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Carl Spitteler
Schmetterlinge
. 2. Auflage 1907
Die Füchse
Endlos und ewig rieseln Regenschauer.
Die Berge rinnen, Büsch' und Hecken tropfen,
Der Acker schmilzt, die Wälder läuten Trauer,
Der See erklingt von tausendfält'gem Klopfen.
Im Felsenkessel, wo die Brandung dampft,
Hämmert der Wasserfall und mahlt und stampft.
Drei kleine Füchse, unterm Haselbusch
Ängstlich am Blatt sich klammernd, schaukeln kläglich
Und pendeln mit dem Wind. Vor Frost und Hunger
Zittert ihr Leib und schlottern ihre Beinchen.
"Schläfst du? - und lebst du noch? Mich friert so schrecklich!
Und Atalante - siehst du dort im Graben,
Ist auch schon tot. Wir sind die letzten. Komm,
Lehne dich fest an mich, das gibt uns wärmer!"
"Meinst du, es wird nicht wieder warm und schön
Und Sonne werden?" - "Wer vermag's zu sagen!
Wir jedenfalls erleben es nicht mehr."
"Es heißt, die Menschen sterben nicht vom Regen."
"Wohl möglich! Überhaupt ist nicht bewiesen
Und auch kein Grund zu finden, daß sie stürben;
Da weder Vögel, weder Fisch und Frösche
Ihnen gefährlich sind." "Die Glücklichen!"
So seufzten sie gedankenvoll in Wehmut
Und öffneten vor Sehnsucht halb die Flügel.
Da warnte hinterm Stein ein großer Fuchs:
"Wenn ihr die Flügel nicht zusammenhaltet
Bei diesem Sturm, so seid ihr bald verloren.
Und ob es klug und rätlich ist, dort außen
Am Haselbusch zu hangen, das bezweifl' ich.
- Im übrigen, wenn Ort und Zeit und Anlaß
Gestatteten von unfruchtbaren Dingen
Zu handeln, hätt' ich mancherlei Bedenken
Zu dem zu äußern, was ihr da vom Menschen
Gesagt und seinem neidenswerten Schicksal.
Nämlich was immer wächst und sich verwandelt,
Das muß auch sterben; diese Meinung hab' ich."
"Woran denn siehst du, daß die Menschen wachsen
Und sich verwandeln wie wir Schmetterlinge?"
"Natürlich, das versteht sich, kann man's nicht
Einfach so seh'n vom Schmetterlingsgesichtspunkt,
Weil jene träge leben, wir beschleunigt.
Doch der Verstand, mit seinem Schluß und Rückschluß,
Ergänzend unsre Augen, gibt und Aufschluß:
Ihr seht die Menschenraupen, wie sie aufrecht,
Gleich Sphinxen in verschiedner Tracht und Färbung,
Je nach der Häutung, kriechen auf den Wegen.
Die Puppen schlafen, ganz wie wir, entweder
In Windeln und in Wickeln; oder aber
Unten im Boden. Hinterm Dorf beim Kirchhof
- Ihr wißt ja, wo die saft'gen Nesseln wachsen, -
Dort kann man häufig, wenn man nur recht still sitzt,
Bequem betrachten wie sie sich vergraben.
Endlich die Schmetterlinge, wie bekannt,
Sind jene, die mit rot und weißen Flügeln
Hüpfen des Sommers durch das Gras nach Blumen."
"Und glaubst du, daß die Menschen auch Verdruß
Und Sorg' und Pein und Trauer müssen leiden?"
"Die Antwort ist, wie ihr begreift, nicht leicht,
Weil ja dem Menschen gänzlich fehlt das Fühlhorn.
Sie haben kein Organ, was sie bewegt
Und was sie meinen, deutlich auszudrücken;
Doch sind sie dessen ungeacht nicht fühllos.
Öfters bemerkt man Einen, der im Walde
Den andern sachte beißt. Wir müssen schließen,
Sie wollen sich einander etwas sagen.
Zuweilen wieder nehmen sie ein Blatt
Und drücken es gelinde vor die Augen.
Man sagt, das tun sie, wenn das Wetter ändert.
Ich glaub' es nicht; ich glaub', es kommt von innen:
Es plagt sie etwas hinter ihren Augen."
"Und wozu meinst du, daß der Frost und Regen
Und Leid und Kummer und das Sterben gut sei?"
"Wozu es gut sei? Ei, ihr großen Kinder!
's ist eine schlechte Welt. Was kann da gut sein?
Oder wozu ist gut nach eurer Meinung
Das falsche Tier, das garstige Ichneumon,
Welches den Stachel bohrt in Raupenleiber,
Daß Teufelseier schwären in der Wunde,
Hernach Schmarotzer, daß die edle Raupe
Verdirbt und dient zum Fraß den eklen Würmern?
Gerade so verhält sich's mit der Erde;
Die Wespe stach sie, während sie noch jung war;
Das ist so meine kleine Überzeugung.
- Doch still! - Hört ihr das Stoßen und das Stampfen
Im Felsenkessel? - Krallet eure Beine
Fest an das Blatt und stemmt euch mit den Flügeln!
Wenn mich nicht alles täuscht so naht ein Windstoß."
Da klemmten sie mit letzter Kraft die Beinchen
Ans Haselblatt und stemmten mit den Flügeln.
Doch fürchterlichen Tanzes trat der Wildbach
Die Felsenmühle. Kochend überm Kessel
Stieg himmelan der Dampf in Wolkensäulen.
- Jetzt knallt es hinterm Felsentor. Dann Stille.
Plötzlich ein Luftgespenst von dreien Seiten
Mit grimmer Faust erfaßt den Haselbusch.
Es knickt den Ast, es reißt die Wurzel auswärts;
Die Blätter flüchten zischend von den Zweigen.
- Dann springt es nach der Mauer. In die Fugen
Schlägt es und peitscht und zwickt den kalten Mantel.
Darauf mit Bellen und mit Heulen stürmt es
Jagend durchs freie Feld. - Vor seinem Odem
Entsetzen sich und krümmen sich die Bäume.
Winselnd der Wald am Kettenstock im Boden
Rüttelt und zerrt und schüttelt seine Zäume.
Im braunen Ackerteig die Philosophen,
Zerstückt und sterbend lagen auseinander,
Was ist nun Fuchs, was Torheit oder Weisheit?
Drei hatten ihre Flügel zugefaltet,
Der vierte auswärts. Einer saß am Stein,
Die andern hingen an den Haselblättern.
Doch Stein und Hasel, auswärts oder einwärts,
Sie alle traf das nämliche Ichneumon.
Carl
Spitteler . 1845 - 1924
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