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Adelbert von Chamisso
Gedichte
. 1836
Der Tod Napoleon's
Nach Alessandro Manzoni.
Vergin di servo encomio
E di cobardo oltraggio.
A. Manzoni.
Napoleon. Montholon. Antomarchi, der Arzt. Europa, Geschichte und Poesie,
Erscheinungen. Stumme Umgebung: Bertrand, seine Frau und vier Kinder; der Abt
Vignali; Marchand und sechs Bedienten. Zwei englische Offiziere.
Longwood am 5. Mai 1821.
Napoleon (auf dem Sterbebette), Montholon, Antomarchi.
Montholon.
Des Fiebers Gluth hat ausgetobt, er scheint zu ruh'n.
Napoleon (im Schlafe).
Mein Heer!
Montholon.
Er träumt -
Napoleon.
Dem Adler folgt und mir; hinan!
Montholon.
Von Schlachten, lenkt im Geiste noch die Völker.
Napoleon.
Sieg!
Montholon.
O scharfer Mißlaut dieses Wortes hier und jetzt!
Napoleon (erwachend.)
Wer bin ich?
Montholon.
Herr und Kaiser.
Napoleon.
Wo?
Montholon.
Du bist, o Herr, Inmitten deiner Treuen.
Napoleon.
Wo?
Montholon.
Ein Felsensitz....
Napoleon.
Sanct Helena?!
Montholon.
Du sprachst es aus.
Napoleon.
Die Zeit ist um.
Abtrünnig werd' ich selber mir, so wie die Welt. -
Die mein annoch sich nennen, ruft herbei; ich will
Abrechnen mit dem Leben.
Montholon (die Thüre öffnend).
Tretet Alle her!
(Gefolge. Die Kinder knieen am Bette.)
Napoleon.
Daß ich geliebt bin worden, legt ihr Zeugniß ab.
Habt Dank. Ich aber scheide hin. Bald haben sie,
Mit deren Kronen ich gespielt, den Haß gekühlt.
Sie ließen uns nur unsrer Thaten Ruhm zurück.
Ihr werdet bald, aus selbsterkohr'ner Haft erlös't,
Mein stolz durch mich gewes'nes Frankreich wiederseh'n,
Und trauern an dem vielgeliebten Seinestrand.
O grüßt mein Frankreich, grüßet mir mein heimisch Land!
Wär' Frankreich dieser nackte, sturmgeschlag'ne Fels,
Ich wollt' ihn lieben.
Montholon.
Frankreich finden wir, o Herr,
Nur immerdar, wo dein geweihtes Haupt verweilt.
Napoleon.
Nicht also, nein - mein Frankreich grüßt und... meinen Sohn.
Entfernet euch; nicht sollet ihr mich weinen seh'n, -
Grüßt meinen Sohn, den grausam mir entfremdeten; -
Mein Sohn, mein Sohn!
Antomarchi.
Gehorcht dem Kaiser, tretet ab!
(Napoleon ist mit verhülltem Antlitz zurückgesunken. Alle heften
fragend
die Augen auf Antomarchi, der unverwandt den Kranken betrachtet.
Sie entfernen sich zögernd.)
Antomarchi (allein bei Napoleon. Lange Pause. Er wirft sich in
einen Sessel im Vordergrunde und verhüllt sein Antlitz.)
Lösch' aus, du Stern der Herrlichkeit!
(Es erscheinen Europa, Geschichte und Poesie. Napoleon streckt
die Arme nach ihnen aus.)
Europa.
Napoleon!
Weltherrscher einst, in Fesseln nun Verschmachtender;
Zurück von dir nicht fordernd das vergoss'ne Blut,
Das theure meiner Kinder; nein, den hohen Preis,
Um welchen fließen es gesollt, erschein' ich dir.
Es rangen zwei Weltalter um die Herrschaft; du
Stiegst auf, du Schicksalsmächtiger, da ward es still;
Nicht Friede; schweigsam lagen sie zu Füßen dir;
Du Franklin nicht, nicht Washington, du hast gebaut
Vergänglich für die trunk'ne Lust des Augenblicks.
Du sankst, du stirbst - ich frage bang: wem beug' ich nun
Den jochgewohnten Nacken? Weh!
Napoleon.
Mein Sohn, mein Sohn!
Europa.
O hättest Freiheit du geschafft nach deiner Macht,
Noch ständen aufrecht deine Bilder, unentweiht
Von Händen, die zu heben unvermögend sind
Das dir entsunk'ne, dein gewicht'ges Herrscherschwert.
Geschichte.
Standbilder eines Mannes stürzen Knaben um,
Umsonst bemüht, zu tilgen meines Griffels Spur
Zukünft'gem Alter, schwerem Urtheil aufbewahrt.
Poesie.
Zu schmäh'n, zu schmeicheln haben Knechte nur vermocht;
Jungfräulich deines Namens ist annoch mein Mund,
Hinfort geweiht zu ewigem Gesang, mein Held!
Europa.
Ihr Griffel, ihre Lyra, meine Thränen, die
Der eig'nen Schmach ich weine; rückgewendet dies
Hienieden. - Jenseits...? Kaiser auf! der Schleier reißt!
(Napoleon stirbt, die Erscheinungen verschwinden. Bei dem
Ausathmen Napoleons erhebt sich Antomarchi schnell und
tritt zu dem Todten, den er lange betrachtet, er geht sodann
nach der Thür. -
Montholon und das Gefolge kommen ihm entgegen.)
Montholon.
Der Kaiser?
Antomarchi.
Weint! Das war er! Länger zügelt nicht
Die bleiche Furcht, von diesem Kerker aus, die Welt.
Verbeugt vor dem euch, der ihn schlug; - zerstreuet euch,
Das Liebesopfer eures Lebens ist erfüllt!
(Montholon hat den Kaiser-Mantel über die Leiche ausgebreitet,
der Abt ein Crucifix darauf gelegt; Alle weinen. Zwei
englische Offiziere dringen ein. Der Vorhang fällt.)
Adelbert
von Chamisso . 1781 - 1838
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