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Gedichte, Lyrik, Poesie

Schmetterlinge
162 Bücher



Carl Spitteler
Schmetterlinge . 2. Auflage 1907



Kaisermantel

Brombeeren pflücken früh am heißen Tag
Die armen Kinder. Lärmen, singen, streiten
Hört man sie unterm blütenweißen Hag,
Der Sorgen los in diesen Ferienzeiten.

Abwärts im steilen Stalden, von den Großen
Schmählich mit Hohn und Schlägen fortgestoßen,
Ein kleines Waisenmädchen, vor den leeren
Gefäßen fand mit Not ein Dutzend Beeren.

Erst weinte sie. - Da war's so still im Wald
Und schön. Die heißen Augenlider fingen
Ihr an zu sinken, dann das Köpfchen; bald
Lag sie im Moos, umhüllt von wachen Träumen.

Lau säuselte die Luft, die Gräser hauchten
Und Balsam wehte von den Tannenbäumen.
Und einzeln aus des Waldes dunklen Räumen
Lustsegelten verstohlen die erlauchten
Waldkaiserlichen Vögel; angetan
Im Krönungsmantel mit den vollen Orden.
Erst flohen sie, als sie das Mägdlein sah'n.

Darauf, allmählich mutiger geworden,
Umspannen sie die junge Schläferin
Mit leisen Zauberzirkeln; Kühlung fächelnd
Auf ihre Stirn, und über Mund und Kinn
Ihr hüpfend oder um die Beinchen schlüpfend
Flaumig und weich, mit seid'nen Küssen. - Lächelnd
Dehnte sie sich und ließ die Ärmchen hangen.

Die Schatten lugten hinterm Ast herum
Und hüpften auf dem Boden um und um.
Still deckten sie das schützende Gewand
Über die Schläferin mit feiner Hand.

Doch ihr zu Häupten, wo das Klafterholz
Gespeichert lag, und in der Sonne schmolz
Das Harz, vom heißen Feuerpfeil getroffen,
Und Buchs und Baum und Kraut und Blätter troffen
Von lichter Glut und um die Blütendolden
Der Schlehen, um die Erd- und Brombeerträubchen
Bewegte sich die Luft im Kreise, golden
Von viel Millionen Sonnenwolkenstäubchen,
Da sammelten zu Hof von überall
Die Kaisermäntel sich und hielten Ball.

Vornehm und ernst, im tiefen Waldesschweigen
Vollführten sie den adelsstolzen Reigen.
- Das war ein Funkensprühen und ein Glänzen
Von Edelstein bei diesen Fürstentänzen!

Sie tanzten allsolang der hohe Saal
Erleuchtet ward vom warmen Abendstrahl.
- Doch als nun Schritt um Schritt die rote Glut
Erklomm das Scheiterhaus, und aus dem Schlund
Des Staldens stieg mit leiser Wellenflut
Die Dämmerung bergan zum Tannengrund,
Da ritten sie auf ihren seidnen Flügeln
Paarweis nach Hause mit verhängten Zügeln.

Und als das Waisenmädchen aufgewacht,

Da gähnte finstre, strenge, späte Nacht.
Kein Licht und Laut und Leben mehr umher
Und Korb und Krug und Schüssel lagen leer.

Doch unvermerkt im Schlummer ein Gedicht
Hat ihr verschönt das Kummerangesicht.


  Carl Spitteler . 1845 - 1924






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