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Hermann von Lingg
Schlußsteine
. 1. Auflage 1878
Am Nil
1798 - 1820.
Im Mondenglanze schliefen
Umwölbt vom reinsten Blau,
Die Gräber der Kalifen,
Und Sphinx und Säulenbau;
Ein Heer von Frankreichs Söhnen
Zog durch Kairo's Thor,
Die Freiheitslieder tönen
Zur stillen Nacht empor.
Den Degen und die Karte
Vor sich, und einen Sieg,
Liest eifrig Buonaparte
In Cäsars "Bürgerkrieg";
Da hebt ein Mann mit leiser
Und geisterhafter Hand
Den Zeltvorhang, ein Greiser,
In faltigem Gewand.
Er grüßt und spricht, sich neigend,
"Dein Heer, o General,
Singt Freiheitshymnen - schweigend
Trägt uns're Brust die Qual.
Der Ruhm von deinen Siegen
Hat Hellas auferweckt,
Die Türken unterliegen
Und Stambul bebt erschreckt.
Wenn dich die Freiheit grüßte
Als ihren Helden, sieh!
Morea macht zur Wüste
Das Joch der Osmanli,
Schwer drückt die Stadt Athenes
Der Fluch der Tyrannei,
Und vor dem Thor Mikenä's
Der Schakal schleicht vorbei.
Auf Hellas häuft die Rotte
Der Türken jede Schmach!"
Es schwieg der Suliote
Und Buonaparte sprach:
"Erhebet euch, erwache
Leonida's Geschlecht,
Steht auf, nehmt blutig Rache
Am Feind, dem Henkersknecht!"
Es sprach's der erste Wille
Der neuen Republik,
Die Weihe tiefster Stille
War in dem Augenblick;
Nach fernen Weltgeschicken
Ausschauend, fragend sahn
Sich mit den Feuerblicken
Die beiden Männer an.
Noch and're Griechen drangen
Heran, um ihn zu sehn,
Die Eifrigsten umschlangen
Sein Knie mit stillem Flehn.
Den ganzen Raum erhellte
Ein würdevoller Chor,
Auf einmal drang zum Zelte
Ein banges Murmeln vor.
Todt, hieß es, bei der Säule
Des Römers lieg ein Mann,
Und eine schwarze Beule
Verkündige woran:
Emporstieg durch die Grüfte
Die Pest in dieser Nacht,
Ausströmend durch die Lüfte
Den Moderhauch der Schlacht.
Der Held sah vor sich nieder,
Und sprach: "Was starrt ihr bleich?
Kein Schall der Freiheitslieder
Erweckt dies Todtenreich.
Doch klingt mit leisem Tone,
Des Lichtes lang entwöhnt,
Die Säule, die dem Sohne
Der Morgenröthe tönt!
Europa soll erfahren
Daß Völker auferstehn,
Es wird noch eure Schaaren
Am Pindus siegen sehn!
Der Freiheit Tag wird kommen,
Wo sie zuerst erstand,
Ihr Aufgang ist erglommen
Im fernen Abendland."
Des Corsen stolzem Worte
Gab seine Zukunft Recht,
Die Zeit schrieb's an die Pforte
Dem kommenden Geschlecht,
Und in dem gleichen Jahre,
In dem er starb, entrang
In Hellas sich der Bahre
Der erste Freiheitsklang.
Hermann
von Lingg . 1820 - 1905
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