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Karl Ernst Knodt
Lösungen
und Erlösungen . 1. Auflage 1916
Eine Michelangelo-Ehrung in sechs Gesängen
I.
An Michelangelo's Hände
In Deinen Händen ward der Stein so stolz,
als wüßt' er, daß er sei von Gottes Gnaden.
In Deinen Händen formte sich das Holz,
als sei's gewachsen all zu Bundesladen.
Du warst ein Meister jeglicher Gestalt.
Den Farben liehen Deine Hände Leben.
Und über Päpste hattest Du Gewalt.
Nur Einem wußtest du nicht Form zu geben:
Dir selber, Deiner eigensten Natur.
Sie war so stark und wieder so gebrochen,
daß du dich fühltest als die Kreatur,
in die der Schlange Biß zutiefst gestochen.
Und brannte Dich der Biß, dann warst Du klein,
dann ließest Du Dich formen von dem Hammer
Deß, Den noch Keiner sah. Du knietest ganz allein,
ein Büßender, in Deiner stillen Kammer
und schriest aus tiefer Not zu Deinem Gott:
Er möge Dich, den härt'sten Stein, zerschlagen
und Dich aus aller, aller Menschennot
in Seines hohen Hauses Freiheit tragen!
II.
Wenn Er den Mann erschuf, so löste Er die letzte
der Hüllen von dem stummen Steine nicht.
Er fürchtete, es möcht zu tiefer Schatten
sich legen auf sein eigen Angesicht.
Und wenn Er schuf das Weib, so legte Er das letzte,
das liebste Lächeln auf die Lippe nicht.
Er mochte ihre ganze Schönheit nicht entschleiern,
daß nicht die Sehnsucht leide in dem Licht.
III.
Vor Michelangelo's Statuen
Wenn ich vor deinen Statuen stehe
und spüre meine innre Pein
und all der Menschheit waches Wehe,
dann ruf ich wohl: Was weißt du, Stein,
von uns? von mir! ... Und doch! wenn wieder
aufatmend ich die Augen seh
von Deinem Moses, und die Glieder
von Tag und Nacht, das Fieberweh
in ihrem unberuhigten Leibe,
dann weiß ich: Wer so Wahres schuf,
wie Du in diesem Mann und Weibe,
ward selbst ein ewiger Lebensruf.
IV.
Michelangelo's "Pieta"
Gott rief zu Ihm: "Wer steckt im Stein?"
Die Antwort kam: Wer wird es sein,
denn Du allein?
Und wieder rief's: "Komm her zu mir!"
Die Antwort kam: Kann nicht zu Dir;
tritt Selbst herfür!
Und neu rief Gott: "Hau mich heraus.
Dein Herz ist mir das liebste Haus."
... So wuchs die Pieta daraus ...
V.
Michelangelo's "Tag"
"Unvollendet" gehn wir alle.
Alle stehn wir seit dem Falle
Adams bis auf diese Stunde
Blutend da - an Einer Wunde.
Schau' auf jenen großen Meister,
dessen Kunst die größten Geister
in die Leiber rief, um Leben,
ewiges, ihnen hier zu geben.
Wohl! Sein "Tag" mög' Dir erweisen,
wie Die selig schon zu preisen,
die, wie Dieser, unvollendet,
doch vollkommen, hier geendet.
VI.
Skulptur ist eine heftige, aber schämige Kunst.
Glüht auch im Innern stärksten Feuers Brunst:
nach außen wirkt sie ganz in Ruh.
.... Lern das vom größten Meister, Du!
Karl
Ernst Knodt . 1856 - 1917
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