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Schmetterlinge
162 Bücher



Carl Spitteler
Schmetterlinge . 2. Auflage 1907



Rotes Ordensband

Ein Bächlein zwängt sich unterm Waldessaum
Zischend und gurgelnd durchs Gebüsch. Es strudeln
Und überstürzen sich mit weichem Sprudeln
Die Wasser. Und die Wirbel drehen Schaum.

Ich wollt' aufs Brücklein und dem Berge nach.

Da lockten, gluckten, lächelten die Wellen,
Bis daß ich, mich vergessend, blieb am Bach.

Tiefer und stiller ward er allgemach;
Kaum daß ein Plätschern glitschte von den Schwellen.
Die Morgensonne, durch das dünne Dach
Mit heißer Glut durchleuchtete die Flut.
Unter den Uferhöhlen, vor den Quellen
Im Schlamm und Sande lauerten Forellen.

Und eine Wassermaid im grünen Kleid
Tanzte vor mir und sang die leise Klage
Von alter Zeit und jungem Herzeleid,
Von andrer Plage solch' an einem Tage
Und all' die ferne, süße Kindheitssage.

In schatt'ger Bucht gegen die Waldesschlucht
Ein Bretterhaus ragt in den Bach hinaus,
Von grauen Silberweiden dicht umfangen.

Und wie ich zu den Weiden kam gegangen,

Von einem Aste, der ins Wasser hing,
Sieh' da, ein brandig Stückchen Rindenrand
Entsprang, ein rätselhaftes Ding,
Pfeilschnell hinüber nach der Bretterwand.
- Hell flammte durch den Silberbaum ein prächtig Rot;
Loderte dreimal blutig und verschwand.
- Dann blieb es alles grau und kalt und tot.

Ich spähte lang vergeblich. Endlich fand
Ich unterm Dach, in einer Balkenritze,
Ans Holz gedrückt, ein rotes Ordensband.

- Da schossen um das Haus kirschrote Blitze.
Und unverseh'ns ein zweiter Schmetterling
Flog an die Wand und haftete und hing
Und drückte sich, nicht anders als der alte
Mit raschen Flügelschlägen in die Spalte.

Und als ich langsam weiter meinen Gang
Schlendernd und zaudernd schob dem Strom entlang,
- Hört' ich vom Weidenhaus mit sanftem Hallen
Die Wasser wogen und die Wellen wallen,
Indes ein Blinken, weiß wie Schwan und Schnee
Durchschimmerte den aufgeregten See.
Es spiegelte das lichte Bild viel Stunden;
Darauf für lange Weile war's verschwunden.

Dann tat sich plötzlich auf das Bretterhaus
Und eine Menschenmaid im weißen Kleid
Gesund und kühl und glücklich trat heraus;

Jubelnd von Gegenwart und andrer Art,
Von solchem Preise, kühn errung'ner Weise
Und all der stolzen, mut'gen Jugendweise.
Ferner und kleiner ward sie bald und bald;
Zuletzt verschwand sie zwischen Busch und Wald.

Jetzt schwieg der Bach und die verwaisten Wellen
Wälzten sich matt und müde von den Schwellen.


  Carl Spitteler . 1845 - 1924






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