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Arthur Fitger
Fahrendes
Volk . 3. Auflage (vermutlich) 1890
Johann Sebastian Bach
Der Churfürst rückt den Stuhl; zu Ende geht das Mahl,
Und Serenissimus verläßt den Gartensaal,
Im kühlen Park sich zu ergehen.
Orangen lauschen rings an Taxuswänden vor,
Und das Parterre prangt in selt'nem Zwiebelflor,
Von Statuen schimmern die Alleeen;
Um die Sirene buhlt im Mondenlicht der Born,
Den ein Triton verspritzt aus krummem Muschelhorn.
Der Hof lustwandelt rings im laub'gen Schattenzelt
Und harrt auf das Turnier, das heut' der Churfürst hält;
Denn heut': "O ciel! impertinence!
Ein deutscher Musikus stellt sich zum Waffengang
Dem Meister aus Paris, dem Jean Louis Marchand;
Apoll und Satyr! Welche Chance!
Ein Wettspiel, wie's in Rom man weiland sehen mocht',
Da Scherzes halb ein Zwerg mit einem Riesen focht."
,Pardonnez, Saint Thomas, du zweifeltest am Christ,
Und uns'ren Zweifel regt doch nur dein Organist,
Dein Tropf, dein Bach, dein Meister Bakel.
Arion, en chantant ses airs, marcha sur l'eau,
Et Marchand marchera sur ce petit Ruisseau;
Charmant Marchand! Charmant miracle!'
So scherzt Graf Schöppenstedt. Man preist sein Sylbenspiel,
Man applaudirt, man lacht sogar im Schnörkelstyl.
Dicht an den Garten tritt die Schloßkapelle vor,
Und sanfter Orgelton entströmt dem off'nen Thor
Wie Lerchenlied im Morgengrauen:
Noch grüßt ihr Sang allein die schlafende Natur;
Doch mählich regt es sich auf thaubenetzter Flur,
Und Antwort tönen rings die Auen.
Nun stimmt das volle Werk in Jubel-Melodei'n
Wie der erwachte Wald mit tausend Liedern ein.
Das wächst und schwillt und blüht wie freud'ge Frühlingsmacht,
Das flutet und das wogt in lichter Zauberpracht,
Als stürmten Geister an im Fluge,
Als jagt' auf wolk'gem Roß daher die Windesbraut,
Als schlüg' ein Meer empor, und nun mit Donnerlaut
Beginnt der Riesenschritt der Fuge;
Accord drängt an Accord in stolzen Harmonien,
Wie Heere, die hinaus in's Schlachtgetümmel zieh'n.
Schon fassen sie sich an im ungestümen Zorn,
Die helle Pfeife gellt, dazwischen schreit das Horn,
Dann flieh'n sich die verschlung'nen Massen;
Doch reißt es sie zurück voll zum Zusammenklang,
Und horch! Allmählich löst in flutendem Gesang
Sich zum Choral ihr wildes Hassen:
Nun danket alle Gott mit Herz und Hand und Mund,
Ihn loben Tag und Nacht, die Himmel thun ihn kund!
Und atemlos, gebeugt vor niegeahnter Macht,
Steht lauschend rings der Hof; man hört den Hauch der Nacht
Hinwandeln durch die alten Rüstern.
Da spricht der Fürst: "Marchand, begehrt des Kampfs Er noch?
Marchand, Monsieur Marchand; wo blieb er? Sucht ihn doch!"
Und durch die Reihen läuft ein Flüstern:
,Durchlaucht, verzeiht, daß längst Marchand davon sich stahl
Und auf französisch sich per Extrapost empfahl.' -
Die Uhr schlug Mitternacht, verlassen liegt der Park,
Doch deutsches Wetter peitscht die Bäume bis auf's Mark,
Das Zwiebelbeet im Hagel zittert;
Da rasselt's, kracht und stürzt, weh! der Orangentopf,
Dem zopfigen Triton zerschmettert er den Kopf,
Die Rococo-Sirene splittert,
Und jauchzend fegt der Sturm um den geborstnen Rumpf
Und preist in mächt'gem Lied des deutschen Geists Triumph.
Arthur
Fitger . 1840 - 1909
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