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Adelbert von Chamisso
Gedichte . 1836



Der Geist der Mutter

Die Muse führt euch in das Schloß des Grafen;
    Sie hat den alten Wappenschild am Thor
    Verhangen, und es soll sein Name schlafen.
Seht dort ihn selbst, der bleich und hager vor
    Dem Pergamente zähneknirschend lacht,
    Und zitternd, wie es rauschet, fährt empor.
Schaut nicht hinab in seines Busens Nacht,
    Fragt nicht nach seinem Unmuth, seinem Groll,
    Und nicht, was vor ihm selbst ihn schaudern macht.
Blickt ab von ihm; seht schweigsam, ahndungsvoll
    Die Dienerschaft den einz'gen Sohn erwarten,
    Dem jetzt der Mutter Erbe werden soll.
Er ward in Schul' und Welt und Krieg vom harten
    Geschick verstoßen, seit die Augen schloß,
    Die liebend pflegte seiner Kindheit Garten.
Nun kehrt er heim in seines Vaters Schloß;
    Er wieget sich in zaubervollen Träumen,
    Und spornt vor Ungeduld sein feurig Roß.
Und dort beginnt inmitten grünen Räumen
    Das Dorf mit rothen Dächern zu erscheinen;
    Die Kirche dort, und unter jenen Bäumen....!
Er hat den Baum gepflanzt, der jetzt mit seinen
    Weitausgespannten Aesten schirmt das Grab
    Der Mutter, wo er beten muß und weinen:
Da mahnt ihn ein Geräusch, das er vernimmt,
    Daß drüben bei dem Vater er gelassen
    Die Waffen, die zu seinem Schutz bestimmt.
Und ringsher spähend sieht er einen blassen
    Unsichern Schimmer durch das Zimmer wehen;
    Es reizt ihn, den in's Auge scharf zu fassen.
Er höret draußen leisen Schrittes gehen;
    Er siehet jenen Schimmer sich gestalten,
    Und siehet seine Mutter vor ihm stehen.
Sie winkt ihm, regungslos sich zu verhalten,
    Sie hebt die Augen schmerzenreich empor,
    Sie scheinet über ihn die Wacht zu halten.
Es rauscht, die Thür geht auf, - sie tritt davor, -
    Ein lauter, angsterpreßter Schrei erschallt,
    Die Stimme seines Vaters traf sein Ohr;
Da wirft man Schweres klirrend hin, es hallt
    Der Gang von flücht'gen Schritten, es verklingt, -
    Zerflossen ist in Nebel die Gestalt.
Er aber dort auf seinem Lager ringt
    Mit dem Entsetzen, bis mit hellem Scheine
    Der junge Tag in seine Augen dringt.
Er schaut umher; die Thür ist auf, und seine
    Pistolen liegen auf der Schwelle dort;
    Er fragt sich nicht, was er darüber meine.
Er schleicht hinaus sich leise, spricht kein Wort,
    Er sattelt, steigt zu Roß und drückt die Sporen;
    Erst ihrem Grabe zu, dann weiter fort. -
Es hat sich jede Spur von ihm verloren.


  Adelbert von Chamisso . 1781 - 1838






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