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Carl Spitteler
Schmetterlinge
. 2. Auflage 1907
Taubenschwanz
I
Ein Büblein rannte mit trippelndem Lauf
Entsetzlichen Rufens ins Dorf hinauf:
"Kommt hurtig und sehet: ein Ungetier
Ist hinter der Schmiede; es fraß mich schier!
Kein Ochs, keine Hummel, kein Tiger brummt
So schrecklich, wie selbiges brummt und summt!
Einen Stachel hat es, ich lüge nicht,
So lang wie es selbst ist, an seinem Gesicht!
Einem Fisch oder Vogel gleicht es am Schwanz
Und fliegt wie der Teufel im Hexentanz!
- Nehmt Flegel und Stangen. Ich führ' euch an.
Ich weiß, wo es ist: auf der Kegelbahn."
Die Bauern die lachten und dachten dazu:
"O du dummes, du albernes Büblein du!"
Doch der Pfarrer, der Bohnen im Garten band,
Erschien auf der Straße und nahm ihm die Hand:
"Komm mit mir, du Tapfrer! Und tu' nicht so dumm!
Man muß nicht gleich fürchten ein jedes Gebrumm.
Gar manches ist Honig, was Stachel uns scheint,
Und jedes klein' Tierchen hat Gott gemeint."
Sie zogen zusammen zum Kegelhaus
Und jagten das bebende Untier hinaus.
- Wie friedlich umsurrt' es den Fliederbusch!
Und wie ward jetzt das Büblein so duck und so pfusch!
- Doch der Pfarrer besah ihn mit feiner List:
"Das ist wohl kein Teufel, was Flieder frißt!
Und bist du geschickt und benimmst dich gescheit,
Du fängst's mit der Faust. Aber tu' ihm kein Leid."
Und eh' man es hoffte, hielt jener schon
Das Untier im Fäustchen. - "Nun sage, mein Sohn!
He! beißt es? und sticht es? oder was spürst du davon?
Da stampfte das Büblein: "Gott Lob und Heil!
Es beißt nicht und sticht nicht. Im Gegenteil!"
II
Der Pfarrer rannte mit polterndem Lauf
Entsetzlichen Zornes zur Kanzel hinauf.
Die Welt geht unter mit einem Satz,
Ein Unweib, ein Unweib das tanzt auf dem Platz.
Der Löwen, der Schlangen, der Drachen Grimm
Ist halb nicht so arg wie sein Lachen schlimm.
Glühungen hat es in seinem Gesicht
Wie höllisches Feuer am jüngsten Gericht
Sein Busen ist giftig, allein schon vom Sehn -
Verhüllt euer Antlitz - ist's um euch geschehn.
Schwarzbraun wie die Sünde und glatt ist ihr Leib
Und tanzt auf dem Kopfe, das Teufelsweib.
Holt Flinten und Säbel, ich führ euch an,
Sonst tut euch der Herr wie er Sodom getan!"
Die Feuermannschaft und Polizei
Ergriff das Gewehr, und der Landsturm dabei.
Ein Büblein folgte dem Zuge zerstreut,
"O, was seid ihr für dumme, für alberne Leut'!"
Und als sie marschierten "links schwenkt" auf den Platz,
Da lag sie und knusperte Kuchen, der Schatz.
Das Bürschlein besah sie mit feiner List:
"Das ist wohl kein Teufel, was Kuchen frißt!"
Sie banden das Unweib mit Ketten und Schnur
Und stießen es fort auf der Bettelfuhr.
Wie ward jetzt das Weiblein so duck und so pfusch,
Und wie es mit Tränen die Äuglein wusch!
Da weinte das Bürschlein: "so habt doch Verstand!
Was schadet ein Busen dem Vaterland?
Man muß nicht gleich strafen was tanzt und was lacht!
Und jedes klein Weiblein hat Gott gemacht."
"Gott lohn dir's, du scheinst mir ein wackerer Held.
Was meinst du heut abend im Wald überm Feld?
Und wenn dir nicht graust vor der schwarzbraunen Maid,
So weiß ich wohl etwas, das tut dir nicht leid."
"Ei sieh!" rief der Pfarrer, "was kommst du denn schon
Am frühesten Morgen vom Walde, mein Sohn?
Und hast ja die Sonntagshosen noch an?
Was hast du getrieben die Nacht und getan?"
Da jauchzte das Büblein: "Gott Lob und Heil!
Sie stach nicht, sie biß nicht. Im Gegenteil!"
Carl
Spitteler . 1845 - 1924
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