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Carl Spitteler
Schmetterlinge
. 2. Auflage 1907
Trauermantel
Ein steiler Turm durchstößt den blauen Ather.
Vor seinem Angriff steigt die Himmelskuppel
Fliehend empor, die Wolken weichen seitwärts.
Durch die gezähnten Luken schlüpft der Ostwind.
Rund um des Schiffes stattliches Oval
Mit langgezogenen wagerechten Schwüngen
Schwimmt ebnen Fluges still ein Trauermantel.
Wenn er erscheint am Umgang hinterm Chor
Über dem dunklen Busch und Gartenkranz
Gekrönter Ulmen, die bewegungslos
Lauschen den dämmerholden Orgelpsalmen,
Schlägt er die Luft mit einem schnellen Lichtblitz.
Doch wenn er wendet um die Pfalz und Plattform,
Schaut er geduldig mit gedehntem Schweben
Den Hain hinunter durch die Pappelreihen
Talwärts zur Straße, wo auf mut'gen Rossen
Über dem blauen Strom im duft'gen Maien
Thronen erhob'nen Hauptes Amazonen.
Mit stillen Augen merkt' ich das Ereignis
Und trug es heim und malte mir ein Gleichnis:
Viel tausend Schmerzen sind in Kraft hienieden,
Und ewig rauscht und klappert's in der Mühle,
Damit im unvernünftigen Gewühle
Vielleicht durch Zufall und durch Sonnenschein
Aus vieler Schönheit plötzlichem Verein
An einem Welteneckchen sei beschieden
Von Zeit zu Zeit ein kurzes Stündchen Frieden.
Carl
Spitteler . 1845 - 1924
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