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Adelbert von Chamisso
Gedichte
. 1836
Erscheinung
Die zwölfte Stunde war bei'm Klang der Becher
Und wüstem Treiben schon herangewacht,
Als ich hinaus mich stahl, ein müder Zecher.
Und um mich lag die kalte, finst're Nacht;
Ich hörte durch die Stille wiederhallen
Den eig'nen Tritt und fernen Ruf der Wacht.
Wie aus den klangreich fest - erhellten Hallen
In Einsamkeit sich meine Schritte wandten,
Ward ich von seltsam trübem Muth befallen.
Und meinem Hause nah, dem wohlbekannten,
Gewahrt' ich, und ich stand versteinert fast,
Daß hinter meinen Fenstern Lichter brannten.
Ich prüfte zweifelnd eine lange Rast,
Und fragte: macht es nur in mir der Wein?
Wie käm' zu dieser Stunde mir ein Gast?
Ich trat hinzu, und konnte bei dem Schein
Im wohlverschloss'nen Schloß den Schlüssel drehen,
Und öffnete die Thür, und trat hinein.
Und, wie die Blicke nach dem Lichte spähen,
Da ward mir ein Gesicht gar schreckenreich, -
Ich sah mich selbst an meinem Pulte stehen.
Ich rief: "wer bist du, Spuk?" - er rief sogleich:
"Wer stört mich auf in später Geisterstunde?"
Und sah mich an, und ward, wie ich, auch bleich.
Und unermeßlich wollte die Sekunde
Sich dehnen, da wir starrend wechselseitig
Uns ansah'n, sprachberaubt mit off'nem Munde.
Und aus beklomm'ner Brust zuerst befreit' ich
Das schnelle Wort: "du grause Truggestalt,
Entweiche, mache mir den Platz nicht streitig!"
Und er, als Einer, über den Gewalt
Die Furcht nur hat, erzwingend sich ein leises
Und scheues Lächeln, sprach erwiedernd: "Halt!
Ich bin's, du willst es sein; - um dieses Kreises,
Des wahnsinn - droh'nden, Quadratur zu finden,
Bist du der rechte, wie du sagst, beweis' es;
In's Wesenlose will ich dann verschwinden.
Du Spuk, wie du mich nennst, geh'st du das ein,
Und willst auch du zu Gleichem dich verbinden?"
Drauf ich entrüstet: "ja, so soll es sein!
Es soll mein echtes Ich sich offenbaren,
Zu Nichts verfließen dessen leerer Schein!"
Und er: "so laß uns, wer du sei'st, erfahren!"
Und ich: "ein solcher bin ich, der getrachtet
Nur einzig nach dem Schönen, Guten, Wahren;
Der Opfer nie dem Götzendienst geschlachtet,
Und nie gefröhnt dem weltlich eitlen Brauch,
Verkannt, verhöhnt, der Schmerzen nie geachtet;
Der irrend zwar und träumend oft den Rauch
Für Flamme hielt, doch muthig bei'm Erwachen
Das Rechte nur verfocht: - bist du das auch?"
Und er mit wildem, kreischend lautem Lachen:
"Der du dich rühmst zu sein, der bin ich nicht.
Gar anders ist's bestellt um meine Sachen.
Ich bin ein feiger, lügenhafter Wicht,
Ein Heuchler mir und Andern, tief im Herzen
Nur Eigennutz, und Trug im Angesicht.
Verkannter Edler du mit deinen Schmerzen,
Wer kennt sich nun? wer gab das rechte Zeichen?
Wer soll, ich oder du, sein Selbst verscherzen?
Tritt her, so du es wagst, ich will dir weichen!"
Drauf mit Entsetzen ich zu jenem Graus!
"Du bist es, bleib', und laß hinweg mich schleichen!" -
Und schlich, zu weinen, in die Nacht hinaus.
Adelbert
von Chamisso . 1781 - 1838
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