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Arthur Fitger
Requiem
aeternam dona ei . 1. Auflage 1894
Taciturnus
Siehst du den schwarzen, stillen Mann
Im Volksgewühl strassab, strassan?
Ihm steht die Höll' auf dem Gesicht;
Allein die Menge achtet's nicht,
Sie drängt und feilscht mit Faust und Schnauz,
Wen kümmert solch' absurder Kauz?
Er kommt allein, er geht allein,
Bei keinem Gastfreund kehrt er ein
Zu off´nem Tisch mit Trank und Speis,
Zu weichem Pfühl nach Müh' und Schweiss,
Zu holdem Wort, zu Trost und Rath -
Ihm ward zur Wüstenei die Stadt.
Der Bettler pocht in seiner Noth
An's Armenhaus und holt sein Brod,
Der Kranke schleppt Gebrest und Qual
Zu Arzt und Pfleg' in's Hospital
Der Sünder beichtet seine Schuld,
Da überströmt ihn Gnad' und Huld,
Und der Verklagte - vor dem Sitz
Des Richters findet er Justiz.
Ja, wenn ihn seine Missethat,
Verdammt zu Rabenstein und Rad,
Der Henker bittet um Pardon
Auf seiner Galgenprocession
Und bietet tröstlich ihm in Schand
Und Todesangst die Bruderhand.
O, wer ermisst, wie gross der Schatz
Des Mitgefühls an solchem Platz,
Wo sich der Pöbel kreuzt so sehr:
"Gott Lob, dass ich nicht bin wie der!"
Der arme Schweiger drückt sich scheu
An Frohnfest' und Spital vorbei;
Fast neidet er den grausen Ort;
Er hastet hier, er eilt sich dort,
Es treibt ihn fort in sein Verliess,
In Einsamkeit und Finsterniss.
Da kniet er auf dem kalten Grund
Die lange Nacht die Knie sich wund
Und ringt die Händ', und stöhnt und zagt,
Sein Auge strömt, sein Athem jagt.
Warum, verschwieg'ner Mann, warum
Bleibt immer noch die Lippe stumm?
Hier kannst du ja gen Himmel schrei'n,
Entfesselt, laut, zu Gott allein
Und klagen, was dein Herz verzehrt,
Und sagen, was dein Hirn zerstört.
"Zu Gott? Mein Gott ist viel zu gross;
Was kümmert ihn ein Menschenloos?"
Arthur
Fitger . 1840 - 1909
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