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Carl Spitteler
Schmetterlinge
. 2. Auflage 1907
Mönch
In
kalter Sternennacht ein schlichtes Vögelein,
Unterm Gestrüpp versteckt, träumte von
Sonnenschein.
"Einst sah ich überm Wald - wie ist das lange her!
Um einen goldnen Ball fluten ein blaues Meer.
Matten und Feld und Au glänzten so warm und schön;
Und Blumen jubelten vom Bach bis zu den Höh'n.
Nun ist es alles schwarz und öd und naß und kalt!
Die holde Jugendzeit ist hin, die Welt wird alt!"
Doch wie es schweren Mut's erwacht' aus seinem Traum
Und blinzte hoffnungslos empor zum Buchenbaum -
Sieh' da! was es geträumt, erstarkte wunderwahr:
Der Tausendblätterwald funkelte grün und klar;
Und lächelnd durch das Laub, freundlich und hoch und
hehr,
Um den ersehnten Ball blaute das Himmelsmeer.
Das arme Vögelein mißtraute seinem Blick;
Es kam zu jäh und groß das gnädige Geschick.
Verwirrt und aufgeregt von Glück und Schreck zugleich,
Entfloh es durch den Busch mit wildem Flügelstreich.
Doch als es aus dem Wald kam in den offnen Gau -
Und schaute vor sich her die weite Blumenau -
Und Halm und Feld und Weg und den besäten Rain,
Atmend im Morgenhauch und warm von Sonnenschein,
In steiler Himmelshöh' der Lerchen Jubelsang -
Und aus dem tiefen Dorf den fernen Glockenklang -
Die reine blaue Luft durchblitzt von Glitzerglas -
Und Nonnen bunt und jung springend durchs duft'ge Gras,
Da stürzt' es auf den Weg, wohin's am nächsten
fiel,
Und betet' in den Staub: "O Gott! das ist zu
viel!"
Carl
Spitteler . 1845 - 1924
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