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Gedichte, Lyrik, Poesie

Gedichte
162 Bücher



Adelbert von Chamisso
Gedichte . 1836



Die Verbannten

1.
Woinarowski.
- 1740 -
Nach dem Russischen des Relejeff.


Ein Reich des Winters starrt das öde Land,
    Durch welches sich die breite Lena windet
    Zu einem ewig eisumthürmten Strand.
Auf Schnee, auf frosterstarrter Rinde findet
    Sich wegbar nur das ausgespannte Moor,
    Von dem die weiße Decke kaum verschwindet.
Im weiten Kreise blickt daraus hervor
    Ein schwarzer Föhrenwald, und scheinet schier
    Auf kaltem Leichentuch ein Trauerflor.
Aus Balken grobgezimmert reihen hier
    Sich dunkle Jurten längs dem Fluß: die Stadt
    Des Schreckens in der Schrecknisse Revier, -
Jakuzk, an Kerkers und an Grabes Statt
    Bestimmt, die Unglückseligen zu hegen,
    Die schon das Leben ausgespieen hat.
Wer ist, der dort auf unbetret'nen Wegen
    So heimlich düster durch die Nebel schleicht,
    Die kalt am Morgen auf das Moor sich legen?
Mit kurzem Kaftan, Gurt und Mütze gleicht
    Er dem Kosacken von des Dnieper's Auen;
    Das Alter nicht hat so sein Haar gebleicht.
Und die zerstörten Züge! welch ein Grauen
    Flößt dieses Antlitz ein! des Henkers Maal
    Ist aber auf der Stirne nicht zu schauen. -
Und dort am Walde hält er auf einmal,
    Erhebt gen Westen schmerzensüberwunden
    Zugleich die Arme mit der Augen Strahl;
Und so wie Blut aus tiefen Herzenswunden,
    Entquillt ein Schrei: "o du mein Vaterland!"
    Er ist in Waldesdickicht schon verschwunden.
Wer ist, wer war er, eh' der Unbestand
    Ihn des Geschickes in den Abgrund raffte?
    Wie heißt der Waldbewohner? - unbenannt.
Wen her das schwarzverdeckte Fuhrwerk schaffte,
    Ein Sarg lebend'ger Todten, ist verschollen,
    Und stumm verhüllt sich dieser Räthselhafte.
Um Opfer edlem Wissensdurst zu zollen
    Hat Müller zu der Zeit dies Land bereist,
    Und zu Jakuzk den Winter dulden wollen.
In dürft'ger Hütte lebt' er und verwaist,
    Ein Menschenfreund und Priester der Natur,
    Wofür die Nachwelt seinen Namen preist.
Erholung war die Lust der Jagd ihm nur;
    Oft lockten in den Forst ihn seine Hunde
    Auf leichtem Schneeschuh auf des Rennes Spur.
Des Weges einst vergessen und der Stunde,
    Fand er am späten Abend sich allein,
    Verirrt, erschöpft, erstarrt in Waldesgrunde.
Die Kälte frißt am Leben, ohne Schein
    Hat über ihm der Himmel sich bedeckt,
    Er hüllt gefaßt zum letzten Schlaf sich ein;
Und bald hat ein Geräusch ihn aufgeschreckt:
    Ein flüchtig scheues Renn durchfliegt den Tann,
    Ein Schuß - es liegt zu Boden hingestreckt.
Und dort erscheint er, der den Schuß gethan,
    Der Sträfling, dessen Anblick sonderbar
    Den Unerschrockensten verwirren kann.
Er starrt ihn an und zweifelt, ob sich dar
    Errettung bietet, oder ihn bedroht
    Vom wilden Schützen andere Gefahr?
Und schnell bestimmt den Zweifelnden die Noth:
    Blick' her und übe du Barmherzigkeit,
    Ein Mensch wie du erwartet hier den Tod.
Gieb auf den Weg zur Stadt mir dein Geleit,
    Ich bin verirrt. Drauf jener: hör' ein Wort:
    Die Nacht wird dunkel und der Weg ist weit.
Nicht aber fern ist meine Jurte dort;
    Geschlagen hat auch dich des Schicksals Tücke,
    Es bietet dir mein Elend einen Port.
Da ruhest du und hoffst und träumst von Glücke,
    Ich aber ruhe, hoffe, träume nicht,
    Und scheint der Morgen, führ' ich dich zurücke.
Und ob den Worten staunend, die der spricht,
    Erhebet Müller sich und folgt dem Alten,
    Der durch die Wildniß ihm die Bahnen bricht.
Beschwerlicher wird stets der Pfad zu halten;
    Sie schreiten schweigend zu, der Urwald schweigt,
    Nachhallend nur von frostgeriss'nen Spalten.
Die Nacht hat sich gesenkt, die Kälte steigt,
    Und Müller unterliegt den Mühen fast,
    Als spät und einsam sich die Jurte zeigt.
Sie treten ein; der Jäger sorgt mit Hast
    Des Feuers Macht auf's Neue zu beleben,
    Die knisternd bald das dürre Reisig faßt.
Und wie die Flammen lodernd sich erheben,
    Erschimmern an den Mauern Waffen blank,
    Die ringsher Wiederschein der Lohe geben.
Der Wirth beschickt die Lampe, rückt die Bank
    Dem Heerde näher und den Tisch herbei,
    Den er versorgend deckt mit Speis' und Trank.
Er grüßt den Gast; es setzen sich die zwei,
    Der Wärme sich zu freuen und der Speise,
    Und aus dem Herzen quillt die Rede frei.
Gar inhaltschwere Worte läßt der Greise
    In dieser weltvergess'nen Wildniß hallen,
    Die Nachklang wecken möchten aus dem Eise:
Du bist ein Deutscher; alle Schranken fallen,
    In denen ich vor Russen mich verbaut,
    Die Sprache meines Herzens darf erschallen.
Und nun erschreckt mich meiner Stimme Laut,
    Der halbvergessen spät herauf beschwört
    Den Traum, dem jung und gut ich einst vertraut.
Dich hat nicht so wie mich der Traum bethört,
    Doch träumt ihr auch im Schlaf, wann mächt'gen Klanges
    Ihr Deutsche solches Wort erdröhnen hört.
Du wirst mich fassen. Freiheit! Freiheit! klang es
    Am Dnieper durch die Ebnen wundervoll;
    Der Ton erweckte mich, mein Herz verschlang es.
Des manngeword'nen Jünglings Busen schwoll,
    Ich fand dem Heldenfürsten mich gesellt,
    Aus dessen Mund der mächt'ge Ruf erscholl.
Erkenne, den das Elend so entstellt, -
    Ich war Mazeppa's Freund in meinen Tagen,
    Und Woinarowski nannte mich die Welt.
Nicht langsam schmerzlich will ich wieder sagen,
    Was in das Buch mit eh'rnem Griffel schon
    Der Genius der Zeiten eingetragen.
Man weiß genug, wie Karl, des Sieges Sohn,
    Verwegen unsern Zwingherrn lang bekriegte,
    Und fast erschütterte der Zaren Thron.
Wie noch mit unserm Blut der Schwede siegte,
    Als wir Ukrainer schlugen seine Schlachten
    Und falsch die Hoffnung kurze Zeit uns wiegte.
Weh' über uns! daß wir an Fremde dachten,
    Wo eig'ne Kraft für eig'nes Recht nur galt;
    Ein Bund der Sünde war es, den wir machten.
Pultawa, deine Donner sind verhallt,
    Ein Flüchtling ist der Schwede, wir vernichtet
    Erliegen zähneknirschend der Gewalt.
Kein Kreuz steht auf dem Hügel aufgerichtet,
    Worunter du, Mazeppa, moderst nun,
    Dem Türken um die Spanne Grund verpflichtet.
Mir ward es nicht zu Theil bei dir zu ruh'n;
    Der deinen letzten Hauch ich eingesogen,
    Ich hatte nichts bei'm Türken mehr zu thun.
Als sich gelegt des wilden Krieges Wogen,
    Wollt' ich zu meinem Weibe heim mich schleichen,
    Von namenloser Sehnsucht hingezogen.
Mein armes Land! ein Anblick sonder Gleichen!
    Rings lagen ausgestellt zum Fraß den Raben
Der Besten meines Volks zertheilte Leichen.
    Wie Wuth ich bei dem Anblick weinte, haben
Die Schergen mich ergriffen, fortgeführt,
    In diese Wüstenei mich zu vergraben.
    Ich glaube, daß du weinst, du bist gerührt;
Ich habe solchen Thau seit vielen Jahren
    In diesen dürren Höhlen nicht verspürt.
    Als ich gewürfelt mit dem großen Zaren,
Und Lieb' und Haß im Busen noch gestrebt,
    Da hab' ich wohl gewußt, was Thränen waren.
    Ich bin erstorben nun, und kaum erhebt
Sich schweifend noch mein Blick nach Westen hin,
    Das Land begehrend, wo ich einst gelebt.
    Und doch, wie immer ich gebrochen bin,
Wie meine Brust erkaltet und zerrissen,
    Es glimmt der heil'ge Funken noch darin.
    Du Guter, hast in meinen Finsternissen
Theilnehmend und gerührt auf mich gesehen;
    Du sollst mein heimlich Heiligstes noch wissen.
    Komm mit hinaus. - Dort wo die Föhren stehen,
Des Mondes Sichel wirft den blassen Schein,
    Dort wirst das dunkle Kreuz du ragen sehen.
    Ich lade dich zur Lust des Schmerzens ein,
Die letzte, heil'ge, so ich treu erfunden;
    Du bist am Ort, hier ruhet ihr Gebein.
    Als von der Heimath spurlos ich verschwunden,
Hat sich mein Weib mit Liebesheldenmuth
    Mich in der Welt zu suchen unterwunden.
    Und irreschweifend hat sie nicht geruht,
Zwei Jahre sind der Dulderin verstrichen,
    Bis sie gefunden ihr verlor'nes Gut.
    Doch ihre schon verzehrten Kräfte wichen,
Und als der Winter kam, da ging's zu Ende,
    Da ist in meinen Armen sie erblichen.
    Hier haben aufgerissen meine Hände
Den harten durchgefror'nen Schooß der Erde,
    Und ihr gegeben meine letzte Spende.
    Und hier, bei meinem Lieb- und Lebensheerde,
Hier ist es, wo ich dir auf heil'gem Grunde
    Mein and'res Heiligthum vertrauen werde.
    Die letzten Worte, die mit blassem Munde
Mazeppa vor dem staunenden Genossen
    Prophetisch ausrief in der Sterbestunde:
    "Was wir geträumt, noch war es nicht beschlossen;
Laß eine Zeit noch laden Schuld auf Schuld,
    Sich dehnen und entkräften den Kolossen;
    Umfassen eine halbe Welt - Geduld!
Im Spiegelschein der Sonnen eitel schimmern
    Das Herz von Uebermuth geschwellt - Geduld!
    Ihn wird der Zorn des Himmels doch zertrümmern.
Gott heißt Vergeltung in der Weltgeschichte
    Und läßt die Saat der Sünde nicht verkümmern."
    Der Alte schwieg. Auf seinem Angesichte,
Dem schaurig wiederum erstarrten, schwand
    Der Strahl, der es erhellt mit flücht'gem Lichte.
    Und Müller wunderbar ergriffen stand
Gedankenvoll zur Seite dem Gefährten,
    Und drückte stumm dem Schweigenden die Hand.
    Die Beiden endlich sich besinnend, kehrten
Zur Siedelei zurück, wo halbverglommen
    Des Heerdes letzte Gluthen sich verzehrten.
    Da sprach der Greis: laß itzt den Schlaf dir frommen,
Der mich vergessen hat seit langen Jahren;
    Die Nacht verstreicht, der junge Tag wird kommen;
    Der führt zurück dich zu der Menschen Schaaren,
Wo dieser Nacht Erinn'rung dir verbleicht;
    Ich werd' im wunden Herzen sie bewahren.
    Vergessen mochte Müller nicht so leicht;
Er hat ihn oft besucht, und oft dem Sohne
    Der Schmerzen lindernd milden Trost gereicht;
    Hat vor der Zarin Anna höchstem Throne
Für ihn gebeten, und für sich begehrt
    Des Alten Gnade nur zu eig'nem Lohne.
    Als wiederum der Winter wiederkehrt,
Wird Antwort von der Zarin ihm zu Theile:
    "Dir ist, was du gebeten hast, gewährt."
    Die Lust des Glücklichen kennt keine Weile,
Nach jenem Walde hin! er hält sich kaum,
    Betreibend schnell die Fahrt mit freud'ger Eile.
    Die Narte rennbespannt durchfliegt den Raum,
Sie macht im Walde vor der Jurte Halt;
    Er überläßt sich noch dem süßen Traum.
    Er ruft dem Freunde zu; der Ruf verhallt -
So schaurig stumm, die Thüre dort verschneit! -
    Er tritt hinein: das Inn're leer und kalt. -
    Kein Feuer brannte hier seit langer Zeit;
Er späht umher: des Jägers Waffen hangen
    Vollzählig, wohlgeordnet dort gereiht.
    Wo ist, der hier gehauset, hingegangen? -
Er suchet ihn mit düstrer Ahnung Schauern
    Am Grab, das seines Herzens Herz empfangen.
    Wie Bilder auf der Fürsten Gräbern trauern,
So sieht er sonder Regung dort gebannt
    Ein Jammerbild am Fuß des Kreuzes kauern.
    Gestützt auf beide Hände, hingewandt
Gen Westen, starr das Angesicht, das bleiche:
    Das war, den Woinarowski man genannt.
    Schon halb verschüttet war vom Schnee die Leiche.


2.
Bestujeff.
- 1829 -


"Ihn wird der Zorn des Himmels doch zertrümmern.
    Gott heißt Vergeltung in der Weltgeschichte,
    Und läßt die Saat der Sünde nicht verkümmern."
So klang es zu Jakuzk bei'm Sternenlichte
    In kalter Nacht. Ein rüst'ger Jäger sang,
    Gar selt'nen Reiz verleihend dem Gedichte.
Ein fremdes Ohr belauschte den Gesang,
    Ein Mann, der jüngst, der Wissenschaft zu fröhnen,
    Bis hieher in das Reich des Winters drang:
Wer bist du, der die Nacht belebt mit Tönen? -
    Wer du, der du mich fragst? das Lied ist mein,
    Du wirst es nicht zu singen mich entwöhnen. -
Gefraget hat ein Fremder dich allein,
    Weil ihn des Liedes mächt'ger Klang erfreute;
    Es lag ihm fern, unfreundlich dir zu sein. -
Sei mir gegrüßt, und nicht zum Argen deute
    Der ungemess'nen Rede flücht'ge Hast,
    Dieweil mir stolz zu sein geziemet heute.
Komm in mein Haus, sei des Verbannten Gast;
    Ich werde dir berichten sonder Säumen,
    Was du zu wissen Lust bezeuget hast.
Ich bin in dieses meines Grabes Räumen
    Ein freier Mann, und bin die Nachtigall,
    Die hier allnächtlich singt von ihren Träumen.
Mir bleibt der freien Stimme voller Schall,
    Die volle Lust des ungebroch'nen Muthes,
    Und der ich bin, der bin ich überall.
Die Erde lehrt mich und der Himmel thut es,
    Die Sterne, welche kreisend zu mir sagen:
    Es treibt uns unablässig, nimmer ruht es.
Sieh' scheitelrecht dort über dir den Wagen,
    Noch lenkt er aufwärts, strebet noch hinan,
    Um zu der Tiefe jenseits umzuschlagen.
Ich bin zur Tiefe kommen meiner Bahn,
    Ich oder Andre müssen wieder steigen,
    Und was ich träumte, war kein leerer Wahn.
Das wird am Tag der Völker bald sich zeigen,
    Denn hält die Wage schwankend sich noch gleich,
    So muß die volle Schaale doch sich neigen.
Gewürfelt hab' ich um ein Kaiserreich;
    Noch einmal ist der kühne Wurf mißlungen, -
    Er bot die Brust entblößt dem Todesstreich!
Ich bin Bestujeff, welchen viele Zungen
    Relejeff's Mitverschworenen genannt,
    Dem er sein hohes Schwanenlied gesungen;
Das Lied von Woinarowski, wo entbrannt
    Für Freiheit er sein Heiligstes gegeben,
    Weil, scheint es, er sein Loos vorausgekannt.
Noch hallt das Lied, zur Nachwelt wird es schweben,
    Er aber hat das Blutgerüst bestiegen;
    Ich muß ihn zu Jakuzk noch überleben!
Dein Woinarowski sah dich unterliegen,
    O mein Mazeppa, und bewahrt dein Wort
    In seines Herzens Schreine goldgediegen.
Du and'rer Müller stehst am selben Ort,
    Um wieder gleiche Bilder zu betrachten,
    Die nimm du im Gedächtniß mit dir fort;
Und wenn die guten Götter heim dich brachten,
    So gieb den Stoff dem Dichter zum Gedicht;
    Er leb' im Lied, den sie zu tödten dachten.
Das wird der and're Sang, der letzte nicht;
    Heil aber, dem der dritte vorbehalten!
    Der dritte heißt Vergeltung und Gericht.
Wie drohend noch Bestujeff's Worte hallten,
    Ward Licht am nord'schen Himmel ausgegossen
    Und einen Bogen sah man sich gestalten;
Und aus dem Bogen blut'gen Lichtes schossen
    Gen Süden wundersame Funkengarben,
    Die neigend sich zum Horizont verflossen;
Mit Zitterscheine wechselten die Farben;
    Die Sterne, wie der Lohe Säulen stiegen,
    Verloren ihre Strahlen und erstarben.
Nach Norden starrten beide hin und schwiegen.


  Adelbert von Chamisso . 1781 - 1838






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