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Hermann von Lingg
Schlußsteine
. 1. Auflage 1878
Der Nachruhm
1.
Was ist der Nachruhm? An der Felsen Rand
Ein Saatkorn, oder nur ein Körnchen Sand?
Ein Adler mit dem kühnen Flügelschlag,
Der sich emporschwingt in den jungen Tag,
Ein kleiner Falter, der vom Sturm verweht
Auf weitem Meere spurlos untergeht? -
Ein Traum vielleicht, in Wirklichkeit ein Nichts?
Vielleicht ein Pfeiler in dem Bau des Lichts?
Ein Irrlicht ist es oft, das täuschend winkt,
Ein Vampyr stets, der unser Herzblut trinkt;
Ob wesenlos, doch wird er mehr geliebt,
Als alles Größte, was die Welt uns gibt.
Ja, dieser Schatten um die Dinge wiegt
Mehr als sie selbst, und ist's, der sie besiegt,
Denn wenn das Dunkel jene längst umhüllt,
Er ist's, der sie mit hellem Glanz erfüllt,
Wenn That und Name blieb der Zeiten Raub,
Der Nachruhm lebt, der sie erhebt vom Staub.
Ein Leuchten schwebt um den, der ihn erstrebt,
Vom Lorbeer, der aus Gräbern sich erhebt.
2.
Was ist der Nachruhm? Wenn schon längst hinab
Jahrzeh'nte gingen über deinem Grab,
Dann tritt dort drüben bei der Lampe Schein
Ein Wesen, wie du warst, ins Zimmer ein,
Nach jenem Bücherschrein langt eine Hand,
Und sucht aus vielen einen kleinen Band:
Die Lieder, die du schrieb'st, sind's, dein Gesang,
Als du noch weiltest in des Lebens Drang.
Was du gefühlt, gekämpft, gelitten hast,
Was du bezwungen und erstritten hast;
Das Wesen, dem du glichst, es liest, es hebt
Das Haupt empor, von Mitgefühl durchbebt.
Wie pocht das Herz! Es flammt Begeisterung
Im Herzen, das so stolz noch ist, so jung!
Die Thräne quillt, und ein Atom von dir,
Von dem, was du gewesen, lebt in ihr.
Hermann
von Lingg . 1820 - 1905
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