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Karl Ernst Knodt
Neue
Gedichte . 1. Auflage 1902
Elias auf Horeb
Nicht im Sturm und wilden Winde
Auch im Blitz und Donner nicht
Naht Gott Vater seinem Kinde:
Liebe ist das Endgericht!
Nach der Nacht voll dunkler Sorgen
Tritt Elias in den Morgen
Auf des Horebberges Grat,-
Spähend, ob sein Gott sich naht,
Gott, der sich so lang versteckt,
Den kein Ruf nach Rache weckt.
,Unter allen, die dich lieben,
Bin allein ich überblieben,
Die Altäre rings zerbrochen,
Deine Diener ungerochen,
Deren Blut zum Himmel schreit -:
Gott des Rechts, wie bist du weit!'
Und Elias ringt um Rache:
,Das Gericht den Sturm entfache!
Gott, mein Gott, ich rufe dich -:
's ist genug! So nimm auch mich!'
Und ins Dunkel seiner Höhle
Trägt er die verzagte Seele:
,s' ist genug! Herr nimm mich nun!
Nicht versteh ich mehr dein Thun!'
Da erneut der Morgenstern
Seinen Ruf: ,Tritt vor den Herrn,
Der dir will vorübergehn,
Dass du magst sein Thun verstehn.'
Wie Elias tritt nach Aussen,
Hört er eines Sturms Erbrausen,
Dass der stärkste Fels zerbricht,
- Doch im Sturme war Gott nicht.
Nach dem Sturm erging ein Beben
Durch die Erde. Berge heben
Sich noch höher in die Luft
- Doch der Herr ists nicht, der ruft!
Gleicherzeit entfährt der Wolke
Eines Blitzes Strahl .. "Dem Volke
Widerfährt nun das Gericht", -
Im Triumph Elias spricht.
Doch auch in dem Feuerschein
Sieht sich der Prophet allein!
Schon verzagt an Gottes Walten
Der ergrimmte Geist. Nicht falten
Mag Elias mehr die Hände;
All sein Glauben ist zu Ende ...
Da enthüllt sich ihm der Wille
Gottes ... Eine grosse Stille
Lagert sich wie Majestät
Auf den Bergen. Leise geht
Gottes Liebe durch die Welt.
... Des Propheten Blick sich hellt,
Und - dass ihn der Blick nicht blende,
Schliesst die Augen er und Hände:
"Herr, ich fühls! Die Welten neigen
Still sich dir .. Auch ich will schweigen.'
Karl
Ernst Knodt . 1856 - 1917
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