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Gedichte, Lyrik, Poesie

Schmetterlinge
162 Bücher



Carl Spitteler
Schmetterlinge . 2. Auflage 1907



Segelfalter

Eine kluge Malerin - schwebt mir im Sinn.

Einen Malkasten in der Hand
Stieg sie den Fußweg auf zur Felsenwand.

Dort, als sie oben über die Straße nahm.
Die Richtung nach dem Walde, kam
Von unten eine Sarabande
Von Meilensteigern im Gebirgsgewande.

Mit Doppelschritten stürmten sie den steilen
Berghang heran. Wer hieß sie eilen?
Was für ein Hund verfolgte sie im Rücken?
Ich weiß es nicht. Doch keiner durfte weilen,
Noch um sich schauen, noch ein Beerlein pflücken;
Sonst hatten sie das unerbittliche Geschick,
Die strengen Karawanenführer,
Die Murmeltier- und Gemsenspürer
Mahnend und strafend im Genick.

Jetzt schlug vom Tal mit langgezognem Ton
Die Glocke - "Acht Uhr schon!!"
Wehklagten sie mit juckendem Entsetzen.
Wupp! ging es an ein Hetzen.
Hupp; lüpften sie die Ranzen.
Jupp! fing die Karawane an zu tanzen.

Allein die kluge Jungfrau guckte
Und mit den Schultern zuckte.
"Bewahr mich Gott vor Alpenpetern!
Die Schönheit messen sie mit Kilometern."

Dann zog sie schräg den Wiesensaum entlang
Umsichtig durch den Waldesschattengang.

Bald stand sie stille, schnupperte und schnob
Ein wenig mit den Nasenflügeln, hob
Den Lockenkopf und sog mit off'nem Munde.

Endlich bewegte sie mit zarter Hand
Den Vorhang. Wie sie den beiseite schob,
Entdeckte sie im Waldeshintergrunde
Ein Gartenzimmer aus dem Märchenland.

Oben im Zimmer eine Blumenwand,
Jasmin und Weißdorn, zwischen Hagerosen
Und Geißblatt, untermischt mit bunten Winden.
Kein Dichtertraum kann Holderes erfinden.

Smaragd'ne goldbestäubte Käfer kosen
Im Blütenbett und naschen von den Trauben;
Aber nach unten, durch die Seitenlauben
Rieselt im Zwitterlicht mit blondem Schein
Am Boden ein gedämpfter Sonnenschein:

Ein Strahlensieb und Schwefelsee zusammen;
Ein Tigerfell, gesprenkt mit schwarzen Flammen.

Da ordnete die Jungfrau ihr Gewand,
Und wo sie oben vor der Blumenwand
Ein Nest und Kissen in dem Efeu fand,
Setzte sie sich und zeichnete mit Fleiß
Ein maurisches Portal. D'rauf mit Verstand
Zwei Farben wählend, glut- und feuerheiß.
Karmin und Gold verzierte sie den Rand
Des Tores mit geschwung'nen Arabesken.
Die kühle Waldluft lieferte die Fresken.

Unter dem Malen liebte sie zu lauschen
Dem Windessäuseln und dem Waldesrauschen.
Lerchen und Grillen im Gesangverein
Jauchzten vom Felde durchs Gebüsch herein.

Auch mochte sie sich nicht der Lust erwehren
Die Augen nach dem Wipfeldach zu heben,
Den Locken einen Fingerstreich zu geben
Und öfters sich im Kissen umzukehren.

Und was sie immer tat und ließ und schrieb,
Ein innig Glück in ihrem Herzen blieb.

Bebend am Boden in dem Strahlenphosphor
Schwankt eine blasse Welle. Aus der Welle
Ein lichter Bernstein schäumt empor. Der Bernstein
Verwandelt sich und eine gelbe Rose,
Vierblättrig, schwebt zum Dach. Die Blätter dehnen
Und spitzen sich zu kühngeschwung'nen Segeln.

Plötzlich ein luftgebor'ner Pegasus.
Ein Flügelzebra, ein gehörntes Quagga,
Rennt fliegenden Galoppes durch das Laubdach.

Husch - sprengt er durch den Weißdornbusch.

Doch lange währt es nicht, so zeigt er wieder
Die Hörnchen und das schweflichte Gefieder.

Erst sieht man mehrmals ihn zu beiden Seiten
Hinter dem Säulengang vorüberreiten;
Hierauf beginnt er überm Boden schnell
Bergan zu flattern auf dem Löwenfell,
Hastig vor Lust an allen Beinchen zitternd
Und mit den pergamentnen Segeln knitternd.

Und also fort, halb fliegend, halb im Lauf
Den Saal hinab, den Saal herauf
Viel lange Stunden.
Und jede von den Stunden
Ergoß viel Tausend atmende Sekunden.
Und jegliche Sekunde überquoll
Von Schöpfung; Welt und Herz und Sonne;
Die Welt von Berg und Tal und Leben voll,
Das Herz von Wonne.

Bis daß die Glocke mit getrag'nem Klang
Vom Tal herauf die Mittagsstunde sang.

Da stieg aus ihrem düstern Rosenhaus
Die Jungfrau in die blaue Welt hinaus.

Der Segelfalter, treu an ihrer Seite,
Gab bis nach Felsenau ihr das Geleite.

Hier flog er heim. - Allein die Malerin
Schritt lauten Singens durch den Garten hin.
Wo man im Schlößchen diesen Sang vernahm,
Entflohen Sorg' und Leid, Verdruß und Gram.

Doch als sie selber trat zur Tür herein,
Da war es der lebend'ge Sonnenschein.


  Carl Spitteler . 1845 - 1924






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