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Anastasius Grün
Gedichte
. 1869
Verwandlung
1.
Es lag ein lockiger Knabe
Am blüh'nden italischen Strand
Zum blauen, ewigen Aether
Das flammende Aug' gebannt.
Die Glieder streckten sich wonnig
Im üppig schwellenden Grün.
Die hohen, schlanken Palmen
Umrauschten wie Harfen ihn.
Es schlangen sich Rebengewinde
Von Palme zu Palm' empor,
Draus blickten purpurne Trauben,
Wie küssende Lippen, hervor.
Es guckten mit gaukelnden Häuptern
Die Rosen aus duft'gem Gesträuch,
Wie blühende Mädchengesichter,
Erröthend und nickend zugleich.
Es raschelte fröhliches Leben
Durch schattige Blätternacht,
Gesänge von tausend Kehlen
Sind rings in den Zweigen erwacht!
Besä't ist mit silbernen Segeln
Des Meeres unendlicher Plan,
Drauf schimmert die Morgenröthe
Als zweiter Ozean.
Der Knabe schaut so selig
Meer, Erd' und Aethergezelt,
Und staunt in den herrlichen Himmel,
Und freut sich der herrlichen Welt!
Der Träumer, von allen Wonnen
Italischen Himmels umglüht,
Er ist das Bild meiner Liebe,
Wie sie mir einst geblüht.
2.
Es wallt ein düstrer Pilger
Durch afrikanischen Sand,
Ein schmales Bündel am Rücken,
Den Knotenstab in der Hand.
So weit sein Ruf auch töne,
Kein Ruf, der wiedertönt!
So weit sein Herz sich sehne,
Kein Herz, das nach ihm sich sehnt!
Bei Gräbern und Pyramiden
Verweilt er gar manche Zeit!
Es mahnt die verwitterte Inschrift
Ihn schöner Vergangenheit.
In staub'gen Papyrusrollen
Liest er das Aug' sich fast blind,
Und liest und enträthselt die Kunde
Von Lenzen, die nimmer sind.
Gern möcht' er in Tempeln beten,
Nur Trümmer findet er mehr!
Altäre und Götter liegen
Zerstückelt am Boden umher.
So wankt er sinnend weiter
Durch's weite, wüste Land!
Rings über ihm glühender Himmel,
Rings um ihn glühender Sand!
Kein Quell, der ihn erquicke,
Kein Baum, der Schatten streut,
Kein Moos, darauf er schlummre,
Kein Strauch, der Früchte beut! -
Wer hätt' in dem sinstern Wandrer
Den fröhlichen Knaben erkannt,
Der einst so selig gelagert
Am blüh'nden italischen Strand?
Anastasius
Grün . 1806 - 1876
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