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Karl Ernst Knodt
Neue
Gedichte . 1. Auflage 1902
Mein Damaskusweg
Das Herz vergass der grossen Sterne,
Des Wegs zurück ins Heimatland.
Ich lief durch nebelgraue Ferne,
Verlassen von des Vaters Hand.
Es kamen Zeiten, wo mir irrte
Die Seele in dem tiefsten Thal.
Nicht sah ich, wie die Lerche schwirrte
Zum ersten goldnen Frühlingsstrahl.
Ich sah nicht mehr des Himmels Bläue,
Ich sah nicht mehr der Erde Grün;
Ich glaubte keines Weibes Treue
Und liess das Glück am Weg verblühn.
Der Leiden vielverschlungene Pfade,
Den Weg des Kreuzes musst ich gehn,
Bis dass ich lernte Gottes Gnade
Und meines Heilands Huld verstehn.
Ein krankes Kind, ein müder Wandrer,
So schlief ich einst am Abgrund ein:
Da weckte mich ein schönster Schein:
Ein wundervolles Wetterleuchten
Ging über meinen Blick den feuchten.
Die Liebe wars. Sie musst es sein,
Denn ich erwachte als ein Andrer.
Des Vaters Liebe kam gegangen,
Die sah ihr Kind am Abgrund hangen.
Nicht sah ich Jemand ... Doch ich fühlte
Die Wohlthat einer milden Hand,
Die mir die heisse Stirne kühlte,
Der Herzensreue Fieberbrand.
Und wie der Blick aus einem guten,
Aus einer Mutter Angesicht,
So traf mich aus den irren Gluten
Ein göttliches Genesungslicht. -
... In diesem Licht seh ich nun wieder
Die Lichter all vom Vaterhaus.
Erinnrung flicht der Heimatlieder,
Der vollerblühten, Rosenstrauss.
Ich schau die Tempel und Altäre
Der aufgetauchten Gotteswelt.
Nichts fühl ich mehr von Erdenschwere:
Der Seele Flügel sind geschwellt
Von Sehnsucht und von Heimverlangen,
- Und einmal kommt ein Tag gegangen,
Da dringt sie aus der Welt zum Wesen,
Um ganz im Lichte zu genesen.
Karl
Ernst Knodt . 1856 - 1917
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