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Gedichte, Lyrik, Poesie

Fahrendes Volk
162 Bücher



Arthur Fitger
Fahrendes Volk . 3. Auflage (vermutlich) 1890



König Drosselbart

Ein Volksmärchen.

Ich weiß 'nen Bronnen wunderhold,
Deß Fluten sind lebendig Gold,
Deß Fluten sind lebend'ger Wein,
Der labt und tränkt Jahr aus, Jahr ein
Die Greise wie die Kinder
Und wird doch niemals minder;
Kein Waldbach springt so frisch und hell:
Das ist der deutsche Märchenquell,
Die alte, ew'ge Dichterlust,
Die aufquillt in des Volkes Brust.

Und wollt ihr nicht den Schenken schmählen,
Wenn er, mit frischem Laub bekränzt,
Euch von der edlen Flut kredenzt,
So schöpft er, ohne lang' zu wählen,
Und schwenkt in scheinlos schlichtem Horn
Den zauberduft'gen Wunderborn.

War einst ein König reich und stolz,
Ein Herr wie knorrig Eichenholz,
Ergraut in Sturm und Speergekrach,
Und wenn er gleich der Ruhe pflag
Und häuslich mit bequemer Rast
Vertauscht der Heldenjugend Hast,
That man doch wohl, nie zu vergessen:
Mit ihm sei schwierig Kirschen essen.
Zum Zorne neigte nicht sein Herz,
Doch zürnt' er, war's wie glühend Erz;
Und wenn er schwur - er schwur nicht leicht -,
So wär' ein Felsen eh' erweicht,
Und leichter schmölz' ein Marmel-Klotz,
Als seines Willens harter Trotz.
Das wußten seine Leute gut,
Und jeder war auf seiner Hut
Fürsichtiglich, des alten Recken
Kreuz-Donnerwetter nicht zu wecken.
So hauste fröhlich denn der Greis
In alter Fahrtgenossen Kreis;
Die vollen Becher klangen,
Und Gurt und Kett' und Spangen
Thät reichlich er mit milden Händen
Den Helden und den Sängern spenden.
Hoch lag der Hort ihm aufgespeichert,
Den von den Vätern er bewahrt,
Und den auf mancher kühnen Fahrt
Er selber königlich bereichert.
Doch über Gold und Edelstein
Ging ihm sein junges Töchterlein.
Sie glich an Glanz und Reine
Dem blanken Elfenbeine,
Wie Goldgespinst vom Feyenrocken
Wogten des Hauptes lichte Locken,
Der Wange Rot, des Auges Blitz,
Des Züngleins pfeilgeschwinder Witz,
Die silberhelle Kehle
Gewann ihr jede Seele,
Und Liebling war sie allen
In ihres Vaters Hallen.
Sie konnt' mit laun'gen Koboldstreichen
Von Jedem, was sie wollt', erreichen,
Und Alles hielt sie rings in Bann
Als überlust'ger Haustyrann.
Die Mutter deckt' ein früher Sarg,
Da kaum die Wieg' ihr Kindlein barg,
Und nach des Vaters trotz'gem Sinn
Artete bald das Magedin.
Und schon in früh'ster Wiegenzeit,
Wo sonst ein Kindlein zappelnd schreit
Nach Kuchen oder süßen Beeren,
Sie, wollte man den Wunsch ihr wehren,
Biß ihre Zähnchen auf einand
Und ballte fest die kleine Hand
Und ließ nicht nach, mit stetem Ringen
Das Heißersehnte zu erzwingen;
Und jede Rute war verthan,
Befahl die Wärterin ihr an,
Was ihrem Kopf zuwider ging.
Der Vater lachte bei dem Ding
Und that, den zorn'gen Mut zu stillen,
In jedem Stück ihr gern den Willen:
"Ei, laßt sie gehn, Frau Amme,
Der Schößling gleicht dem Stamme;
Ihr sollt ein väterlich Gebrechen
An Kind und Kindeskind nicht rächen;
Auch mich zwang weder Schlag noch Sold,
Wenn ich nun einmal nicht gewollt." -
So wächst am schatt'gen Felsenborn
Mit duft'ger Blüt' und scharfem Dorn
Die freie, fessellose
Waldkönigin, die Rose;
Von keines Gärtners Hand gebogen,
An keinem Stabe hochgezogen,
In freier Anmut rankt sie auf.

Wohl zogen Freier viel zu Hauf,
Das schlanke Röslein sich zu brechen,
Doch ach, die Dornen thäten stechen.
Der pocht' auf Gold, der pocht' auf Ruhm,
Der prahlt' mit seinem Heldentum,
Und alle seufzten sie vor Liebe
Und reimten ihre zarten Triebe
Und sangen von gebrochnen Herzen
Und unerhörten Liebesschmerzen.
Das Fräulein lacht' in ihrem Sinn:
,Woher ihr kamt, da gehet hin.
Ich höre lieber Unken ächzen,
Als das beständ'ge Liebeskrächzen,
Und lieber Eulen-Nachtgesang,
Als euren ew'gen Ständchenklang.
Noch thät an fehlgeschlagnem Werben
Niemals ein Junggeselle sterben.'
Und lachend mit mutwill'gen Tücken
Drehte den Freiern sie den Rücken
Und schmeichelte mit süßem Munde
Zum Spott für sie dem Kettenhunde
Und hetzt' ihr Kätzlein durch den Garten;
Und an des Thurmes grauen Scharten
Aus dunklen Eppichzweigen
Ließ sie den Falken steigen,
Und summt' in lust'ger Melodei:
,Noch bin ich frei und bleibe frei.'

Und Abends, wenn nach lautem Tag
Die Amme trat in's Schlafgemach,
Von Goldgeweb' und Seiden
Das Mägdlein zu entkleiden;
Da gab's solch Spotten, Witzeln, Lächeln,
Und solch erbarmungslos Zerhecheln,
Daß von den Freiern schier kein Hund
Ein Stückchen Brot noch nehmen kunnt'.

,Sah'st du den neu'sten Gast, den dicken?
Ein volles Weinfaß könnt' er schicken
Als sein Porträt in Miniatur. -
Der Schöne, - mit der Drahtfigur,
Der Zieraff'? - lieber klug und häßlich;
Dummschöne Männer sind mir gräßlich. -
Der Kluge? - lust'gen Vögeln graut's
Vor'm hochwohlweisen Pallas-Kauz. -
Der Kurze? - kurz sein sterblich Theil;
Sein Geist ist lauter lange Weil'. -
Der Lange? - o mir Bängsten!
Der Lange weilt am Längsten!'

Die Amme sprach: "Prinzessin gnädig,
So fürcht' ich gar, Ihr bleibet ledig;
Und einst bei Mops und Papagan
Denkt Ihr an manch verschmähten Mann
Und sucht ihn reuevoll zu locken
Mit Schnupftaback und blauen Socken;
Doch alle Reu' ist dann zu spat;
Drum hört und nehmt bei Zeiten Rat."

Das Königsfräulein aber lacht':
,Eia popeia, gute Nacht,
Das alte Lied, die Ammenleier;
Und kämen zwanzigtausend Freier,
Ich wollt' sie all' mitsammen missen.'
Dann sprang sie in die seidnen Kissen
Und barg das Haupt im weichen Flaum
Und lachte noch im tiefen Traum.

Das Morgenrot schien in's Gemach,
Da ward die Königstochter wach
Von Roßgestampf im Hofe.
"Prinzessin," rief die Zofe,
"Schnell aus den Federn! kommt und seht,
Woher der Wind Euch heute weht.
Wohl hundert Mannen ziehen ein;
Wie dampfen rings im Frühlichtschein
Die Rosse, gleich dem Wind beflügelt,
Mit Purpurdecken, goldgezügelt,
Und silberhelle Glöckchen schallen,
Und schlanke Reiherbüsche wallen!
Wie sich im Windesrauschen
Die farb'gen Banner bauschen!
Hei, welche Fülle, welche Pracht
Verschwendrisch Euch entgegen lacht!
Und dort! - o seht den schönen Reiter!
Rings überstrahlt er die Begleiter,
So reich sie glänzen, dennoch mehr,
Als Mond der kleinen Sterne Heer.
Hei, wie er sich vom Sattel schwingt!
Wie eitel Gold und Demant blinkt
Vor köstlichstem Geschmeide
Des Wappenrockes Seide.
Das wär' ein rechter Herr für Euch!"
Und hinter blühendem Gesträuch,
Das rings das Fensterlein umschlang,
Lugte das Königskind so lang',
Bis in des Schlosses Marmorthoren
Der Schwarm der Gäste sich verloren.

Die Amme blinzte: "Fräulein, gelt,
Ist das der Mann, der Euch gefällt?
Gleich bringen seine Knaben -
Gebt Acht - die Hochzeitgaben."
Das Fräulein warf das Näschen auf:
,Ich bin ihm dennoch nicht zu Kauf.
Was dünkelt sich solch goldner Wicht!
Denn kurz: auch diesen will ich nicht.'

Nun gab's den lieben, langen Tag
Im Schlosse jubelnd Festgelag;
Schier bogen sich die Tische,
So trug man Wild und Fische,
Pastet' und süße Leckerei
Und Wein und Eissorbet herbei.
Der fremde König saß der Maid
Beständig an der rechten Seit',
Und da Trompet' und Klarinette
Zum Schleifschritt spielten und Menuette,
Zu Pastourell' und Ridevanz,
Mit ihr nur tanzt' er jeden Tanz;
Von ihrer Seite wich er nie,
Und Augen hatt' er nur für sie.
Doch schien er all' die zarten Spenden
Der Courtoisie zu verschwenden.
Wenn er galant zu scherzen wähnte,
Schaute das Fräulein weg und gähnte;
Sprüht' er des Witzes Feuerflocken,
Sprach sie im Ernste baar und trocken;
Und wenn er mild und gütig blieb,
Gab sie ihm spitzig Hieb auf Hieb,
Und unhold blieb sie, bis die Nacht
Der Lustbarkeit ein Ende macht'.

Der alte Herr trank voller Aerger
Sein letztes Glas Johannisberger,
Und nahm, da endlich sie allein,
Bei Seit' sein trutzig Töchterlein
Im mondbeglänzten Hage.
"Nun, liebes Kind, nun sage,
Wie denn gefällt der Freier dir?"
,Lieb Väterchen, der Freier, mir?
Der fremde König will mich werben?
Das heiß' ich nutzlos Zeit verderben.
Der Freier ist ganz sondrer Art,
Er hat ja einen Drosselbart!
Die Nas' ist wie ein Schnabel spitz,
Der Mund pfeift stets denselben Witz;
Nein, Väterchen, den nehm' ich nie!'

Ha! wie der Alte Flammen spie!
Ausbrach in endlichem Erguß
Längst aufgesammelter Verdruß,
Wie er mit lautem Ingrimm schalt:
"So werd' als Närrin alt und kalt.
Verzogen Pflänzlein! Andre Mädel,
Käm' nur ein Freier halb so edel,
Als dieses Königs letzter Knapp,
Die Schuhe liefen sie sich ab
Nach solchem wackren Eheherrn.
Und Jungfer Launig - Kreuz und Stern! -
Für aller Weisheit Rat verdorben -
Will gar den König selbst bekorben."
So polternd wettert' er drauf los,
Bis ihm die Stirn von Tropfen floß,
Dann schloß er: "Hör' mein letztes Wort,
So geht das Ding nicht weiter fort;
Ich hab' des Aergers jetzt genug
Und schwör's bei Gottes ew'gem Fluch:
Satt hab' ich diese Heiratssorgen;
Dem ersten Bettler, der da morgen
Almosen flehend vor mich tritt,
Geb' ich zum Ehgespons dich mit.
Ich schwör' dir's zu, auf daß du's weißt,
Bei Vater, Sohn und heil'gem Geist!"

Doch da brach auch das Töchterlein
Helltrotzig los: ,Und aber nein!
Es soll mich wenig grämen,
Den Bettelmann zu nehmen;
Vollführe, was dein Mund verspricht;
Den König aber nehm' ich nicht.'

So gingen sie im Trotz zur Ruh;
Doch Keines schloß ein Auge zu;
Und bis die Morgenröte kam,
Dacht' Jedes: "Ich bin sanft und zahm
Und gebe nach in allen Dingen;
Doch diesmal lass' ich mich nicht zwingen."
Still lag das Schloß und still der Hag;
Nur eine Nachtigall war wach
Und jubelte von Mai und Minne;
Dann hielt auch sie erschrocken inne.
Des Gartens dunkles Dickicht rauscht,
Flieht dort ein Späher, der gelauscht?
Es glänzt im Mondenscheine
Wie Kron' und Edelsteine. -
Wer ist's, der noch so spät gewacht,
Und sich in Nebel birgt und Nacht? -

Beim Frühstück, störrisch noch gesinnt,
Saßen der König und sein Kind,
Und Jedes harrte, wer das böse
Peinvolle Schweigen endlich löse;
Doch also tief war ihr Verstummen,
Man hörte schier die Fliegen summen.
Da trat der Marschalk in die Halle:
"Geschieden sind die Fremden alle,
Auf und davon vor Thau und Tag;
Nur in des Königs Schlafgemach
Ist dieses Blatt zurückgeblieben,
Drauf für den Wirt ein Dank geschrieben."
Des Alten Zornesader schwoll;
Doch hell des Mägdleins Lachen scholl,
Dann wieder Schweigen wie zuvor.
Da kam es von des Schlosses Thor
Wie wunderheller Geigenklang
Und vollauftönender Gesang.
Zu lieblichen Accorden
Erklang's von süßen Worten,
Von sehnendem Verlangen
Und seligem Umfangen,
Von Leiden und Entbehren,
Von Lieben und Gewähren.
Bald jauchzt' es auf wie tausend süße,
Frühlingsberauschte Lerchengrüße,
Und dann versank wehmütig leise
Des Liedes zauberhafte Weise,
Ein wunder Schwan in dunkle Flut,
Und schwieg zuletzt. - Da schwankt' ein Hut
Am Fensterlein: "Viel schöne Hände,
Der arme Spielmann bittet Spende,
Werft ihm für goldne Lieder
Ein Kupferstück hernieder."
Das Mägdlein saß wie traumumwoben,
Das blonde Köpfchen halb erhoben,
Die Augen halb geschlossen,
Da solche Töne flossen.
Das Herze schien ihr hoch zu schwellen
Auf all' des Wohllauts weichen Wellen;
Als wollten Flügel sich ihm dehnen,
Bebt' es empor in fremdem Sehnen.
Der König hatte stumm gelauscht
Und keinen Blick mit ihr getauscht;
Denn auch durch seine Seele zogen
Besänftigend des Liedes Wogen.
Nun schwieg's. Doch da zerstob alsbald
Des Zaubers freundliche Gewalt,
Und grollend raunt' er zu der Maid:
"Hast du vergessen meinen Eid?
Noch ist es Zeit, - ein Wort von dir:
Mein Knappe zäumt sein bestes Thier
Und stürmt dahin in Windesjagen,
Dem Gast das Wörtlein anzusagen,
Und holt zurück ihn; - sonst, weiß Gott,
Mein Eidschwur ist kein Kinderspott!"

Sie lachte nur: ,Von Haus zu Haus
In freier Lust, Land ein, Land aus
Dahinzuzieh'n als Spielmannsweib,
Dünkt mich gar sel'ger Zeitvertreib.
Beim Wandern und beim Schweifen
Die Sorge wegzupfeifen
Wie Märzenschnee vom Blütenbaum,
Das war seit lang' mein schönster Traum.'

Da brach der Alte mit Getos
In zorn'gem Donnerwetter los:
"Bei Gottes Bart! um meinetwillen
Kannst du dein toll Gelüsten stillen;
Fahr' hin; ich kenne deiner nicht!"
Blaß ward des Mägdleins Angesicht,
Wie Schilfrohr bebte die Gestalt;
Doch zwang sie sich und sagte kalt:
,Ich seh' es, Ernst ist, was Ihr sagt.
Sei's drum; doch eine reine Magd
Läuft nicht von selber zu dem Knaben;
Dem Vater ziemt's, sie zu vergaben.
So schließt denn Ihr mit eigner Hand
Nach Brauch und Recht mein Eheband.'
Der Alte rief: "Zum letzten Mal:
Willst du den König zum Gemahl?"
Sie sprach ein tonlos mattes: ,Nein.'
"Trotzkopf, wohlan, so mag's denn sein! -
Du Fiedelmann, als Fahrtgewinn
Geb' ich mein eigen Kind dir hin;
Da nimm sie, wie sie steht und geht,
Die schmucke Bettlermajestät."

Die heft'ge Rede schallte durch
Die Hallen rings der Königsburg;
Doch meinte Jeder, der's vernommen:
Zum Aeußersten läßt sie's nicht kommen.
Wie staunte nun das Ingesinde,
Als wirklich mit dem Königskinde
Zum Thor hinaus der Spielmann zog!
Welch Murmeln durch die Menge flog,
Welch Wispern, Fingerdeuten,
Kopfschütteln bei den Leuten!
Die Mägde drängten sich zu Hauf,
Die Pagen eilten her im Lauf,
Der Koch ließ Braten stehn und Topf,
Aus jedem Fenster lugt' ein Kopf.
Zur Kehle schwoll dem Kind das Weinen;
Doch beugen sollte sie den kleinen
Starrkopf? Verzeihung bitten? nimmer!
Und käm' es hundert Mal noch schlimmer.
Die Thränen schluckt' sie weg gewaltsam
Und folgt' dem Spielmann unaufhaltsam;
Und durch der Gassen buntes Wogen
Zog sie mit ihm zum Brückenbogen,
Hinaus zur Stadt, dem Heerweg nach,
Der lang und staubig vor ihr lag,
Und zog mit ihm das Thal entlang,
Bis hinterm Berg die Sonne sank.

Tiefgrüne Waldes-Einsamkeit,
Der Himmel drüber klar und weit
Getaucht in goldne Abendröte,
Und ringsum Nachtigallgeflöte!
Da streckt' sich unter laub'gem Ast
Der junge Fiedelmann zur Rast,
Und rief: "Nun tausend Gott willkommen!
Kein Brautgemach kann schöner frommen,
Trautliebes Weib, für uns zwei beide.
Der luft'ge Wald, die duft'ge Heide
Stimmt zu des Spielmanns Minnen;
Den Fackeltanz beginnen
Leuchtkäfer schon im hellen Chor;
Frisch auf, traut Lieb, wir tanzen vor."
Und lachend, eh' sie's wehren mocht',
Er in die goldnen Locken flocht
Ein Kränzlein zierlich, grün und bunt,
Und auf des Mooses weichem Grund
In lust'ger Hochzeitsweise
Tanzt' er mit ihr im Kreise.
Dem Mägdlein war's wie Fiebertraum,
Und taumelnd hielt sie sich am Baum.
Abwandte sie das Angesicht
Und starrt' hinaus in's Abendlicht,
Das matt in Dämmerblau verglüht'.
Ein Schwindel ging durch ihr Gemüt,
Drin wogten die Gedanken
In Stürmen und in Schwanken.
Ihr klang im Ohr so süß wie nie
Des Spielmanns Morgenmelodie;
Der Töne sel'ges Nah'n und Schwinden,
Ein sehnend Suchen, fröhlich Finden
Von Sängerstimm' und Geigenschall.
Und nun - ist es die Nachtigall,
Die also herzbethörend singt?
Ist's wieder Geige, was da klingt?
Das schwebt so silberrein und lind
Im duftgetränkten Abendwind,
Und wächst und schwillt so voll und klar,
So märchenhaft und wunderbar,
Und weiche Worte mischen
Verstohlen sich dazwischen
Und fluten auf und schmelzen sacht
Dahin in Träumerei und Nacht.

Kein Käfer mehr, der fliegend summt,
Die Nachtigall gemach verstummt,
Die Quellen halten still, zu lauschen,
Der weite Wald vergißt sein Rauschen;
Und aus des Ostens lichtem Thor
Tritt sonnengroß der Mond hervor,
Als wollt' in seinem goldnen Schein
Er Berg und Thal und Flächen weih'n
Zu sel'ger Liebe Vollgenuß;
Und da! - da trifft ein heißer Kuß
Des Mägdleins Wange; Liebeslaut
Schmeichelt im Ohr so süß und traut;
Sie will entfliehn von hinnen;
Doch Nacht wird's vor den Sinnen -
Ein Meer von Qual! - ein Meer von Lust! -
Mund ruht auf Mund und Brust an Brust.

O Wanderlust durch Berg und Thal,
Dich preis' ich laut vieltausend Mal;
Ringsum strömt Gottes Segen
Auf Wegen und auf Stegen;
Da badet sich im Morgenthau
Das Herz und jauchzt hinauf in's Blau,
Als wollt's die Lerchen überfliegen,
Auf Himmelswolken frei sich wiegen
Und, was im Erdenstaub indessen
Hinkreucht und krabbelt, all' vergessen. -

So zog Berg ab, so zog Berg an
Mit seinem Schatz der Fiedelmann;
Er trug sie durch des Waldstroms Fluten,
Und Brombeerranken, Hülsenruten
Bog sorglich er vor ihrem Schritt,
Daß ihr kein Dorn die Sohle schnitt;
Und in den Dörfern an der Linde
Lockt' er zum Tanz die Bauernkinde,
Die gaben ihm als Fiedeldank
Obdach zur Nacht und Speis' und Trank.
So wanderte dahin das Paar
Singvögeln gleich im jungen Jahr,
Von Sä'n und Ernten unbeschwert,
Und doch vom lieben Gott ernährt.
Allüberall, wohin sie zogen,
Wölbten zu schlanken Ehrenbogen
Die Buchen ihre Kronen,
Und Veilchen, Anemonen,
Waldmeister, Maßlieb, Gundelrebe,
Wie bunter Teppiche Gewebe,
Und Moos gleich weichsten Filzen,
Gestickt mit goldnen Pilzen,
Schwoll weit und breit zu ihren Füßen;
Und in der Amsel helles Grüßen
Stimmt' aus dem maiengrünen Laube
Der tiefe Ton der Turteltaube.

Da dacht' das Königsfräulein oft:
,Was einst ich all' vom Glück gehofft,
Nun ward mir's tausendfach gereicht!
Und wenn mein Schatz die Geige streicht,
Und seinem Sang die Leute lauschen,
Möcht' ich mit keiner Fürstin tauschen,
Und nimmer sehn' ich mich zurück.
O Wanderlust! O Liebesglück!
Ich glaub' ein guter Engel lehrte
Den Trotz mich, der den Freiern wehrte;
Er hat's zu Gnad' und Heil gewandt,
Als mich des Vaters Zorn verbannt;
Er hat in treuer Huld und Wacht
Zum sel'gen Weibe mich gemacht.'

Das Paar zog in's Gebirg' hinauf
Und folgt' hinab des Stromes Lauf
Durch Dörfer und durch Flecken
Und kornbebaute Strecken.
Sie zogen hin und zogen her;
Da blaute fern endlos das Meer
Und spiegelte der Sonne Glanz;
Und weit mit Thurm und Zinnenkranz
Dehnt sich die Stadt im Abendstrahle.
Wie Gold erglüht die Cathedrale,
In's Himmelsblau die Thürme schießen,
Und Kuppeln sich an Kuppeln schließen,
Und an Palast reiht sich Palast,
Im Hafen drängt sich Mast an Mast,
Gewalt'ge Essen rauchen
Und Giebelmassen tauchen
Aus Dunst und ros'gem Nebelflor
Schier unabsehbar rings hervor.

Der Spielmann sprach: "Wir sind am Ort;
Tren Lieb, siehst du die Hütte dort,
Die hinter'm Waldsaum sich versteckt?
Die hält fortan mein Glück bedeckt.
Dort wirst du nun mit treuem Walten
An meinem Herd als Hausfrau schalten;
Mit Nähen und mit Spinnen
Hilf du mir Brod gewinnen,
Indeß ich selber mit der Geige
Zur Königsstadt herniedersteige,
Wo vor den Thüren Tag für Tag
Manch Münzlein ich erheischen mag."

Und sie: ,Treu Liebster, sag' mir an,
Wer ist der hochbeglückte Mann,
Der Herrscher über Land und Stadt?
Noch sieht mein Auge sich nicht satt
An all' der prächtig neuen Schau,
Der Fülle rings auf Strom und Au.
Das mag ein reicher König sein.'
Und er: "Sein Name klingt nicht fein,
Der König ist in Stadt und Land
Als König Drosselbart bekannt.
Den Namen gab ihm eine Maid,
Um die der König einst gefreit;
Und hätte sie ihn nicht verschmäht,
Sie säße jetzt in Majestät,
Umringt von Frau'n und Pagentroß,
Auf seinem hehren Marmelschloß
Im Purpurkleid und goldner Krone,
Anstatt am Herd - auf hohem Throne."
Doch schnell! auf seinen Mund ein Schlag
Schuf, daß er nicht zu Ende sprach,
Und hinterdrein ein Kuß - und leicht,
Gleichwie das Reh durch's Dickicht streicht,
Sprang sie auf weinumrankten Wegen
Bergab dem neuen Heim entgegen.

Wohlauf, mein Lied, jetzt bitte dir
Die Nachtigallen im Revier,
Die Lerchen in der grünen Saat,
Den ganzen Sängerchor zu Rat,
Und lade Wichtelmann und Elfen,
Mit lust'ger Weisheit dir zu helfen;
Jetzt gilt's, die Tage zu besingen,
Die uns'rem Liebespaar vergingen,
Fern von der Welt Gebrause
In trauter Waldesklause.
Wie eines sie im andern lebten,
Wie ihre jungen Seelen bebten
Und jubelten ohn' Unterlaß
In aller Wonnen Uebermaß! -
Doch weh! Ein alter Wichtelmann
Tritt streng an meinen Tisch heran
Und spricht: "Poetlein, laßt das bleiben,
Was Ihr nicht kennet, zu beschreiben.
Solch Liebeslebens Offenbarung
Mag nur aus eigenster Erfahrung
Der Sänger singen; doch bedenkt,
Was für Erfahrung Euch gekränkt!
Auf, sputet Euch, und singt die Leiden
Und Not und Ungemach der Beiden.
Das wird für Euch sich besser schicken."
So sei's denn, - laßt uns fürder blicken.

Herbstwinde fegten durch den Wald,
Der Regen troff, der Herd ward kalt.
Der Spielmann sprach: "Kein roter Heller
Fiel heute mehr in meinen Teller,
Und deine zarten Fingerlein
Sind für die Spindel viel zu fein;
Doch für den Winter gilt's zu sorgen.
Frau, darum geh' zu Markte morgen;
Ich glaube, daß Gewinn uns trüge,
Wenn ird'ne Töpfe du und Krüge
Aushökertest im Kleingeschäft.
Und wenn auch da das Glück uns äfft,
Helf' Gott! - ich weiß nicht Rat der Not!
Dann steht es arg um's täglich' Brot."

In das Gewühl des Marktes kam
Das Königskind mit seinem Kram.
Scheu blickt' umher sie in's Gedränge;
Da feilscht' und zankt' und lacht' die Menge;
Da lärmten Bauern, Apfelweiber,
Krautgärtner, Metzger, Eseltreiber;
Nach Käse, Zwiebeln roch's und Fischen;
Beklommen ward das Herz ihr zwischen
Den überlauten Nachbarsfrauen,
Das rohe Scherzen schuf ihr Grauen.
Doch plötzlich ward sie rot und bleich:
Da ging aus ihres Vaters Reich
Ein Ritter durch das Marktgewühl;
Er sah sie an - schon ward ihr schwül,
Die Wangen fühlt' sie brennen,
Sollt' er sie gar erkennen?
Nein, Gott sei Dank! zur andren Seiten
Sah sie ihn arglos weiter schreiten.
Bald drängten zu der Töpferin
In Menge sich die Käufer hin;
Da galt's, die Augen aufzuhalten
Beim Feilschen und beim Pfennigspalten,
Daß nicht, wenn sie zur Rechten sprach,
Man links die Waaren ihr zerbrach,
Und schon am ersten Tag ein Schaden
Treffe den neuen Steingutladen.

Doch hinter ihr, welch ein Geschrei?
Getümmel, Auflauf, Rauferei!
Quer durch des Markts erschreckte Schaar
Sprengt' ein betrunkener Husar
Auf scheuem, wildgebäumtem Roß;
Rechts stob und links der bange Troß,
Die Frauen schrie'n im Zeterton
Auf den benebelten Patron.
Der grüßte lächelnd all' die Schreier
Und sprengt' durch Kohl und Kraut und Eier
Just in das thönerne Geschirr;
Da gab's ein Rasseln, ein Geklirr,
Ein Schmettern, Prasseln, Krachen
Der morschen Siebensachen,
Dazwischen Fluchen, Schimpfen, Keifen,
Der Männer Droh'n, der Buben Pfeifen;
Dem armen Königskinde ward's
Schier vor den Augen grün und schwarz,
Ihr stockt das Wort, - die letzten Scherben
Sah unter'm Roßhuf sie verderben;
Da kam der Marktvogt auch herbei,
Zu spät, nach Art der Polizei.
Denn als zerstampft der letzte Topf,
Erhub der Reitersmann den Kopf,
Als sei, vom eignen Lärm verschüchtert,
Auf einmal wieder er ernüchtert.
Von ferne dräut' des Büttels Zorn,
Da gab er schnell dem Roß den Sporn
Und jagte fort mit Sturmesbraus.
Die Frau starrt' auf den Scherbengraus:
,Der schöne Krug! so hat's gesessen!' -
Ja wohl, du armes Kind! indessen
Gebrochnes Herz, gebrochner Krug,
Da heilt nicht Arzt noch Zauberspruch.
Und schluchzend, weinend bitterlich,
Das Königskind nach Hause schlich.

Doch kam das Schlimmste hinternach;
Denn von des Gatten Lippen brach
Wie Sturm aus blauem Himmelsschoß
Ein plötzlich Ungewitter los.
Er stand in hellem Zorn und schmähte
Das arme Kind mit heft'ger Rede,
Bis mehr und immer mehr entflammt
Sein eh'lich Glück er ganz verdammt:
"Kehr' heim in deines Vaters Haus,
Dann ist mit Eins das Elend aus!
Der schöne Liebestraum mag enden.
Ich brauch' ein Weib mit rüst'gen Händen,
Das nicht bei jeder Arbeit stöhnt;
Doch du, Prinzeßlein, bist gewöhnt,
Den Duft des Lebens nur zu saugen;
Wie kannst du zu dem Bettler taugen?"

Sie fleht' ihn an mit trübem Mut:
,Traut Liebster, sei mir wieder gut;
Bist du mein Hort doch ganz allein!
Verstoß' mich nicht in Not und Pein.
O, könnt' ich nennen dir und sagen,
Wie selig mir's begann zu tagen,
Da mir mit jähem Wunderschlag
Im Herzen auf die Liebe brach.
Ich weiß, ich war ein unhold Kind,
Voll Trotz und launig wie der Wind;
Doch das ist all' zerronnen
Wie Eis am Glanz der Sonnen
Vor deines Sanges Zauberfluß,
Vor deinem Blick, vor deinem Kuß.
Dein bin ich, ach, ich fühle nur
Mich einzig deine Creatur,
Willst du mich nun verderben la'n?'
Das Auge bebt' dem Fiedelmann,
Und wie ein rosig Morgenlicht
Erglüht's in seinem Angesicht;
Doch nieder kämpft' er bald die Regung:
"Uns frommt nur rasche Ueberlegung;
Und bis der Lenz mich ruft zum Singen,
Will ich als Waldknecht mich verdingen;
Du aber, morgen, wenn es tagt,
Verdinge dich im Schloß als Magd."

So kam die hochgeborne Maid
In nied're, schwere Dienstbarkeit;
Die einst auf Seid' und Flaum geruht,
Schürt' unter'm Kessel nun die Glut,
Die einst von güldnen Schüsseln aß,
Saß in der Asche nun und las
Zu Hauf die Speisereste
Der königlichen Gäste.
Und doch, kein Seufzerlein ward laut,
Und wenn in Winternächten traut
Sie auf der harten Blätterschütte
Beim Gatten saß in eigner Hütte,
Und er die Geige nahm und sang,
Dann wob der vielgeliebte Klang,
So zauberstark, so traumhaft weich,
Um sie ein Feyenkönigreich.

Einst an des Königs Ehrentag
Gab's ein gewaltig Festgelag.
Die Gäste zogen her von fern
Zum Gruß des königlichen Herrn,
Da rauscht' es auf den Marmortreppen
Von Goldbrokat und Sammetschleppen
Gebrämt mit Zobelfellen,
Von seidnen Purpurwellen,
Von Stickerei und Schmelzen
Und kostbar seltnen Pelzen.
Trepp' auf, Trepp' ab die Diener flogen,
Und edler Wein in vollen Wogen
Floß aus den Krügen von Kristall.
Der Pauker und Floitirer Schall
Klang bis herab zur Küche;
Da dampften Wohlgerüche
Und schnirrt' und schnarrt' in Topf und Pfannen,
Was Köche Leck'res je ersannen.
Der Meister mit beredtem Mund
That jeden Gast den Mägden kund;
So viel auch ihrer kamen,
Er wußte sie bei Namen,
Der Damen Sippschaft und Bekanntschaft,
Im zehnten Gliede der Verwandtschaft;
Schier klang's, als ständ' er du und du
Mit Herr'n und Königen dazu.
Doch als er ihren Vater nannte, -
In welcher Purpurglut entbrannte
Die Wange da der Königsmaid!
Ihn wiedersehn nach all' der Zeit!
Sei's auch nur ferne; doch vor Lust
Hoch schlug das Herz in ihrer Brust.
Wohl war sie sonder Frieden
Im Zorn von ihm geschieden -
Sie fühlt' es klar, sie liebt' ihn doch.
Und er - dacht an sein Kind er noch?
Ob Kummer ihn und Gram beschlichen?
Ob sein ehrwürdig Haupt erblichen?

Sie eilte durch der Schranzen Chor
Heimlich hinauf zum Säulenthor,
Zu lugen durch der Flügel Spalte.
Da lief der Kellervogt, der alte,
An ihr vorüber: "Frau, geschwind,
Wo alle Leute lustig sind,
Sollt Ihr und Euer Mann nicht fasten;
Der Zauber da hebt Sorgenlasten,
Nehmt diese wack're Flasche
Und bergt sie in der Tasche."
Kaum blieb ihr Zeit zu flücht'gem Dank,
Da lief er durch den Bogengang
Hinein zum Saale. - Welch' Gedränge!
Welch Kerzenfunkeln, welche Klänge!
Wie jauchzten Flöt' und Geigen!
Wie wirbelte der Reigen!
Ob all' des Lichtermeers schier blind,
Lugte das arme Königskind
Am Thürspalt in den bunten Saal;
Da wogt's und schwirrt's und flirrt's zumal,
Und an der Tafel obenan
Saß grambeschwert ein greiser Mann.
Sein Auge schweift' im Kreis der Frauen,
Als müßt' er Eine dort erschauen,
Die ihm die allerliebste wär';
Dann fuhr er auf und seufzte schwer
Und barg die Thräne vor der kalten
Neugier in seines Purpurs Falten.
Die Magd blieb wie gefesselt stehn;
Sie ward nicht satt, ihn anzusehn
Mit wonniglichem Weinen;
Wie milder Sterne Scheinen
Stieg vor ihr auf ein neues Hoffen;
Des Vaters Arme sah sie offen,
Wenn sie zum heimatlichen Herde
Zurück mit ihrem Gatten kehrte.
Wie sollte sich am Glück der Beiden
Des Vaters alternd Auge weiden,
Wie selig Stund' um Stunde
Vergehn dem schönen Bunde!

Doch weh'! - welch' neuer, eis'ger Schrecken!
Ach, möcht' der tiefste Thurm sie decken!
Der König - König Drosselbart
Hat an der Saalthür sie gewahrt!
Er tritt herzu - sie will im Lauf
Entfliehen, doch er hält sie auf:
"Vielschöne Frau, das fordert Tadel,
Wenn so viel Reiz und Huld und Adel
Ihr meinem Fest entziehen wollt;
Demütig fleh' ich, seid mir hold
Und wollt mir Gnad' erzeigen
Zum nächsten Ringelreigen."
Sie wußte nicht, wie ihr geschah!
Wie eine Taube stand sie da,
Die waffenlos verfallen
Des Geiers grimmen Krallen.
Zu schwach für Flucht und Widerstand
Folgt' sie dem König an der Hand.
Des Saales Lichtmeer brach herein;
Ihr schien es Höllenglut zu sein;
Die Herr'n, die Damen sah sie staunen,
Und wispern hört' sie's rings und raunen;
Und da sie gar mit dem Galan
Hinschwebt' auf spiegelglatter Bahn,
War's ihr, als tanz' im Wirbelschritt
Der Säulen ganze Reihe mit;
Die Kuppel schien zu kreisen
In ungeheuren Gleisen,
Der Leuchter sich im Takt zu wiegen,
Und Alles schien zu drehn, zu fliegen
Wie auf des Blocksbergs Hexenball;
Doch da - jählings erdröhnt' ein Knall;
Am Marmor-Estrich schwimmt es naß,
Dazwischen klirrt zertret'nes Glas, -
Schürt denn ein Dämon noch die Pein?
Es ist - o weh! - es ist der Wein;
Die unglücksel'ge Flasche
Zerriß die mürbe Tasche,
Und purpurn strömt aus seiner Haft
In langem Zug der Traubensaft!
Nun aber brach aus allen Kehlen
Lautes Gelächter, Spotten, Schmählen,
Die Pagen selbst und die Lakai'n,
Sie stimmten in's Getümmel ein.
Die Magd, von Schamrot übergossen,
Sucht' nach dem argen Tanzgenossen.
Wo blieb er? Hat er sie dem Spotte
Der übermüt'gen Höflingsrotte
Schutzlos allein dahingegeben?
Die Lippe zuckt, die Glieder beben,
Sie deckt die Hand vor's Angesicht.

"Trautlieb, Trautliebchen, weine nicht;
Ich bin ja da; ich bin dir nah,
Vieltreues Weib, hier bin ich ja, -
Komm her, vergiß in meinem Arm
Das letzte Leid, den letzten Harm!"
Sie schlug die rotgeweinten Lider
Empor und schlug sie wieder nieder;
Ist Alles Wahnsinn hier und Traum?
Der Spielmann steht - sie faßt es kaum -
Im Schwarm der stolzen Gäste
Mitten im Königsfeste.
Ist er's? Ist's König Drosselbart,
Um den der Höflingsschwarm sich schaart?
Sein Kleid? sein Hut - sein Angesicht?
Ist das ihr Gatte; ist er's nicht?
Sie kann es nimmer fassen,
Die Sinne sie verlassen,
In tiefer Ohnmacht sinkt sie hin. -

Die Mär' ist aus; ihr Herr'n, ich bin
In Sorgen, mehr zu sagen
Von all' den Wonnetagen,
Die nun der Königsmaid erblüht;
Denn da's ihr Licht ward im Gemüt,
Da war der junge Fiedelmann
Der König selbst, der sie gewann.
Er wollt' mit klugen Streichen
Den Starrkopf ihr erweichen,
Im Leid wollt' er sie lehren,
Vom Trotze sich zu kehren
Zu demutvollem Sinne
Und ächter Frauenminne.
Doch sei nicht stolz, daß du's erreicht,
Herr König; ach, das Ding war leicht;
Denn weich, wie Wachs der Hand sich giebt,
Ist jeglich Mädchenherz, das liebt.

Was soll ich fürder singen,
Wie fröhlich sich umfingen
Der alte König und sein Kind?
Ich säng' es doch nur in den Wind.
Doch nennt' ich all' die edlen Weine
Von Welschland, von Burgund, vom Rheine,
Von Cypern, Xeres und Tokay
Und den Champagner, den man bei
der Hochzeitsfeier da geschenkt,
So wett' ich, werte Herr'n, ihr denkt:
"Was taugt's uns, das zu lesen?
Ja! wer dabei gewesen!"


  Arthur Fitger . 1840 - 1909






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