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Arthur Fitger
Requiem
aeternam dona ei . 1. Auflage 1894
Vor der Karthause
Wanderer.
Ehrwürdiger Vater, Friede sei mit dir!
Ein müder Wand'rer läutet an der Thür,
Des Lebens und der Lüge satt; er wirbt
Um einen Winkel, da man schweigend stirbt.
Wer einmal über diese Schwelle schritt,
Wem deine Scheere hier die Locken schnitt,
Der braucht die Lippen nimmer aufzuthun,
Und seine Zunge darf in Frieden ruh'n.
Nur Eines ist zu wissen noch mir Noth:
Ringt einst die arme Seele mit dem Tod,
Und reisst geschwätzige Fieberfaselei
Die Zung aus ihren Eisenbanden frei,
Dass sie in Tollheit jeden Vorhang hebt,
Vor dessen Rauschen schon wir sonst gebebt,
Dass sie in Wahnsinn alle Pforten sprengt,
Davor wir sieben Schlösser sonst gehängt,
Dass sie, was tief das Herz in Nacht verbarg,
Was sich beinah schon rettet' in den Sarg,
Wie eine Schar Spottvögel guterletzt
Mit blödem Lallen noch in Freiheit setzt,
Und jedem rohen Pöbelblick verräth,
Was sonst das schärfste Auge nicht erspäht, -
Wenn jene Stunde kommt, vor der mir graut
Wie nimmer vor Gerichtsposaunenlaut,
Flieh'n dann mit hastigem Schritt die Brüder nicht
Vorbei der Zelle, d'rin der Wahnsinn spricht?
Und weicht nicht auch der Beichtiger alsdann
Von hinnen vor dem sinnverwirrten Mann?
Reisst nicht der Krankenpfleger selbst sich los,
Und drückt das Pförtchen hinter sich in's Schloss,
Und lässt den Sterbenden mit sich allein,
Dass taube Wände nur ihm Zeuge sein,
Und sein Geheimniss schweige jedem Ohr?
Pförtner (das Haupt neigend).
Memento mori.
Wanderer.
Wohl! Thu' auf das Thor.
Arthur
Fitger . 1840 - 1909
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