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Gedichte, Lyrik, Poesie

Schlußsteine
162 Bücher



Hermann von Lingg
Schlußsteine . 1. Auflage 1878



Abendstern-Ghaselen

1.

Von dem Flammenmeer umgeben,
Das die Abendgluthen weben,
Stern der Liebe, scheinst du doch!
Wie so mild und sanft daneben
Und wie siegreich scheinst du doch!
Wolken seh' ich sich erheben,
Durch die dunkeln scheinst du doch!
Auch in mein umnachtet Leben
Immer wieder scheinst du doch;
Aber insgeheim zu beben,
Sterne der Liebe, scheinst du doch!


2.

Erster Stern, der Nacht entblühend,
Stern der Liebe, zittre nicht!
Ihre Schleier, goldig sprühend
Und in die sie Rosen flicht,
Hält die Dämm'rung hoch erglühend
Vor dein schönes Angesicht,
Dich zu bergen sich bemühend,
Weil zu zittern scheint dein Licht.


3.

Gesundes Leben kann erkranken über Nacht,
Ein Fels, auf den wir bau'n, kann wanken über Nacht,
Es kommen, wenn wir fest entschlossen scheinen,
Uns oft ganz andere Gedanken über Nacht,
Wer heute lacht, kann morgen müssen weinen;
Die größten Reiche schon versanken über Nacht,
Nichts übrig lassend als ein Mal in Steinen.


4.

Vom Himmel fallen die Gedanken nicht,
Sie duften aus der Blume Ranken nicht,
Sie quellen auch nicht aus dem Purpurwein
Und aus den Zeiten, die versanken, nicht;
Man schöpft sie aus den Büchern nicht allein,
Erringen mußt du sie und wanken nicht,
Und kühn im Leben, stark im Lieben sein.


5.

Der Aar wird nur vom Sonneflügen trunken,
Doch singt, von seligem Genügen trunken,
Die Nachtigall aus tiefer Brust,
Sie singt und schlürft in vollen Zügen, trunken
Vom Kelch der Liebe, nicht bewußt,
Daß deine Flammen, Rose, trügen; trunken
Von Schmerzen singt sie süße Lust.


6.

Sitzt ein Vöglein unter meinem Dach, es singt,
Wenn ich Morgens noch so früh erwach', es singt,
Und am Abend, wenn die Blumen alle
Sich zum Schlummer legten müd am Bach, es singt,
Wenn es still wird, glaub ich's noch zu hören,
Weil mein Leid und all mein Ach es singt.


7.

Dir scheint die Rose frisch und roth zu sein,
Mir aber scheint in ihrer Brust der Tod zu sein,
Weil sie der Wurm in ihrem Grund umschleicht;
Was diesem Gift, scheint jenem Brot zu sein,
Der Schmetterling, der um die Flamme streicht,
Glaubt nicht von ihrer Gluth bedroht zu sein.
Wie seltsam oft sich Gut und Böses gleicht,
Es scheint auch dies ein göttliches Gebot zu sein.


8.

Was Unglück scheint, ist oft ein Heil.
Du glaubst zu hassen - und du liebst.
Du glaubst dich frei - im Gegentheil,
Du bist gebannt! Auf andre schiebst
Du gern die Schuld zum größten Theil,
Statt daß du sie, wie billig, gibst
Nur deiner eignen Langeweil.
Du krankst oft mehr an Amors Pfeil,
Als der, dem du Arznei verschriebst.
Was du bestaunt, ist oft so feil,
Daß du's erzürnt in Trümmer hiebst,
Wenn dein wär' Jovis Donnerkeil.


9.

Holder trauter Stern im Schoß der Welle,
Wenn dein licht sich zeigt im Schoß der Welle,
Tauchen glänzend, wie zum Festempfang,
Tausend Flammen auf im Schoß der Welle,
Und es breitet sich die Fluth entlang
Wie ein goldner Weg im Schoß der Welle;
Aber weder Hand, noch Netz zum Fang
Hascht dich jemals auf im Schoß der Welle;
Ewig fern bleibt uns dein lichter Gang,
Wie am Himmel, auch im Schoß der Welle.


10.

Darf ich in der Dämmerstunde
Sie noch heimbegleiten hie und da,
Worte blühn ihr dann vom Munde
Liebreich, wie vor Zeiten hie und da,
Und beleben welche Wunde,
Ach und welche Saiten hie und da!
Denn mir scheint ihr Herz im Grunde
Mit sich selbst zu streiten, hie und da,
Heimlich doch mit mir im Bunde.


11.

Selten sehn, o Glück, in deinem Reich
Selten zwei begünstigt sich zugleich,
Selten, daß gleich hoch zwei Adler fliegen,
Selten zeigt das Schicksal sich so weich,
Daß es hier nicht stürzt, läßt dort es siegen,
Selten gibt es gütlichen Vergleich,
Wenn die Kriege sind im Preis gestiegen;
Während in dem Schiffbruch todtenbleich
Sich Verzweifelte zusammenschmiegen,
Lachst du über einen dummen Streich;
Während sie dem Hungertod erliegen,
Würzt dein Mahl ein Hecht aus deinem Teich.


  Hermann von Lingg . 1820 - 1905






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