Vermächtnis

Ihr vielen Seelen: Ihr fühltet wohl niemals,
Welches die Seele der tiefsten Gesänge,
Welches auch meiner Lieder Leben
Und mein liebes Leiden gewesen?
...Nun, so sei's als Vermächtnis gesagt:
Sehnsucht ist die Seele des Sanges!

... Ihr aber hattet ein menschlicher Herz:
Dunkle Nacht, und du, schweigender Wald!
Drum zu euch beiden floh ich in allen
Stunden, wo die Seele die schweren
Schwingen der schwarzen Schwermut entfalten
Und sich erlösen mußte im Lied.

Ständig standen die urwaldtiefen
Augen eurer Liebe mir offen,
Und meine Liederseelen fanden
Wahlverwandte Seelen in euch.

Oh! wer euch als Heimat empfunden,
Dich, du Wald, mit dem schweigen des Tages,
Sterne euch, mit den Stimmen der Nacht:
Der steht fest auf den Höhen des Lebens,
Und steigt nur von den steilen herab,
Wenn an einer gestimmten Stelle
Dieses lauten, lärmenden Lebens
Irgend ein Herz des Gesanges harrt,
Daß durch Lieder sich löse sein Leid.

Jenseitig ist das Leben des Dichters,
Und wenn seine singende Seele
Einst vom Leibe des Todes genesen,
Steigt sie, ein Adler, frei in die Sterne;
Lied und Liebe ziehen ihr nach.


  Karl Ernst Knodt . 1856 - 1917

Expressionisten
Dichter abc