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Arthur Fitger
Requiem
aeternam dona ei . 1. Auflage 1894
Die Geige
Ein altes Märlein giebt's zu lesen:
Es ist mal eine Geige gewesen
Von edelster Stradivari-Art,
So stark wie zart;
Auch hat ein guter Stern sie bewahrt,
Marktschreierisch in Virtuosenhänden
Mit schnöden Kunststücken sich zu schänden.
Im Gegentheil: die Fürstin der Geigen
War stets nur Fürsten der Kunst zu eigen:
Bei ihr dämonische Lebenskraft,
Bei ihnen gestaltende Meisterschaft;
Noch mehr, die Meisterschaft an und für sich,
Die geläufigen Finger, der kräftige Strich,
Die ganze hohe Schule der Kunst
Und all' der blaue technische Dunst
Gewannen noch längst nicht ihre Gunst;
Es war als ob ihre klingende Seele
Wie ein liebendes Herz den Geliebten wähle -
Nicht wähle - nein, als riss' es sie
Mit unaussprechlicher Sympathie
- Gleichviel ob himmel-, ob höllenwärts -
An das eine, das liebe, vergötterte Herz.
Da fühlte sie ihr geheimstes Leben
Vom leisesten Fingerdruck erbeben,
Da jubelte sie und schluchzte und klagte,
Da triumphirte sie und verzagte;
Nun wildester Lebensbrandungsschaum,
Nun lächelnder, lallender Kindertraum,
Nun Sterbeseufzer, nun Siegesgesang,
Doch Fülle und Schönheit in jedem Klang.
Die edlen Geigen werden alt
Wie die Schwerter des Roland und Rainald,
Die, ob auch Helden nach Helden sterben,
Sich durch die Jahrhunderte weiter erben.
So sehn auch die Geigen mit stillem Leid,
Wie die Meister versiechen mit der Zeit
Und ihnen statt Feuer und Flammenflocken
Nur Floskeln und Aschenregen entlocken
Und im Philisterium untergehn.
Das hatt' auch die Stradivari gesehn,
Und sie kündigte, beiden Partei'n zum Gewinnst,
Ihrem alten Herrn und Meister den Dienst:
"Uebereinkunft in Güt' und Freundschaft und Frieden;
Von Tisch und Bett hinfort geschieden."
Nun hing sie vergnügt in des Trödlers Laden,
Zwischen altem Gerumpel voll Wurmfrass und Schaden,
Entronnen der stürmischen Lebensfluth.
Die tiefe Stille that ihr gut;
Sie fühlte, wie sanft sich's auf Lorbeern ruht.
Da stöbert einmal in dem staubigen Tand
Zufällig herum ein blühender Fant,
Wie Veilchen sein Aug', seine Locke wie Gold,
Die holdesten Grazien waren ihm hold.
Und als er mit flüchtigem Finger sie rührt,
Da hat sie's im innersten Leben gespürt,
Und unter den prüfenden Griffen erklang
Ein ahnungseliger Lerchengesang,
Und als er mit Macht ansetzte den Bogen,
Da quoll und strömt' in melodischen Wogen
Ein tausendstimmiger Frühling empor;
Verschwendrisch, unfassbar dem irdischen Ohr.
Dem jungen Burschen gefiel die Musik,
Das klang ganz anders als das Gequiek
Seiner früheren Fiedeln. Nie fiel ihm bei
Bis dato, dass er ein Meister sei.
Ein grosser Meister, und ohne Besinnen
Kauft er für ein Butterbrod und ein Ei
Die Perle der Ladenhüterinnen.
Und nun, o Götter, o selige Mächte!
Was kamen für Tage, was kamen für Nächte!
Der alten Geige wie einem Ding
Von Backfisch der Himmel voll Geigen hing.
Das ganze irdische Jammerthal
War Rosen und Liebe und Nachtigall.
Der Meister freilich (das merkte sie
Gar bald) war just kein Musikgenie;
Sein Strich war hart, sein Finger schwer,
Und schmerzlich oft ging der Ton beiher.
Doch immer hoffte sie: Meine Seele,
Was ihm an Adel der Kunst auch fehle,
Sie wird es ersetzen mit Liebeskraft,
Bis er ausreift zur Meisterschaft;
Sein Genius wird erwachen und dann
Erkennt er, was er an mir gewann.
Doch alle Liebe und Anbetung
Hofft immer vergebens auf Besserung.
Des Meisters Genius schlief und schlief,
Sogar sein Geschmack blieb peinlich naiv,
Und die Stradivari, die früher nur
Beethoven gekannt und Mozart und Haydn,
Die musste jetzt Polkamazurka-Tortur
Und Donna Teresa und Fledermaus leiden
Und Potpourris aus dem Troubadour.
Die Rosen- und Nachtigallentage
Gerieten so nach und nach in Frage;
Und dennoch, bitt'rer als eigner Schmerz
War der Einblick ach! in des Meisters Herz.
Wie arm, wie fade, wie trivial!
Ihr Götter! Und dennoch mein Ideal!
Nie aber grollte sie; fidelt' mit Schund
Und Strund er ihre Nerven zu Grund,
Und martert' er sie, bis ihr ganzes Gebäu
Ein einziges gellendes Todesgeschrei,
Sie grollte nimmer. Genug! Genug!
Verhüllt sei ihr Loos mit dem dunkelsten Tuch,
Verhüllt und verschwiegen; es giebt eine Pein,
Die würde geschildert gar fratzenhaft sein.
Und dennoch zum Schlimmen das Schlimmere kam:
Der Meister ein Pianino nahm.
Sechs riesige Träger mussten es schleppen
Schweisstriefend über die ächzenden Treppen.
Im Zimmer wurde der Ehrenplatz
Dem klappernden Polisanderkasten,
Und der Meister wich nicht mehr von den Tasten.
O hüte dich, zartbesaiteter Schatz,
Vor Eifersuchtsteufeln und Furienhatz!
Der Freund, er spielte zum hundertsten Mal
Säkkinger-Trompeter-Spülwasserfall.
Verhülle stoisch dein Haupt und schweige,
Unglückliche Stradivari-Geige!
Wie lange das Folterleben gewährt?
Nicht hab' ich die näheren Daten gehört.
Es waren nicht Wochen, nicht Monde, es waren
Lang hingezogene Gespinnste von Jahren;
Denn nicht nur die Liebe war übergross,
Auch ihre Treue war grenzenlos.
Jedoch ein jegliches Ding hat ein End'.
Einst fand der Meister sein Instrument
Von unerklärlichen inn'ren Gewalten
Von oben bis unten durchgespalten.
Ja, ja mein Freund, nun ist es gescheh'n,
Nun magst du die Splitter in Fingern dreh'n:
"So hat es gesessen, so war es gefügt,
So hat sich der Hals an die Wölbung geschmiegt."
Sorgfältig sammelst du Stücke zu Stücken,
Vielleicht lässt sich's leimen, vielleicht lässt sich's flicken.
Mit Flicken und Leimen wird nichts geschafft,
Durch's innerste Wesen die Wunde klafft.
Die arme Geige! Sieh, fast wie ein Herz,
Das langsam gebrochen in schweigendem Schmerz.
Du hast sie, dieweilen du dich zufrieden
Berauscht in des Trompeters Plattitüden,
Wohl gar in der Regennacht auf dem nassen
Gesimse des Fensters liegen lassen
Oder hart an den glühenden Ofen gehängt;
Genug, das feine Gefüg' ist gesprengt,
Und die arme Geige ist mausetot.
Was weinst du dir denn die Aeuglein roth
Und hängst die Lippe, mein armer Freund?
Du hast es wahrlich nicht böse gemeint;
Du hieltest Geigennerven für dick
Wie deine oder wie Ankerstrick.
Nun hat sie zum Schaden auch noch den Spott;
"Die erste Liebe macht dich zum Gott,
Die zweite zum Narren" sagt der Poet;
Sie sah es wohl ein; doch es war zu spät.
Arthur
Fitger . 1840 - 1909
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