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Gedichte, Lyrik, Poesie

Requiem aeternam dona ei
162 Bücher



Arthur Fitger
Requiem aeternam dona ei . 1. Auflage 1894



An die Vernunft

Vernunft, du Göttin aller vernünftigen,
Achtbaren Leute, wie preis' ich genug
Dein heilsames Walten; wer stellt dich würdig
Im Bilde dar?
Sinnend grübl' ich; siehe, da naht des Dorfs
Stattlicher Büttel mit Säbelgerassel,
Auf Strolche fahndend und bissige Köter
Zu lebenslänglicher Kette verdonnernd,
Licht und Feuer bewachend
Und ringsum nach dem Rechten sehend,
Allverehrt und geliebt.
O vortrefflicher Mann, wie wär' es im Dorf
Auszuhalten, wenn du und dein ruhegebietender Schnurrbart
Nicht behüteten das Gesetz?
Doch wenn heimliche Gährung mit Macht
Ausbrechend emporschäumt, wenn Sturmglocken
Hüben rufen und drüben, und Axt und Sense
Blutig triefen in der Faust des ergrimmten,
Zornschnaubenden Volks,
Dann, o vernünftiger Hüter vernünft'ger Gesetze,
Mache beizeiten dich fort, verbirg
Unter dem Kehricht deiner Uniform roten Kragen
Und rasire den Schnauzbart;
Lass der tobenden Menge den Willen,
Wenn sie dich nicht zerreissen, dich nicht
Aufknüpfen soll an der eignen Laterne.
Warte, bis ruhigere Zeiten kommen,
Und du wieder auf Strolche fahnden
Und Licht und Feuer bewachen kannst,
Allverehrt und geliebt.
O du Vernunft in meinem vernünftigen Haupte,
Die Leidenschaften des Herzens rebelliren empor,
Mit bluttriefenden Fäusten schlagen sie um sich
Und heulen mit Donnergebrüll nach Freiheit.
Mach, dass du fortkommst, rette dich, flieh,
Flieh meinetwegen bis zu den Antipoden
Und danke Gott, wenn nach Jahr und Tag
Heimkehrend du mehr noch findest vom alten Nest
Und der Stätte früherer uniformirter Herrlichkeit,
Als ein paar rauchende Trümmer, zerstampfte Saat
Und wehende Asche.


  Arthur Fitger . 1840 - 1909






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