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Gedichte, Lyrik, Poesie

Fahrendes Volk
162 Bücher



Arthur Fitger
Fahrendes Volk . 3. Auflage (vermutlich) 1890



Vertrauliche Zwiesprache

I.

O Herr, laß mich dein Wesen recht ergründen,
Daß ich dich wahrhaft mag dem Volk verkünden.
Das Bild, das uns die Apis-Priester machten,
Kann niemals ohne Lachen ich betrachten,
Das gleicht nicht dir; der höchste Herr der Welt
Wird nicht durch Thiergestalten vorgestellt.
Allein wie fass' ich dich in reiner Wahrheit,
Wie bring' ich meinem Volke dich zur Klarheit?

Mein Sohn, wie du auch ringen magst und streben,
Wirst deinem Gotte stets dein eigen Bildniß geben.
Mich formt der Mensch so, wie er mich bedarf,
Als Crocodil mit Zähnen lang und scharf,
Als Stier mit übermäß'ger Zeugungsmacht,
Als Ofen, der da Kinder fressend lacht,
Als Jüngling, der nach schönen Nymphen blickt,
Als duldend Lämmlein dornenkranzgeschmückt,
Als Fetisch oder Kosmos - jenachdem -
Ich muß mich allemal accommodiren;
Dem Einen so, dem Andern so bequem,
Muß ich mich als Chamäleon variiren.
Stell' dich nur auf die Höhe deiner Zeit
Und pred'ge deine eigne Göttlichkeit.


II.

Mein Sohn, auf's Strengste verbiet' ich dir,
Mich abzubilden als Mensch oder Thier,
Oder gar in Doppelgestaltengraus;
Das drückt mein Wesen entfernt nicht aus.
Annäherungsweise wär' durch ein Zeichen
Aus der Pflanzenwelt mein Bild zu erreichen.
Gedenke z. B. der Schierlingspflanze:
Zahllose Verästung ist das Ganze.
Wie die Wurzelorgane unter dem Boden,
So schießen aus des Stammes Knoten
Ein Dutzend Zweige nach allen Seiten;
Und wie die sich wachsend verbreiten,
Bald wieder neue Knoten schießen,
Draus abermalen die Aeste sprießen;
So geht das ohne Rast und Weil'
Bis in der Blütendolde Detail.
Was irgend dem Stamme nur entsprang,
Muß wieder sich als Basis geben
Für neue Verzweigung. So geht das Leben
In Ursach und Wirkung den ewigen Gang
Und zweiget in's Unendliche sich;
Und das ist die Welt, und die Welt bin ich.


III.

Herr, sieh auf deines Volkes Not!
Egypten tritt uns in den Kot,
Und Jakobs heiliges Geschlecht
Ward dieser Pharaonen Knecht.
Herr, Herr, erlöse uns von diesem Leid,
Herr, Herr, ich schreie nach Gerechtigkeit!

Gerechtigkeit? Wollt ihr zu Sklaven euch bequemen,
Ist's Recht, daß sie euch auch für Sklaven nehmen;
Wenn ihr was Bess'res seid, so macht euch frei,
Anstatt zu klagen über Tyrannei.
Gerechtigkeit? Ich kann in meiner Welt
Den Starken nicht zum Raub dem Schwachen geben.
Durch Sonn' und Stern am Himmelszelt,
Wie durch der Infusoren Leben
Geht unerbittlich dieses Wort:
Der Stärkste wird die größte Wirkung machen,
Vergebens sträuben sich die Schwachen,
Der Starke zwingt sie mit sich fort.
Ihr dient, ihr herrscht nach ewigen Gesetzen,
Denn auch die Ethik schließt der Kosmos ein;
Den aber will und kann ich nicht verletzen,
Und Alles, was da ist, das muß so sein.


IV.

O Herr, ich habe mißgethan,
Herr Gott, sieh meine Schuld nicht an,
Erhöre du mein heißes Flehn,
Mach' meine Sünden ungeschehn!

Unmögliches, mein Sohn, ist dein Verlangen;
Wenn du schon längst zu Staub vergangen,
Wirkt bis in Ewigkeiten deine That
Als künft'ger Thaten tausendfache Saat,
Nach allen Seiten Keim und Sprossen treibend;
Was einmal war, das ist auch ewig bleibend;
An deiner Schuld trägt Kind und Kindeskind
So lange, bis die Welt in Nichts zerrinnt.
Drum soll, hast du gesündigt wider ihn,
Der Mensch dich streng zur Strafe ziehn.
Allein, mein Sohn, vor meinem Angesicht
Verwerf' ich darum dich noch nicht;
Denn alle Schuld fällt doch zuletzt auf mich.
Ich schuf die Welt, und diese Welt schuf dich;
Was dich zur Tugend, zum Verbrechen leitet,
Ist seit Aeonen vorbereitet.


V.

Herr, löse mir, ich bitte dich, die Frage:
Schufst du das Opus jener sieben Tage,
Die Welt, zu irgend 'nem bestimmten Zweck?

Mein Sohn, die Frage scheint mir äußerst keck.

Und wenn sie endlich nun am Ziele hält,
Wird in die Rumpelkammer sie gestellt?
Doch hat sie keinen Zweck und existirt
So in den Tag hinein, dann fürcht' ich, wird
Die Sache für die Dauer völlig müssig,
Zwecklose Existenz ist überflüssig.
Wird sonder Ziel sie rastlos hasten?
Wird einst am Ziel sie zwecklos rasten?

Mein Sohn, zermartre nicht den Schädel dir.
Ist nicht das bloße Dasein schon Plaisir?


  Arthur Fitger . 1840 - 1909






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