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Gedichte, Lyrik, Poesie

Schmetterlinge
162 Bücher



Carl Spitteler
Schmetterlinge . 2. Auflage 1907



Mönch

In kalter Sternennacht    ein schlichtes Vögelein,
Unterm Gestrüpp versteckt,    träumte von Sonnenschein.

"Einst sah ich überm Wald    - wie ist das lange her!
Um einen goldnen Ball    fluten ein blaues Meer.
Matten und Feld und Au    glänzten so warm und schön;
Und Blumen jubelten    vom Bach bis zu den Höh'n.

Nun ist es alles schwarz    und öd und naß und kalt!
Die holde Jugendzeit ist hin,    die Welt wird alt!"

Doch wie es schweren Mut's    erwacht' aus seinem Traum
Und blinzte hoffnungslos    empor zum Buchenbaum -
Sieh' da! was es geträumt,    erstarkte wunderwahr:
Der Tausendblätterwald    funkelte grün und klar;
Und lächelnd durch das Laub,    freundlich und hoch und hehr,
Um den ersehnten Ball    blaute das Himmelsmeer.

Das arme Vögelein    mißtraute seinem Blick;
Es kam zu jäh und groß    das gnädige Geschick.
Verwirrt und aufgeregt    von Glück und Schreck zugleich,
Entfloh es durch den Busch    mit wildem Flügelstreich.

Doch als es aus dem Wald    kam in den offnen Gau -
Und schaute vor sich her    die weite Blumenau -
Und Halm und Feld und Weg    und den besäten Rain,
Atmend im Morgenhauch    und warm von Sonnenschein,
In steiler Himmelshöh'    der Lerchen Jubelsang -
Und aus dem tiefen Dorf    den fernen Glockenklang -
Die reine blaue Luft    durchblitzt von Glitzerglas -
Und Nonnen bunt und jung    springend durchs duft'ge Gras,

Da stürzt' es auf den Weg,    wohin's am nächsten fiel,
Und betet' in den Staub:    "O Gott! das ist zu viel!"


  Carl Spitteler . 1845 - 1924






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