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Schmetterlinge
162 Bücher



Carl Spitteler
Schmetterlinge . 2. Auflage 1907



Pfauenauge

Blutbuchen liegen überm Gartensims.
Matt schläft die Luft, das Bächlein schlendert kraftlos.

Die Wetterwand mit silberweißem Saum
Halbiert den blauen Glanz des reinen Himmels.

Da flattert durch die blut'gen Buchenkronen
Ein brandig Blatt.
                    Dort hängt es an der Mauer,
Schwebend im Sonnenfeld. Sein Tintenschatten
Tuscht auf den Marmorgrund ein künstlich Dreieck.

Das wächst und schwindet; ändert seine Winkel;
Verkürzt die Schenkel; dreht sich um die Achse;
Nun schwillt's zum Kreis; nun schlüpft's zum feinen Stäbchen;

Während umher, zur Rechten und zur Linken
Rührt sich kein Hauch, kein Halm noch Gräschen regt sich.

Plötzlich, ist's Wahrheit oder war es Täuschung?
Entsprang das Blatt nach oben.
                    Jetzt allmählich
Öffnet es sich. Es keimt, es sproßt, es knospet.
Und wunderbar aus halberschloss'ner Blume
Erglüht von Samt und Scharlach und Karfunkel,
Von Tulpenschein, von Duft und von Juwelen
Ein herzverblendend paradiesisch Funkeln.

Und siehe da: die wundersame Tulpe
Beginnt zu wandeln.
                    Atmend mit den Flügeln
Und aus dem Kelche sprühend rote Garben
Umzirkelt sie mit lodernder Rosette
Den Marmorstein. - Darob vergilbt die Sonne
Und grau und schmutzig steht umher das Weltall.

Zweimal und dreimal zeichnet sie die Rose;
Fächelnd und klappend mit den Flügeln.
                    Husch!
Da schwingt sie sich mit einem leichten Armstreich,
Vollends entfaltend ihren Flammenmantel,
Zum Rosenkern und schaut aus großen Augen.
Vier Augen: vier Juwelen. In den Augen
Schwermut und Lieb' und Weh, umjauchzt von Jugend.

Viel sel'ge Stunden liegt sie unbeweglich,
Ruhig und groß, berauschend Herz und Augen.

Da steigt bergan die finst're Wolkentreppe
Der Stier Busiris. Donnernd brüllt sein Brummen,
Schwer durch die Buchen stürzen Silbertropfen.

Darob erlöscht mit einem Mal das Feuer.

Ein feiner Kohlenstrich - ein flücht'ger Schatten -
Auf ewig schwand das duft'ge Zauberblendwerk.

Doch lange noch an der verwaisten Mauer
Hing Tulpenblumenschein und Traum und Trauer.


  Carl Spitteler . 1845 - 1924






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