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Gedichte, Lyrik, Poesie

Fahrendes Volk
162 Bücher



Arthur Fitger
Fahrendes Volk . 3. Auflage (vermutlich) 1890



Legende

                                                                            Paulus, Diaconus.
                                                                            Hist. Langobard. I. 4.


Fern im germanischen Norden am dumpfaufdonnernden Seestrand,
Den im Winter der Tag meidet, im Sommer die Nacht,
Birgt des gehöhlten Bergs geheimnisvolle Behausung
Sieben Männer. Gefeit ruh'n sie in zaubrischem Schlaf;
Nicht dem rauhen Geschlecht der Wisentjäger vergleichbar,
Noch den Fischern, vom Fett grünlicher Robben gesäugt;
Nein, auf der schimmernden Stirn, der gewölbten, lagert des Südens
Schönheit; Lorbeergezweig scheint ihren Traum zu durchweh'n.
Fremd auch glänzt die Gewandung, die faltige. Hat sie vom Tiber
Gar ein rettender Gott hier in die Wildnis entrückt?
Sollen, wenn rings die Völker, in Wechselmorden verwildert
Und der Würde beraubt, thierisch dem Thier sich gesellt,
Sie, die Erwachten, auf schweigendem Schutt entgötterter Tempel,
Sollen sie zeugen für sein gold'nes, verschollenes Reich?
Sollen sie einst zum Heil berufen des Nordens Barbaren?
Wunder ist es, und kein Sterblicher deutet es aus."
Also las ich die Mär verzeichnet bei Paul, dem Lombarden,
Der mit Jornand und Prokop Nächte des Winters mir kürzt.
Denn kein reiner Behagen, als lauschen dem wandernden Völker-
Sturmwind, wie er daher schnob durch's verpestete Rom.
Hoch aufjauchzt mir das Herz beim Donner der stürzenden Städte,
Bei dem entfesselten Flug saatenverschlingender Glut;
Schleud're, vandalisches Schiff, in die Wogen der brüllenden Syrte
Schleud're lysippisches Erz, Phidias' Marmorgebild!
Gothen, treibt den Senat von Sklaven als Sklaven zur Mühle,
Den aventinischen Berg gebet den Wölfen zurück!
Labung trieft von zerstörender Faust und Segen vom Mordstahl;
Mannheit bringt ihr und Kraft in die versumpfende Welt.
Schlaget nur drein mit dem eisernen Schwert; die Schwerter des Geistes
Harren des künftigen Tags, harren des härteren Kampfs;
Denn wie die Weltgeschichte zu Rettern der leiblichen Kraft euch
Weihte, zu Rettern des Geists weiht sie das Enkelgeschlecht.
Dann ist germanisches Wissen und römisches Dogma der Schlachtruf,
Und - durch den grübelnden Sinn zuckt es mit Blitzesgewalt -
Götter! Und habt ihr nicht schon erweckt die nordischen Schläfer
Des Chronisten, als Rom's Kunst sich zur Dirne verkauft?
Einmal noch aus den Trümmern der Weltstadt hob sich die Göttin,
Ueber dem Vatican stand ihr erhab'nes Gestirn;
Doch dann sank sie hinab in schmutziger Faunen Umarmung
Frechauflachend, für Gold Pfaffen und Höflingen feil.
Ja, da kamen des Nordens Apostel; die Flamme der heil'gen
Schönheit loderte hoch über dem zürnenden Haupt.
Einer erwacht' im märkischen Sand; auf der Haide von Schleswig
Rang der And're vom Bann trauriger Nebel sich los,
Und gen Ostia's Hafen die längstentflohenen Götter
Führte von Island's Strand festlich der Dritte zurück;
In den Wäldern, da Hermann gesiegt, erhub sich der Bildner,
Der gleich herrlichen Siegs Helden in Erz uns bewahrt;
Attika's Säulenordnung in's Leben zu retten vom Schulstaub,
Sendete Brandenburg's Flur ihren olympischen Sohn;
Zwei, vom Niederrhein und der prangenden baltischen Reichsstadt,
Pflanzten ihr farbig Panier trotzig am Pincius auf.
Aus der nordischen Kraft, der frostgehärteten, strömte
Unerschöpflich der Quell südlicher Anmut hervor;
Und den vergessenen Gott wie Donner und hallender Schwertschlag
Kündeten sie, und neu fachten sein Opfer sie an.
Gradaufsteigend gen Himmel erhub sich die Säule des Weihrauchs,
Die, wie lang! um den Thron irdischer Größen gequalmt;
Siehe, da stürzten die Götzen, die hochgepuderten; bleich ward
Ihr geschminktes Gesicht, Staub ihr erlogener Pomp.
Krachend barst ihr Altar; doch über dem wüsten Getrümmer
Schwebte dem Phönix gleich wiedergeboren die Kunst;
Und anbetend erkannte das Volk die Eine, die Wahre,
Die dem vollendeten Geist fügt die vollendete Form.
Heil uns, daß ihr erwacht zur rechten Stunde; doch will uns
Heute verzagen das Herz, weil eure Fackel erlosch,
Weil auf dem drängenden Markt die falschen Priester geschäftig
Ihren Götzen auf's neu' prahlende Tempel erbau'n.
Lasset uns harren; und wenn das Maß der Gräuel erfüllt ist,
Führt der beleidigte Gott neue Propheten hervor;
Ob sie aus Lybien's Wüsten, aus scythischer Steppe sie kommen,
Ob aus des tropischen Walds wucherndem Rankengewirr,
Aber sie kommen gewiß, so gewiß wie dem Winter der Frühling
Folgt, der die starrende Welt wieder zum Leben erlöst.
Horch! Was schwirrt durch die Luft? Vom Nil heimkehren die Schwalben;
Glücklicher Vogelflug, sei mir als Omen gegrüßt!
Horch, wie sie singen: so lang die Welt steht, sollen nicht enden
Saat und Ernte, der Nacht folge der siegende Tag,
Wärme dem Frost und Sommer dem Winter! - O Menschengeschlechter,
Freundlich leitet Natur euch nach dem gleichen Gesetz.


  Arthur Fitger . 1840 - 1909






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