Gedichte.eu Impressum    

Gedichte, Lyrik, Poesie

Extramundana
162 Bücher



Carl Spitteler
Extramundana . 2. Auflage 1905



Schluß und Antithema

Aber auf der fernen Insel Tellus
Schmachtete indeß der junge Caesar,
Richtete den Blick zum Berge Coelum
Und beweinte sein gestrenges Schicksal.
Sich zum Trost am hohen Gränzgebirge
Schaut' er weiden seiner Schwester Wolfbock
Oder auch die Wölfin mit den Kleinen,
Zählte sie und nannte sie mit Namen.
Spürt' auch wohl den Adler von dem Gipfel
Und ernährte sich am Athem-Luftstrom.
Gerne hätt' er ewig hier gesessen,
Mußte doch dem Müssiggang entsagen
Sammt der lieben wehmuthvollen Trauer
Und sich einverleiben auf der Insel.
Baute sich von Erde eine Heimath
Und bekleidete den Leib mit Pelzwerk.
Viele Ritter auch und Senatoren,
Ueberdieß die treugesinnten Bürger,
Fliehend vor dem Schreckensregimente,
Kamen her zu theilen die Verbannung,
Schlossen sich um ihren kleinen Caesar,
Ihn bedienend und sich für ihn opfernd.

Später, als der Bürgerkrieg entbrannte,
Kamen auch die garstgen Pöbelhorden,
Die im Streit besiegten Unterdrücker,
Selbst erleidend die gerechte Strafe.
Massenweise kamen sie geflüchtet,
Jammernd und den Staatsverderbern fluchend
Nicht verbesserte sie doch das Unglück
Blieben immer schurkisch von Gesinnung,
Streuten Zwietracht in die kleine Insel
Und verwilderten auch hier die Sitten.
Kampf und Mord erfüllten nun das Eiland
Und ein Jeder schützte kaum sein Leben.

Mühsam konnte Homo sich behaupten;
Zwar vermöge seiner starken Tugend
Mußten Alle ihn als Herrn begrüßen,
Die aus Furcht und die aus Eigennutzen.

Aber ob der niederen Gesellschaft,
Die ihn stäts umgab und ihn bedrängte,
Litt er Schaden an der eignen Seele,
Erstens legt' er ab den Kaisermantel
Und die schwere unbequeme Krone,
Hinderlich erschien sie ihm im Faustkampf,
Zweitens dacht' er weniger des Vaters
Und der hohen Würde seines Amtes
Und des anverlobten heilgen Mägdleins,
Bis er endlich seiner selbst verlustig,
Sich vergaß im schlechten Sclavenfaustkampf,
Immer nur vor seine Füße schauend
Und berathend, was der Tag verlangte.

- Horch, da rauscht' es vom Gebirge Coelum
Und der Kaiseradler schweren Fluges
Kam geflogen mit der edlen Beute,
Flog hinüber zu dem höchsten Gipfel
Und bewegte das gewaltge Schwungrad.
Sinnend stutzte da der junge Caesar,
Hob empor sein schöngeformtes Antlitz
Und dem Flügelschlagen ernsthaft lauschend
Sog er ein den inhaltreichen Luftstrom
Offnen Mundes in die tiefste Seele.
Aber in dem Licht- und Lebensluftstrom
Welche weiche Wehmuth liegt enthalten?

Wie im Frühling thaut des Eises Kruste
Also schmolz hinweg von Homos Herzen
Der gemeine Schutt des Alltagslebens,
Und durch sein gewöhnliches Bewußtsein
Spürt' er ewges Fühlen in der Tiefe,
Ewges Fühlen voll von heilger Sehnsucht,
In der Sehnsucht goldne Himmelsbilder.
Sind die Thränen aus Lucilias Augen,
Wenn sie sitzend auf dem Baum des Lebens
Mischt den Herzenskummer in die Springfluth.
Dieses ist die holde weiche Wehmuth.

Seiner Schwester selber dacht' er endlich,
Holte jetzt hervor den Hochzeitsmantel
Magnanimitas gesteppt mit Demuth
Und Clementia die schwere Krone.
Mühsam grub und scharrt' er sie zu Tage
Aus der Kammer unterm schlechten Rüstzeug,
Nicht gewachsen schien er doch der Würde,
Seltsam sah er aus, der kleine Knabe,
Seltsam, aber seltsam nicht zum Lustspiel,
Sondern seltsam zu Gebet und Andacht,
Jeder hoffend auf den Tag des Sieges
Da ihm passen werde das Gewaltzeug.

Beides: stolz und traurig, stand der Caesar,
Legt' es alles seufzend wieder von sich
Und wallfahrend nach der Meeresküste,
Gegenüber dem Gebirge Coelum,
Hub er an zu beten aufrecht stehend:
"Heilge Schwester, mein gelobtes Mägdlein,
Denk ich deiner muß ich schier verzagen:
Weil ich hier in Zank und schnöder Arbeit
Mühsam nur die Seele mir erhalte,
Nicht erhalte blos, doch auch verderbe,
Wohnst du eine Priesterin der Gottheit,
Rein und schön in deinem lichten Tempel
Und dich läuternd an der eignen Unschuld.
Und ich sehe dich, geliebtes Sinnbild,
Einsam unterm wuthentbrannten Poebel,
Unterm grauen Schmutz ein klarer Demant,
Wachsend an den Gliedern deines Leibes,
Wachsend auch an zauberhaftem Liebreiz,
Wachsend an gebieterischem Hochmuth.
Jeder Tag gebärt ein neues Wunder:
Aus dem mitternächtgen Auge sprüht es,
Aus dem schmalen strengen Mund befiehlt es
Und der stolze Gang, die freie Haltung
Sie vereinen sich zu scharfer Prägung.
Wie gewinn' ich Muth, dir einst zu nahen?
Wie erreich' ich Werth nach deinem Werthe?
Selber mußt du, Edle, mich veredeln
Mit dem hohen Bilde deines Wesens,
Das ich mir zur Strafe, wie zum Lohne
Stets bewahren will im tiefsten Herzen.
Tödten wird es alle sündgen Triebe,
Doch die guten Keime wird es reifen."

Also sprach der junge Caesar Homo,
Ging dann wiederum nach seinem Hause,
Wo noch lag der Mantel mit der Krone.
Wie er neulings sich darin versuchte,
Siehe, da geschah ein seltsam Wunder:
Besser paßt' ihm jetzt das Herrscherrüstzeug,
All sein Wesen war ihm mehr gewachsen. -
Dieses that das Bild des heilgen Mägdleins.


  Carl Spitteler . 1845 - 1924






Gedicht: Schluß und Antithema

Expressionisten
Dichter abc


Spitteler
Extramundana
Schmetterlinge

Intern
Fehler melden!

Internet
Literatur und Kultur
Autorenseiten
Internet





Partnerlinks: Internet


Gedichte.eu - copyright © 2008 - 2009, camo & pfeiffer

Schluß und Antithema, Carl Spitteler