Bemooster

Studenten, wie wir damals waren,
Nicht einen Plaid, ein Ränzchen um,
So kamen wir vor vielen Jahren
Zur Musenstadt, noch ziemlich dumm.

Es war ein Tag im Herbst, wie heute,
Auf Nebel folgte Sonnenschein,
Und wie der Wind das Laub zerstreute,
Fiel auch das Wort Homers mir ein.

"Die menschlichen Geschlechter gleichen
Dem Laub am Baum." Wie wahr, wie wahr!
Wie bald kommt's, daß die Locken bleichen,
Wie rasch entfliehen Jahr um Jahr!

Ja, rasch verweht das Einzelleben,
Und kurz begrenzt ist uns're Bahn,
Wie viel will Jugendmuth erstreben,
Wie wenig ist zuletzt gethan!

Von vielen Jahren bleiben Stunden,
Von vielen Liedern eines kaum,
Und was darüber, ist entschwunden,
Der Welt wie dir, ein Nichts, ein Traum.

Und drückt zuletzt noch Lebensbürde,
So wird die Seele selbst versöhnt
Mit dem, was sie verachten würde,
Des freien Fluges längst entwöhnt.

So beugt der Baum sich gleich dem Greise,
Und streut zur Erde neuen Keim,
Und endlich führt die letzte Reise
Uns in die großen Ferien heim.


  Hermann von Lingg . 1820 - 1905

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