Wesen!
Ob wir schauen nach den vielen Gliedern
Oder nach den Hörnern oder Schwänzen
Oder irgend einem andern Theile!
Diese Spinnen- oder Warzenbeinig,
Die auf Stelzen, Andre in Pantoffeln,
Wieder andere mit einem Nashorn
Oder einem stolzen Hängebauche,
Jene Zipfelquasten an den Schwänzen,
Diese Ungeziefer in den Ohren!
Wollt' ich mich versenken in den Reichthum
Niemals würd' ich enden meine Rede!
Ja ich sag' es ohne Uebertreibung;
Dicke Bücher müßte man erfüllen
Wenn man wollt' ein einzges Glied ergründen.
Ungern nur versag' ich mir die Wonne.

Aber über Alles wird mir sauer
Nicht zu handeln von den Weisheits-Zähnen,
Wie sie kraft der wunderbaren Ordnung
Heißen Freß- und Stoß- und Reiß- und Nage-
Oder Vorder- oder Hinter-Zähne. -
Möcht' auch gerne, sehr verehrte Richter,
Euch den trefflichen Humor beweisen
Sammt dem feinen Geist und ächten Witze
Der zur Seite des gewaltgen Ernstes
Sich in einzelnen Figuren ausspricht:
Als da sind die muntern Fledermäuse
Oder Gürtel- oder Schnabelthiere
Oder Känguruh und Wiedehöpfe,
Die ich, alle Rechte vorbehalten,
Beispielsweise flüchtig nur erwähne.
Muß doch ebenfalls darauf verzichten.
Mich beschränkend in gedrängter Kürze
Euch den Staat der Aemsen zu erklären
Wie sie haben eine Jugendbildung
Einen Zoll und eine Impf- und Wehrpflicht
Einen Zeitgeiz auch und offne Meinung.
Dann, zum Staat der Bienen übergehend,
Will ich auch den Biber nicht vergessen,
Sammt dem Webervogel und dem Dornfisch."

That auch treulich wie er es versprochen,
Außer daß er statt gedrängter Kürze
Redete in nothbedrängter Länge,
Wie ja oft geschieht von einem Mitglied. -
Doch der Sechste mit verschränkten Fingern
Spielte eifrig mit den beiden Daumen,
Das Gesicht verborgen in den Händen.
Bis er endlich mit geschlossnen Augen
Langsam sich erhob von seinem Sitze
Und mit greiser tonverlassner Stimme
Flüsterte und sprach die fromme Rede:
"Wundern muß ich mich, ihr lieben Freunde
Wundern daß bei Eurer seltnen Einsicht,
Da ihr seid die Weisesten der Bürger
Ihr vergessen könnt des Dinges Mitte:
Was bedeutet alles äußre Wesen,
Sammt der Schönheit und dem andren Blendwerk
Wenn ihm fehlt der wahre Sitten-Inhalt?"

Und indem er plötzlich um sich blickte
Und die Arme durcheinanderfegte,
Rief er jetzt begeisterten Entzückens:
"Daß die Sünde, neben Tod und Leiden
Ist in diesen Weltplan aufgenommen
Dieses ist die allerhöchste Weisheit."

Und mit sehr verschiedener Betonung,
Jetzt mit dumpfem murmelndem Ersterben,
Jetzt mit Psalmen- jauchzendem Gesange,
Legt' er dar den aufmerksamen Richtern
Wie es ohne Sünde kein Verbessern,
Ohne Dummheit keine Volksaufklärung,
Ohne Sterben keine Leichenpredigt
Würde geben. Sammt Geduld im Leiden
Nicht bestehen könnte ohne Leiden;
Rührt' auch an des Weibes höchste Zierde,
Denkbar nur im unvollständgen Körper.

Endlich schloß er ab mit diesem Kraftspruch:
"Wenn mir Einer heut', ihr lieben Brüder,
In die Rechte legte einen Weltplan
Ausgeheckt mit jeglicher Vollkommniß,
Gut, und rein, und schön, und jung, und glücklich,
Aber in die Linke einen Schmierplan,
Von mir werfen würd' ich die Vollkommniß
Und den Schmeer mit beiden Händen greifen."

Lauter Jubel lohnte seiner Rede.
Einzeln ging zu ihm ein jedes Mitglied,
Ihm zu danken und die Hand zu schütteln.

Blieb allein der Präsident noch übrig.
Lustig lachend über seinem Pulte
Schwieg er höhnisch an die sechs Gefährten
Sie zu nörgeln und sie aufzureizen,
Bis er dicker Stimme plötzlich ausbrach:
"Also wollt ihr diese Welt bezahlen?"

Bleich vor Schrecken setzten sich die Richter.
Da begann der Präsident mit Würde:
"Darum also, löbliche Collegen,
Mag ein Jeder etwas Andres preisen,
Alles dreht sich doch um diese Frage,
Ob auch möglich sei der schöne Weltplan."

Aenderte darauf das grobe Wesen
Und gerührten tiefbewegten Herzens
Fing er an die Gase zu vermischen
Sammt die doppelfaulen Schwefelsäuren
Abzukochen und sie umzurühren,
Unvernehmbar zwar dem äußern Auge,
Aber durch den Göckelhahn verständlich,
Daß die ganze Welt mit allem Inhalt
Ist von A bis Tz abzulesen.

Als der Präsident den Spruch geendet,
Fragt' er ob noch Jemand reden wolle.
Sieh da stellt' ein Richter diesen Antrag,
Daß man wolle feierlich beschließen
Ihm den Dank des Himmelreichs zu melden.
Das geschah mit eingestimmten Willen.

Doch der Präsident mit weicher Stimme
Stellte numehr einen zweiten Antrag,
Nämlich daß der Dank des Himmels vielmehr
Komme zu dem protocollen Schreiber.
Dieses wurde jubelnd gleich beschlossen.

Doch der protocolle Schreiber weinte,
Sanften Weinens eine kleine Stunde;
Bis er seinerseits den Antrag stellte,
Daß nicht ihm der Dank des Himmelreiches,
Sondern mehr gebühre allen Richtern,
Zwar das Comité, beschämten Blickes,
Schaute tieferröthend nach dem Boden,
Doch der Schreiber mit dem Präsidenten
Stimmten fest den angestellten Antrag.

Und es zogen dann die sieben Weisen
Stolz und muthig zum Familienleben,
Jeder sein Gewissen wohl in Ordnung
Und des Danks des Himmelreichs theilhaftig.
Niemals schmeckte reiner ihre Mahlzeit.

Und es ging dann wie es gehen mußte.
Als der Tag der Krönung war gekommen,
Und in feierlicher Volksversammlung
Ward des Pfuschers Name ausgerufen,
Unter ihm in rühmlicher Erwähnung
Sechszehn andere geringre Geister,
Aber keine Sylbe nannte Ergos,
Plötzlich sprach das Herz der schönen Physis.
- Räthselhaft ja ist das Herz der Jungfraun -
Gleichen Spruchs aus beiden Klappen sprach es
Daß die Bäcklein glühten vor Verwirrung
Und das Köpfchen hing ihr nach dem Busen.

Und es ging dann wie es gehen mußte.
Sie gestanden sich die süße Liebe,
Und beschworen jeglichen Gedanken
Den sie irgend jemals würden denken,
Ihrem Gegner treulich mitzutheilen,
Wie ja immer thun die Anverlobten.
Holten dann die Brieflein aus den Kästlein
Sammt den andern trauten Angedenken,
Und verriethen ihre alten Freunde,
Wie die Anverlobten immer auch thun.
Schrieben endlich an die offne Meinung
Und bereiteten die frohe Hochzeit.

Doch der Architect mit mildem Herzen
Ging besuchen seinen Schüler Ergos,
Legt' ihm brav die Hände auf die Schultern
Und begann mit väterlicher Güte
Ihn zu trösten und ihn sanft zu strafen,
Alles sehr bedauernd und beklagend
Und ihn bittend, daß er sich nicht schäme,
Sondern bleibe sein willkommner Hausfreund,
Und so weiter wie sichs schickt' und ziemte.
Meldet' auch von seiner Tochter Physis
Ein bescheidnes zartes junges Grüßchen,
Und zum Schluß der wohlgezognen Rede
Spielt' er über ein gewisses Aemtchen,
Das der Pfuscher gern ihm wollte gönnen.

Ergos packte eben seinen Bündel
Als der Architect ihn kam zu trösten.
All die Zeit der wohlgemeinten Rede
Packt' er ruhig weiter seinen Bündel
Nicht sich wehrend und auch nicht sich kehrend.

Aber als zuletzt der gute Vater
Kaum berührte das gewisse Aemtchen,
Legt' er auch die Hand ihm auf die Schulter
- Wie ja immer thun vernünftge Leute -
Und begann mit Beben und mit Zittern:
"Lieber Vater, mein verehrter Meister!
Habe Dank für deine warme Freundschaft,
Und was immer Gutes du mir thatest.
Aber halt' ein wenig an dein Trösten,
Daß ich nicht vielleicht dich selber tröste,
Erstens weil in deinen alten Jahren
Nach so langer ehrenvoller Arbeit
Dir zu Theil wird solch ein Schwiegerpfuscher
Zweitens wegen deiner beiden Weiber.
Doch betreffend das gewisse Aemtchen,
Dessen, mein geliebter guter Vater,
Dessen schäme dich in deine Seele."

Sprachs und lud den Bündel auf den Rücken,
Nahm dann herzlich einen warmen Abschied
Lang umarmend den verehrten Meister.
Ueber dieses zog er auf die Straße.
Als er kam zur Brücke vor dem Thore,
Stille hielt er mit bewegtem Herzen,
Flüsterte und sang mit weicher Stimme:

"Schöne Himmelsstadt auf hohem Felsen
Die du herrlich liegst am Waldeshügel
Glück und Frieden lächelnd aus den Augen
Und verheißend Liebes-Gruß und -Wonne.
Ist doch eitel Lüge die Verheißung!
Hätt' ich niemals deinen Gruß erfahren!
Wenn ich denke jenes Augenblickes
Da ich einst mit bilderreichem Herzen,
Froh von Jugendmuth und willenskräftig,
Einzog über diese selbe Brücke
Und berechnete mit sel'ger Ahnung
All die inhaltvollen goldnen Stunden
Die du werdest der Erinnrung schenken,
Fluchen möcht' ich deinem Heuchlerantlitz,
Dich verwünschen und dich bitter strafen.
Mag dir doch nicht fluchen, will dich segnen,
Segnen wegen deiner hehren Schönheit
Wie ich jede Schönheit ewig segne.
Möge ferner zwischen deinen Mauern
Fried' und holde Eintracht heimisch wohnen
Und das Glück gedeihn in deinen Gärten.

Aber selber ich, der Schwerbetrogne
Gründlich will ich meiden deinen Anblick
Wie man gründlich meidet den Verräther."
Sprachs und überschritt mit Muth die Brücke.
Aber weil er nunmehr durch die Halde
Wollte steigen nach dem hohen Felde,
Niemals schien ihm also steil die Halde.
Von der steilen Halde mußt' er seufzen,
Schweren Seufzers aus dem tiefsten Herzen,
Und sein lichtes Antlitz wurde düster.

Bis er endlich bittern Wortes anhub:
"Wer doch gab mir dieses hohe Streben
Und die stolze aufgerichte Seele
Nebst dem andern unheilvollen Ballast!
Wär ich besser doch ein Schluckerpfuscher
Oder auch ein protocoller Schreiber!
Würde nicht verspottet und verachtet
Ohne Gruß und freundliches Geleite
Einsam wandern nach dem fremden Lande."

Eine Stimme pocht' ihm auf die Schulter:
"Wie so thöricht magst du reden, Ergos!
Ist doch in der ganzen Himmelshauptstadt
Keiner, der die Sonne dürfte ansehn
Gleich wie du allein die Sonne ansiehst."
Ueber diesem sah er nach der Sonne;
Sieh, da stand sie auf dem hohen Felde,
Großen Blicks aus ihrem edlen Auge.
Um sie her in königlichem Reichthum
Ihre goldnen Werke der Vollendung.

Sprach und fragte Ergos mit Erstaunen:
"Liebe Sonne, meine liebe Freundin!
Warum malst du also schön und herrlich?
Siehe, Alles pfuscht und fälscht und heuchelt.
Warum also willst du selbst nicht pfuschen?"

Ihm erwiederte darauf die Sonne:
"Lieber Ergos, du mein lieber Ergos!
Warum sollt' ich pfuschen, warum heucheln?
Mögen Andre fälschen, die's vermögen!
Während ich auf meinen stillen Pfaden
Brauche ächtes Glück und wahre Wonne.
Andres hab' ich nicht, doch dieß genügt mir.
- Aber steige nun herauf zum Felde,
Will dir warten und dich schön begleiten."

Leichten Schritts erklettert er die Halde,
War verschwunden jegliche Beschwerde.

Wartete die Sonne überm Felde
Hoch zu Wagen auf der blauen Schanze,
Ungeduldig stieg sie ihm entgegen
Bis zum letzten Tritt der Wagentreppe,
Um das linke Handgelenk die Zügel.

Kaum erschien sein Haupt am Rand des Feldes
Eilte hurtig sie zurück zum Sitze
Und nachdem sie mit dem rechten Händchen
Erst die Stufentreppe eingeschlagen
Und die Wagenpforte festgenietet
Zog sie langsam mit verkürzten Zügeln
Schritt für Schritt die steile Schanzenstraße,
Um sie her die Kinder der Vollendung.

Und so wanderten die beiden Freunde
Traulich plaudernd in die weite Fremde.
Freilich Ergos wandernd auf dem Felde
Doch die Sonne auf der blauen Schanze,
Zwar die Sonne leuchtend durch den Luftkreis,
Aber Ergos leuchtend in der Seele.


  Carl Spitteler . 1845 - 1924






Gedicht: Mythus

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