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Extramundana
162 Bücher



Carl Spitteler
Extramundana . 2. Auflage 1905



Thema

Wenn ich dich mit deinem Seelenantlitz,
Mensch, du jüngstes Schmerzenskind der Schöpfung,
Wenn ich schaue deine hohe Haltung,
Deine stolze Stirn, gekrönt vom Willen
Und den Blick voll Mitleid und Erbarmen,

Scheinst du mir caesarischen Geblütes,
Aechter Sohn des Weltenimperators,
Ausersehn zum Erben seines Reiches
Und gesalbt mit seinem heilgen Segen.

Und ich gehe beten ins Gebirge,
Beten mit inbrünstigem Gebete,
In den Händen meines Herzens Kummer:

"Imperator, unser aller Vater!
Mir auch Vater wie den Andern allen!
Reich die Hand mir! Laß mich nicht versinken!
Sieh mich leiden auf der fernen Insel,
Schmerzensinsel, reich an jeder Drangsal,
Von Gestrüpp und Dornen überwachsen,
Ungenügend für des Leibes Nahrung,
Daß wir fristen unser edles Leben
Mühsam nur mit niedrer Sklavenarbeit.
Sind auch auf der Insel der Verbannung
Giftig überall die Sümpf' und Wälder,
Daß von mannigfach gestalter Krankheit
Ewig unser Dasein wird gefährdet.
- Doch nicht dieses ist's warum ich klage,
Habs gelernt ja seit der frühsten Jugend,
Oft gelernt mit Schrecken und mit Staunen:
Darum einzig ist's warum ich klage:
Was ich nicht gelernt in meiner Jugend,
Was ich jetzt in meinen kräftgen Jahren
Spät noch lernen muß und schwer erlerne,
Daß in dieser peinlichen Verbannung
Sind die schlimmsten Wunden nicht von Dornen,
Nicht von Gift und Krankheit uns geschlagen,
Sind geschlagen von den Mitverbannten,
Die vergessend ihrer hohen Abkunft
Rohen Muthes, nach der Sklaven Beispiel,
Suchen Lust in ihres Nächsten Leiden.
Unerträglich schmerzen diese Wunden,
Heilen schwer mit fürchterlichen Narben."

Horch, da rauscht und braust es in den Lüften
Und der Kaiseradler schweren Fluges,
Zieht vorüber bei den schwarzen Bergen;
Flüsternd aus den stolzen Weltenschwingen
Schwebt herab ein herrisches Befehlen:
"Junger Caesar im verborgnen Eiland!
Laß das Klagen! laß das eitle Beten!
Längst ist todt der Caesar Imperator,
Wär' er lebend, wärst du nicht hienieden,
Würden nicht die rohen Elemente
Zügellos die weite Welt beherrschen.
Mußt nun selber dein Geblüt beweisen
Fleißig übend adelige Tugend,
Das Verzeihen und das Selbstvergessen
Und das Nichtbeachten deiner Schmerzen.
Ruhmlos ist es, nach Quiriten-Weise
Unter Freundestrost und milden Thränen
Zu erledigen das harte Schicksal,
Doch der Stamm des fürstlichen Augustus
Trägt ein einsam Herz, gefüllt mit Leiden:
Wenn es überfließt von vielen Leiden
Wohl so nimm den Ueberfluß zu Handen
Ihn zu formen und ihn zu verwerthen
Wie der Spinnwurm spinnt sein Blut zu Seide,
Wie die Muschelschnecke, krank und sterbend
Zeitigt aus den Wunden lichte Perlen."


  Carl Spitteler . 1845 - 1924






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