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Carl Spitteler
Schmetterlinge
. 2. Auflage 1907
Hera (Hexe)
Im Steinbruch jeden schönen Tag
zur Sommerszeit ist Karneval.
Da halten rotgescheckte Narrn
gar einen sonderbaren Ball.
Inmitten steht von Schutt und Sand
ein Wall und auf dem Wall ein Thron,
Bekränzt mit Nesseln und verblümt
mit Disteln, Pfefferminz und Mohn.
Darinnen sitzt das Sonnenweib,
und wenn von fern im Morgenglanz
Durchs Korn der Glocken Echo summt,
eröffnet sie den Maskentanz.
Ein kleines Blendespiegelein
klemmt sie verborgen in der Hand;
Mit diesem zielt sie unvermerkt
und dreht es heimlich nach dem Sand.
Kaum daß sie dieses Zeichen gibt,
erhebt sich ein betäubend Schnarrn
Und blitzend durch das Blendelicht
schrecken viel rotgescheckte Narrn,
Mit Knarren und mit Pritschen, schnell,
auf Rädern reitend - eins, zwei, drei! -
Quer durch den Bruch. - Dann plötzlich: Halt!
- Ein Schnarrn - und alles ist vorbei.
Und wieder dreht das Sonnenweib
den Spiegel spielend in der Hand.
Und sieh: vom hohen Schanzenberg
im feuersamtenen Gewand
Mit Pelzsandalen leis und lind
wispern gespenstisch ab und zu
Viel schöne Hexenfräulein. - - Husch!
- Ein Wink - und alles ist in Ruh.
Und also fort. - - - Da stieg vom Feld
ein Schnitter durch das Schanzentor
Und schaute den verhexten Ball
und lacht' aus voller Brust hervor.
Schnellend das rote Sonnenweib
stand plötzlich aufrecht in dem Thron,
Und zielend mit dem Blendeglas
nach dem verwegnen Menschensohn
Streckt' es die linke Hexenhand
mit Hörnerfingern gegen ihn.
- Da taumelt' er und stöhnt' - und sank
ohnmächtig auf die Erde hin.
Jetzt mit gewalt'gem Riesenschritt
durcheilte sie die heiße Bahn
Und kniet' ihm lastend auf die Brust
und sah ihn unheildrohend an:
"Wo du in diesem Schmerzensheim
blickst in ein lebend Angesicht,
Und wär' es des geringsten Wurms
und schief und krumm, so lache nicht!
Und wenn du an dem letzten Fleck
begegnest einem Sonnenschein,
So segn' ihn mit Gebet und Dank
und freu' dich ins Allherz hinein!
Narrheit ist alles rund umher
und überall ist Karneval.
Nach eines bösen Magiers Stab
walzt die Natur im Maskenball.
Es sieht von außen spaßig aus;
doch innen ist's ein traurig Stück:
Alle die buntgescheckten Narrn
sie tanzen um ein Schlückchen Glück."
Dann strich sie mit dem rechten Arm
bewegend über seine Stirn.
Und alsobald die Fieberglut
wich aus dem pochenden Gehirn.
Der Atem wogte gleich und stark,
den Geist umfing ein dichter Schlaf -
Als er mit neuerwachtem Blick
verwundert sich im Steinbruch traf,
Da war der ganze weite Bruch
in finstre Schatten eingetaucht
Und singend kam durchs stumme Korn
ein Abendglockenklang gehaucht.
Einzig am hohen Schanzenrain,
wo stets der Sand im Regen fiel,
Warnte der rote Sonnenrock
und das verhexte Blendespiel.
Carl
Spitteler . 1845 - 1924
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