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Schauen und Sinnen
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Hanns von Gumppenberg
Schauen und Sinnen . 1. Auflage 1913



Maienspuk

Als die roten Kastanienblüten fielen
Mit dem feurigen Gold in ihren Kelchen
Vor dem neuen, blitzeblanken Schulhaus,
Standen wir gereiht zum Maienauszug,
Buben, Mädels, nach dem gleichen Alter
Schar und Schar geschwisterlich gepaart.
Meiner Klasse Fahnenträger war ich;
Und in schwarzen Locken, leichten Ganges,
Kam zu mir mit ihrer Schwesterfahne
Eine Schlanke, die ich noch nicht kannte,
Sagte nichts, und nickte nur, das hieß:
"Guten Morgen, Bruder Weggenosse!"
Und ich nickte wieder, stumm wie sie:
Denn ich staunte, wie sie wunderherrlich
In dem weißen Putz, der blauen Schärpe,
Mit dem schmalen, stolzgebauten Nacken,
Mit dem zartbehauchten leuchtenden Antlitz
Und den sanften, zierlichen Elfenarmen -
Und ich schaut' ihr in die schimmerdunklen
Augen, und sie blickte froh entgegen,
Lächelte, und zog an ihrem Handschuh ..
Ueber uns aus sonnentrunknem Junggrün
Sank der Purpur und das Gold der Blüten,
Unsre Fahnen flatterten: und ich liebte
Meine zauberschöne Maienbraut!
Immer, wenn die roten Blüten fallen
Mit dem feurigen Gold in ihren Kelchen
Vor dem alten, grauverwitterten Schulhaus,
Bleib' ich stehn, als hätt' mich wer gegrüßt.
Leis dann rauscht es wieder wie von Fahnen -
Und ich spüre mit geschloßnen Lidern,
Daß sie wieder sich zu mir gefunden,
Erste Liebe mit den schimmernden Augen,
Allererste mit den duftenden Locken..
Und ich fühl' mich wieder schülerselig,
Trag' ich längst auch keine Fahne mehr.


  Hanns von Gumppenberg . 1866 - 1928






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